T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

A. J. Mordtmann: »Die Perlen der Adhermiducht«, 1905
von Mirko Schädel



A. J. Mordtmann: Die Perlen der Adhermiducht, Bonn: Rheinische Union 1905, Viktoria-Sammlung spannender und interessanter Erzählungen Band 2, 319 Seiten


August Justus Mordtmann, 1839–1912, war ein Schriftsteller und Redakteur, er arbeitete aber auch einige Jahre als Zoll- und Postbeamter. Sein Vater Andreas David Mordtmann wie auch sein Bruder Johannes Heinrich Mordtmann waren seinerzeit bekannte Orientalisten und Diplomaten. Als Orientalisten haben diese beiden engen Verwandten vermutlich einen großen Beitrag an dem vorliegenden Roman geleistet, denn unser Autor überträgt in diesem Roman eine Atmosphäre von weltläufigen Fachidioten, wie zum Beispiel den Professor der Ägyptologie Richard Löwenklau, der berühmt ist für seine Übersetzungen von altägyptischen Hieroglyphen.

Die Perlen der Adhermiducht, 1905, ist ein phantastischer Abenteuerroman, der bereits 1902 in der Deutschen Romanbibliothek erschienen ist. Ein Fragment dieses Romans erschien unter dem Titel Der Untergang der Carnatic, das 1914 und 1927 in zwei Anthologien mit phantastischem Inhalt erschienen ist.

Der Roman spielt zu Beginn in einer fiktiven, kleinen Universitätsstadt namens Neuhausen im Jahre 1878. In dem provinziellen Neuhausen hat sich eine hübsche Amerikanerin namens Lydia Thompson niedergelassen, und in ihrem Salon wird sie von vier treuen Verehrern umschwärmt.

Da ist vor allem der Professor Löwenklau, dann der Bankier Biermann, ebenso der Weltreisende Strobelmayer und der Rittmeister Kurt von Wettern. Während Lydias Herz offenbar mehr dem Rittmeister von Wettern zugeneigt ist, amüsieren sie doch der Prof. Löwenklau und vor allem der Weltreisende Strobelmayer, letzterer wartet immer wieder mit unglaublichen Geschichten auf und unterhält damit die Gesellschaft blendend. Im übrigen schmeicheln die vier Verehrer ihre Eitelkeit.

Prof. Löwenklau jedoch vernachlässigt die schöne Lydia seit einiger Zeit, denn er hat wichtiges zu tun. Er übersetzt gerade die Hieroglyphen eines alten Papyrus, das von einem ägyptischen Priester stammen soll und in dem von einem sagenhaften Fundort seltenster Edelsteine berichtet wird. Der Plan zum Auffinden des Fundorts soll sich allerdings unter dem Grab des Priesters befinden und so reist Prof. Löwenklau eiligst nach Ägypten in der Hoffnung, daß das bereits ausgeplünderte Grab noch Geheimnisse birgt. Die Schriften jenes ägyptischen Priesters machen sich auch über Zauberei und Aberglauben lustig, doch wußte dieser Priester durchaus davon zu berichten, wieviel Macht diese Edelsteine über das weibliche Geschlecht haben – und das ist wohl auch der Grund für Löwenklaus Aktivitäten, denn er hofft vermutlich mit den Steinen als reicher Mann in die Arme Lydias zu sinken und sie zu seiner Braut zu machen.

Gleichzeitig gehen die Soireen im Haus der Lydia Thompson unvermindert weiter, Strobelmayer erzählt die Geschichte der Perlen der Adhermiducht, die einst einer persischen Prinzessin gehört hatten, dann aber durch die Hände vieler mächtiger Herrscher ging bis sie in den Besitz einer indischen Rani gelangt sind. Strobelmayer hatte diese Perlen anläßlich eines indischen Feiertags an der Rani selbst sehen können, vorher jedoch wurde er von einem Inder angeheuert die Perlen zu rauben, die unweit der Hauptstadt in einem bewachten Pavillon lagerten. Dieser Pavillon war umgeben von einem Wassergraben, in dem mächtige Krokodile lebten. Der Inder plante mit einer Flöte die Krokodile abzulenken, während Strobelmayer dann durch den Wassergraben schwimmen sollte um den Schmuck der Rani zu stehlen.

Doch noch während der Planung des Raubs verlor Strobelmayer den Inder aus den Augen und kehrte irgendwann unverrichteter Dinge nach Europa zurück. Nachdem Strobelmayer Lydia und den zwei verbliebenen Konkurrenten die spannende Geschichte erzählt hatte, gab die Gastgeberin zu erkennen, daß sie für diese Perlen wohl die Ehe eingehen würde. Gleich am nächsten Tag verschwindet Strobelmayer spurlos – ebenso der Rittmeister von Wettern. Der Leser kann sich bereits denken, daß die Herren großartige Taten vollbringen wollen um Lydias Herz zu gewinnen.

Auch Lydia, die sich mit dem Bankier Biermann nunmehr nur noch langweilt, bricht auf und will Jerusalem einen Besuch abstatten. Immer mehr oder weniger in spärlichem schriftlichen Kontakt mit ihren Bewunderern. Doch auf dem Dampfer, den sie in Triest nimmt, lernt sie einen Armenier kennen, der gewandt und weltläufig zu sein scheint und nachdem sich die beiden bekannt gemacht haben, erzählt der Armenier die Geschichte des ewigen Juden, den er vorgibt vor Jahren selbst kennengelernt zu haben. Als Lydia sich die Geschichte anhört, fragt sie naiv nach dem Verbleib dieser sagenhaften Gestalt. Der Armenier erzählt Lydia, daß er den ewigen Juden in Damaskus besuchen wolle und ob sie Lust habe ihn dorthin zu begleiten. Lydia, die auch dies für eine Lügengeschichte hält, ist dennoch amüsiert und bereit sich dem charmanten Herrn anzuschließen.

Sie reisen nach Damaskus und Lydia lernt den ewigen Juden und dessen Tochter kennen. Lydia läßt sich die kosbare Sammlung von Kuriositäten des ewigen Juden zeigen, darunter auch den wertvollsten Besitz des alten Herrn: Einen Beryll, der über Zauberkräfte verfügt, denn wer immer in diesen Stein sieht und sich auf eine Person konzentriert, wird diese Person leibhaftig und gegenwärtig vor sich sehen. Lydia läßt zumindest drei Personen in dem Stein Revue passieren, sie kann sowohl Strobelmayer als auch den Rittmeister Kurt von Wettern bei deren gegenwärtiger Beschäftigung sehen. Strobelmayer schreibt gerade einen Brief an Lydia, fälscht aber das Datum des Briefs und den Ort seines gegenwärtigen Aufenthalts, und von Wettern läßt sich von einer hübschen Wüstenschönheit eine Wunde verbinden um anschließend die Hände des Mädchens zu küssen.

Lydia ist recht enttäuscht von dem, was sie da zu sehen bekam. Ihre Eifersucht ist auf dem Siedepunkt. Nur Prof. Löwenklau, der gerade durch die Wüste reitet und dann von einer mächtigen Schlange angegriffen wird, erschüttert Lydia, denn ehe sie sehen kann wie Löwenklau der Situation Herr wird, endet diese Vision. Als Lydia das gastfreundliche Haus des ewigen Juden verläßt, erhält sie von diesem noch ein Geschenk, einen altertümlichen, magischen Dolch, der in der Scheide zittert, wenn der Träger des Dolchs einem feindlichen gesonnenen Menschen gegenübersteht.

In dieser Art nimmt der Roman seinen Fortgang. Ein übergeordneter, wahrheitsliebender Chronist berichtet größtenteils die Abenteuer von Lydia, Rittmeister von Wettern, Prof. Löwenklau und Strobelmayer, die allesamt im Nahen Osten unterwegs sind und nur sporadisch brieflich in Kontakt stehen. Nur Rittmeister von Wettern ist abgefallen, er lebt unter den Beduinen in der Wüste, hat sich in eine deutsch-arabische Prinzessin verliebt und schreibt demzufolge keine Briefe – und er wird dort als Schlachtherr gefeiert, denn die verschiedenen arabischen Stämme sind in fortwährender Feindseligkeit gefangen – und von Wettern mischt sich in deutscher Art in die kriegerischen Auseinandersetzungen ein.

Prof. Löwenklau findet derweil den Fundort der Edelsteine und wehrt sich erfolgreich gegen die Ansprüche der ägyptischen Machthaber. Neben weiteren Abenteuern, die Löwenklau zustoßen, ist die Bekanntschaft mit Sulamith, der Tochter des ewigen Juden, das gewichtigste, denn auch Löwenklau wird seiner Lydia untreu, da er sich in die schöne Orientalin verliebt. Und unser Weltenbummler Strobelmayer begibt sich angeblich auf die Suche nach seinem indischen Bekannten, der ihn zum Raub der Perlen der Adhermiducht animieren wollte, wohl um seinen ehemals unterbrochenen Plan endlich auszuführen. Darüberhinaus berichtet er Lydia brieflich von dem Untergang der Carnatic, den er mit eigenen Augen gesehen habe. Lydia hingegen weiß, daß Strobelmayer tatsächlich zuhause in Deutschland in einer Stube hockt und fingierte Abenteuer schreibt, die er seiner Angebeteten auf aufwändige Weise über Bombay oder Srinagar nachsendet.

Es gibt weitere phantastische Episoden, die vor allem Strobelmayer erfindet um Lydia zu beeindrucken. Auch Lydias Geschichte wird im letzten Drittel des Romans erzählt, die auch einige abenteuerlich anmutende Besonderheiten aufweist – dennoch bleibt Lydia nichts anderes zu tun übrig als am Schluß des Romans Strobelmayers Lügengewebe zu zerstören, sie schreibt einen letzten Brief an ihren letztlich verbliebenen Bewunderer, der ihn darüber aufklärt, daß sie seine Lügen durchschaut hat und in der Lage ist diese Lügen auch zu widerlegen. Von dem Bankier Biermann hatte sie sich bereits vorher auf freundschaftliche Weise entledigt. So bleibt Lydia einsam, jedoch hoffnungsvoll in ihrem Beiruter Exil.

Der Roman ist von verschiedenen literarischen Ideen durchsetzt. Zum einen gibt es die Phantasie des mittelalterlichen Ritters, der für die Dame seines Herzens den Drachen besiegt. Zum anderen adaptiert Mordtmann die Märchen aus Tausend-und-einer-Nacht, die er im Geschmack der Jahrhundertwende und aus europäischer Perspektive neu entwickelt.

Die reichlich mäandernde und bis zur Verschrobenheit reichende Erzählweise fügt sich aber trotz aller Widersprüche in eine planvolle Konstruktion – auch wenn viele Erzählstränge wie blindes Wurzelwerk ins Nichts tasten, denn viele Ideen zu seinen Geschichten werden schlicht nicht zuende erzählt. Der Autor deutet zwar an, möglicherweise in naher Zukunft einzelne Figuren in neuen Romanen auferstehen zu lassen und deren angerissene Geschichten zu vervollständigen,  aber meines Wissens hat Mordtmann das nicht getan.

Der Roman ist in einem etwas verschwurbelten, gedrechselten Stil verfaßt, der Autor gab sich Mühe mit seinen Sätzen, was den heutigen Leser leicht überfordert. Interessant ist jedoch vor allem die Mischung aus Märchenerzählung und streng wissenschaftlichen und literarischen Kommentaren, die der Autor unumwunden in den Text einfließen läßt. Mordtmann wird, da er in einer Familie von Orientalisten lebte, mit dem wissenschaftlichen Diskurs der Orientalisten vertraut gewesen sein, und diese wissenschaftlichen, pseudowissenschaftlichen, mystifizierenden und kitschigen Betrachtungen fügt der Autor gekonnt in seinen Roman ein, so daß der Leser über die Fülle von Mordtmanns Kenntnissen erstaunt ist.

Auch die literarischen Anspielungen sind zahlreich, vor allem die der griechischen, römischen und deutschen Klassiker werden immer mal wieder erwähnt, ebenso Schopenhauer oder Gelehrte der Orientalistik. Selbst Wilkie Collins findet mit seinem Mondstein Erwähnung, und auch Dickens Romane werden nicht ausgelassen.

Mordtmann läßt an anderen europäischen Mitbürgern, also Engländern, Franzosen, Griechen, Italienern usw. kein gutes Wort. Nur der Deutsche sticht aufgrund seiner männlichen Tugenden und seiner grundsätzlichen Überlegenheit von allen anderen Volksgruppen ab. Grundsätzlich hält Mordtmann die Orientalen, insbesondere die Inder, Araber, Armenier, Osmanen usw. für Lügner und Betrüger, wenngleich er bestimmte Beduinenvölker in diesem Roman zu edlen Wilden stilisiert.

Der Roman Die Perlen der Adhermiducht, der lediglich vorgibt, daß die Abenteuer Strobelmayers reine Phantasie seien, während alle anderen Kapitel der reinen Wahrheit entsprechen, ist eine ausufernde Lügengeschichte im Stil der arabischen Märchenerzählungen. Um die Authentizität und damit auch die Spannung zu erhöhen, wartet Mordtmann mit einem Arsenal von Fragmenten aus Wissenschaft und Literatur auf, auch vor exotistischen Elementen schreckt der Autor nicht zurück, im Gegenteil, er bedient damit genau die Mode, die während der Jahrhundertwende gefragt war.

So spannend der Roman ist, so ausufernd ist er aber auch streckenweise, manche Episoden sind geradezu ermüdend. Doch Mordtmann versöhnt den Leser  durch die Materialfülle, die interessanten Anspielungen und die mit Sorgfalt ausgeführten sprachlichen Mittel. Die Viktoria-Sammlung der Rheinischen Union in Bonn war eine der Spannungsliteratur verpflichtete Reihe, heute sind diese Bücher außerordentlich selten.