T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

anonym: »Der Teufel im Herzen. Eine seltsame Mordgeschichte«, 1876
von Mirko Schädel



anonym: Der Teufel im Herzen. Eine seltsame Mordgeschichte, Wien: F. J. Singer 1876, Billige Romane herausgegeben von O. F. Berg [O. F. Ebersberg] Heft 7, 96 Seiten


Der Teufel im Herzen. Eine seltsame Mordgeschichte, 1876, ist eine Mischung aus Kriminalgeschichte und märchenhafter Horrorgeschichte, die die Abenteuer eines arglosen Studenten namens Julius erzählen.

In der ersten Episode des kurzen Romans gerät der in Graz studierende und naive Julius in die Hauptstadt Wien, wo er von einem Freund in eine Spielhölle geführt wird und dort sein ganzes Geld verspielt, das er eigentlich seiner darbenden Mutter senden wollte.

In einer nervösen und aufgebrachten Stimmung trifft Julius in seinem Hotel auf und sitzt mit den Gästen des Hauses an einem Tisch. Er unterhält die Gesellschaft mit exzentrischen und moralisch-philosophischen Reden. Als er jedoch über Mord und Mörder philosophiert und behauptet, daß in jedem Menschenherzen ein möglicher Mörder stecke, kommt es zum Eklat. Die ganze Gesellschaft verstummt und einer der Anwesenden, ein ausgesprochen häßlicher Mann mit totenähnlicher Gesichtsfarbe scheint sich unwohl zu fühlen. Zumindest fällt dies Julius auf. Doch dann beginnt einer der Gäste die Sprache wiederzufinden, ein Polizist nämlich, der diese Rede mißverstanden hatte, und glaubt, daß Julius einen der anwesenden für einen Mörder halte. Doch Julius gelingt es mit knapper Not seine Rede mit scherzhaften Aussprüchen zu relativieren, so daß die kleine Gesellschaft in schallendes Gelächter ausbricht.

Am nächsten Tag findet Julius, der sein ganzes Geld beim Glücksspiel verloren hatte, einen Umschlag in seinem Zimmer vor, der mit 50 Dukaten gefüllt ist. Ein kleiner anonymer Brief doziert über das Schweigen und einer Belohnung – bis Julius vermutet, daß tatsächlich ein Mörder unter den Gästen des Hotels gewesen sei, der einen Mord auf dem Gewissen habe und nun Julius für sein Schweigen bezahlen wolle.

Er grübelt über den möglichen Spender nach und muß an den häßlichen Mann denken, den der Besitzer des Hotels den aschgrauen Teufel nennt. Julius läßt sich zu diesem Herrn führen, und so kommt es zu einer hitzigen Diskussion zwischen den beiden Männern. Der aschgraue Teufel läßt einiges durchblicken, bestreitet aber der Spender des Geldes zu sein oder sich Julius Schweigen erkaufen zu wollen. Stattdessen klagt der häßliche Mann über die Urteile seiner Mitmenschen und den Spott, dem er ständig ausgesetzt sei. Julius reicht ihm mitleidig die Hand und entschuldigt sich.

Kurz darauf meldet sich ein Lord Arthur bei ihm, einen Herrn, den er bereits in der Spielhölle gesehen und beobachtet hatte und der ebenfalls Gast des Hotels ist. Dieser Lord Arthur reist mit seinem Kammerdiener durch die Welt und sucht einen Herrn wie Julius als Unterhalter. Lord Arthur ist jedoch stumm und kann sich nur schriftlich äußern. Julius nimmt diese Möglichkeit wahr, denn er hatte schon immer das Bedürfnis etwas von der Welt zu sehen. Die beiden verstehen sich prächtig und freunden sich an. Bald erfährt Julius, daß Lord Arthur gar nicht stumm ist, sondern sich selbst ein Gelübde des Schweigens gegeben hatte. Lord Arthur erzählt Julius seine Lebensgeschichte und den Grund seines Schweigens. Er war unglücklich verheiratet mit einer stolzen und kalten Frau. Auf einer langen Reise in Italien stellt seine Gattin fest, daß sie schwanger ist. Das Paar reist Richtung Österreich, wo Arthurs Gattin die Geburt abwarten will. In einer kleinen Stadt mieten die beiden mehrere Zimmer in einem fast unbewohnten, unheimlichen Schloß, wo nur einige Dienstboten sich um das nötigste kümmern. Arthurs Gattin bringt einen Jungen zur Welt, und Arthur verliebt sich in eine junge Dame namens Marie, die in dem Schloß lebt und sich als Dienstbotin betätigt. 

Lord Arthurs Haß gegenüber seiner Frau wächst sich aus, er betet zu Gott, daß sie sterben möge, denn das Leben mit dieser hochmütigen und kalten Person bereitet ihm Kummer. Er sieht sein zukünftiges Leben als eine öde Wüstenei vor seinem inneren Auge.

Kurz darauf wird seine Gattin Opfer eines Mordanschlags, der blutbefleckte Stiefbruder Maries gerät in Verdacht, doch Marie, die alles miterlebt habe, fleht Lord Arthur an ihren Stiefbruder zu schützen. Marie hält nichts von irdischer Gerechtigkeit, sie ist sehr religiös – dabei erklärt sie, daß sie den Täter nicht verraten könne. Und das Lord Arthur selbst diesen Mord im Herzen getragen hätte, und also moralisch ebenso schuldig sei, wie der Mörder.

Lord Arthur schreibt einen entlastenden Brief zugunsten jenes Stiefbruders und schickt diesen an die Polizei. Sein Söhnchen überläßt er Marie und anschließend beschließt er sein Schweigegelübde und begibt sich mit seinem Kammerdiener auf Reisen, da er die Atmosphäre in dem seltsamen Haus nicht mehr erträgt. Es gehen Gerüchte über Spuk um, und es gibt Räume in dem Schloß, die immer verschlossen sind.

Julius hört sich diese Geschichte aufmerksam an, dann verfällt Lord Arthur wieder in den Schweigemodus. Julius kann den Lord jedoch überreden den Ort erneut zu besuchen, sich über das Wohlergehen seines Sohnes zu erkundigen und womöglich den tatsächlichen Mörder zu ermitteln.

In jenem Ort angekommen verliebt sich nunmehr Julius in die junge Marie. Er spricht mit verschiedenen Personen aus dem merkwürdigen Haushalt, und als er zufällig von dem aschgrauen Teufel hört, klingeln bei ihm die Glöckchen. Julius bittet Lord Arthur um einen kurzen Urlaub. Er reist nach Wien und trifft dort auf den aschgrauen Teufel, der sich nicht nur als Besitzer des Schlosses und Vater Maries entpuppt, sondern auch der Mörder von Lord Arthurs Gattin ist. 

Julius hat keinen Ehrgeiz seinen künftigen Schwiegervater an den Galgen zu bringen und verschweigt die wahre Identität des Mörders, doch hat er sich die Erlaubnis erworben, Marie heiraten zu dürfen. Lord Arthur findet die Sprache wieder und alles löst sich in Wohlgefallen auf.

Der Text ist nicht annähernd so übel wie ich befürchtet hatte, es finden sich kaum sentimentale oder kitschige Passagen, stattdessen wirkt das Buch wie ein volkstümliches Märchen, das mit literarischen Anspielungen und philosophischen Betrachtungen aufgewertet wurde. Der aschgraue Teufel ist ein Außenseiter, ja ein Aussätziger der Gesellschaft, der keinen Frieden findet und da er auf wenig menschliche Anteilnahme hoffen kann, widmet er sich vor allem dem Diamantenhandel und dem Gelderwerb. Das Gold ist treu, die Menschen jedoch verachten ihn. Den Mord, den er ausgeführt hatte, war jedoch selbstlos, sein Motiv bestand lediglich darin seine Tochter zu schützen. Dabei warf er ein Messer, das zufällig einen anderen Menschen traf, nämlich Lord Arthurs Gattin. Die Geschichte ist insofern interessant, weil sie mit äußerst überraschenden Wendungen aufwartet. Auch halten sich die typischen Elemente der Kolportage in Grenzen und auch die sprachlichen Mittel des unbekannten Autors sind überzeugend und deuten auf einen virtuosen Schriftsteller hin. Die Reihe »Billige Romane« war eine der frühen österreichischen Groschenheft-Serien, die heute kaum noch auffindbar sind.