T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Robert Heymann: »Abenteuer des Marquis Montesquieu«, um 1903
von Mirko Schädel



Robert Heymann: Abenteuer des Marquis Montesquieu, Gotha: Verlagsanstalt und Druckerei H. Bartholomäus um 1903, Bibliothek wunderbarer Erlebnisse Band 2, 165 Seiten


Die Abenteuer des Marquis Montesquieu, um 1903, ist eine exotistischer Rausch, teils Märchen, teils Räuberpistole und Kolportage. Während Genie und Laster. Aufzeichnungen aus dem Tagebuch eines Privatdetektivs, Bibliothek wunderbarer Erlebnisse Band 1, eine episodenhafte Sammlung von Detektivgeschichten ist, die teilweise auch in Heymanns Heftsammlung des Detektiv Stagard Eingang gefunden haben, hat sich Robert Heymann hier eine durchgängige Handlung einfallen lassen.

Die indische Prinzessin und Vollwaise Sika wird mehr und mehr von einem Prinzen namens Randschit verfolgt, denn die Prinzessin hatte als kleines Mädchen diesem ihre Hand versprochen. Randschit besteht auf diesem lächerlichen Versprechen, da er politische Pläne verfolgt. Sika besitzt das Wohlwollen der nordindischen Stämme, inklusive der Afghanen, der Sikhs und der Thugs – und alle diese Stämme träumen von der Befreiung von den Okkupanten, den britischen Besatzern. Randschit, der selbst aus einem antibritischen Adelsgeschlecht stammt, plant Sika zur Frau zu nehmen um durch sie die indische Krone zu empfangen und Indien von den Briten zu befreien. Ihm schwant, daß nur diese Ehe die zahlreichen Sekten, Stämme und Völker Indiens vereinen könnte.

Doch Prinzessin Sika ist in den französischen Edelmann und Abenteurer Marquis Montesquieu verliebt, der Sika einst das Leben rettete. Tatsächlich heiraten Sika und der Marquis nach kurzer Zeit, aber Randschit hat sich mit mysteriösen Priestern der Cakti-Göttin eingelassen, die ihm in seinem Vorhaben unterstützen wollen. Sie helfen Randschit bei der Entführung von Prinzessin Sika, der ein giftiger Trank eingeflößt wird, der diese zu einer Scheintoten macht.

Am nächsten Tag entdeckt Marquis Montesquieu seine junge Braut und glaubt, daß sie auf tragische Weise überraschend gestorben sei. Prinzessin Sika wird aufgebahrt, doch schon nach kurzer Zeit wird der Leichnam Sikas geraubt. Marquis Montesquieu und sein schwarzer Freund und ehemaliger Diener Hassan eilen den Leichenräubern nach, es kommt zu einer wirklich sehr langwierigen Verfolgungsjagd quer über den gesamten Erdball – doch vorerst geht es in den Norden – Richtung Tibet. 

Sika wird nun von jenem Priester mit dem Gegengift versorgt, so daß der Zustand des Scheintodes endet und ihr Bewußtsein wiederkehrt. Doch  Sika ist, wie man sich denken kann, ganz und gar nicht mit dieser Entführung einverstanden, und so bekommt die Prinzessin ein weiteres geheimes Gift, daß ihren Geist blockiert und sie vorerst in einen Zustand willenlosen Wahnsinns verfällt. Als Randschit mit der nunmehr willenlosen Hülle Sikas seine Flucht fortsetzt und in den Bergen Nordindiens an der tibetischen Grenze sein Lager aufschlägt, da entdeckt Randschit einen Vulkan, der ungeheure Mengen Goldes ausgespuckt hat. Doch die Schwefeldämpfe setzen Randschit zu, er wird bewußtlos und seine Verfolger finden die Prinzessin und befreien diese, doch Sikas Erinnerungen und ihr Geist sind weiter getrübt. Nur ein Gegenmittel könnte Sika wieder zu Bewußtsein bringen, doch dieses Mittel ist in den Händen eines indischen Priesters.

Hassan entdeckt den bewußtlosen Randschit und hält ihn für tot, er schneidet ihm ein Ohr ab als Trophäe und läßt den Verbrecher am Rande des Vulkans liegen. Aber Sika wird den beiden Abenteurern gleich darauf von Tibetern abgenommen, Hassan und sein französischer Freund werden gebunden und zusammen mit Sika nach Lhassa geführt, eine Stadt, aus der nie ein Weißer lebend herauskam.

Kurz vor Lhassa gelingt dem Marquis und seinem Freund die Flucht, die Tibeter hetzen hinter den Flüchtenden her, aber auch da kommt unerwartete Hilfe von einem Trupp englischer Soldaten, die nach Lhassa beordert wurden um Tibet zu besetzen.

Unterdessen wird der bewußtlose Randschit am Rande jenes Vulkans von einem tibetischen Priester gefunden und hochgepäppelt. Randschit verspricht seinem Retter alle Schätze der Welt, wenn er ihm helfe die Prinzessin aus Lhassa herauszuschaffen, die bereits am Hofe des Dalai Lama angekommen sei und dort aufgrund ihrer überirdischen Schönheit zu religiösen Zeremonien herangezogen wird.

Randschit gelingt in Lhassa mit Unterstützung des Priesters die erneute Entführung Sikas. Kurz darauf untersucht der Marquis Lhassa mit Hilfe der englischen Truppen und erfährt von Randschits erfolgreicher Flucht aus der Stadt. Offenbar hat Randschit sich mit der Prinzessin in Richtung Shanghai aufgemacht und die wilde Jagd findet seine Fortsetzung.

In Shanghai gelingt es dem Marquis seine Widersacher zu stellen, und Sika und Randschit werden vorerst ins Gefängnis gebracht – bis der Marquis seine beweisführenden Papiere beibringen kann. Schon in dieser Nacht werden die Gefangenen von einem indischen Brahmanen befreit und können auf ein bereitliegendes Piratenschiff flüchten, das sich umgehend in Richtung Indien in Bewegung setzt. Der Marquis und Hassan nehmen ein U-Boot zur Verfolgung, doch das droht nach einiger Zeit zu sinken. Die Besatzung sitzt in dem sinkenden Boot wie in einem Sarg, aber eine japanische Fregatte eilt zu Hilfe und versucht das Boot mit Hilfe von Tauchern aus der Tiefe zu bergen.

Die beiden Freunde kommen mit dem Leben davon und können die japanische Fregatte davon überzeugen, das Piratenschiff zu verfolgen. Die Flucht geht weiter Richtung Afrika, auf die Insel des Todes, ein unbewohntes Eiland, das voller Geheimnisse und uralter Kulturdenkmälern steckt – auch ein haushohes Götzenbild mit acht Särgen aus purem Gold finden sich dort. Dort verbergen sich Randschit und seine Verbündeten in einer Höhle, doch auch der Marquis ist bereits nicht mehr weit entfernt, er und Hassan, nebst der japanischen Besatzung stürmen die Insel des Todes und es kommt zu einem wüsten Gefecht. 

Auch die Fregatte sendet Kanonenschüsse auf das Eiland, das in der Folge seine Stabilität verliert und auseinanderbricht und mit einer Flutwelle im Meer versinkt. Hassan und der Marquis konnten sich auf das Wrack der japanischen Fregatte retten. Originalzitat: »Montesquieu hatte im Augenblick der Katastrophe Hassans Hand erfaßt, instinktiv bereit, geeint mit dem treusten Freund, und wenn es auch nur ein Neger war, zu sterben.« Man kann das alles kaum glauben, was Heymann hier fabuliert hat – und ist ausgesprochen amüsiert.

Das Wrack der Fregatte, das beim Untergang der Insel naturgemäß beschädigt worden war, ist ebenfalls leck geschlagen, und so treiben die beiden Freunde nach einiger Zeit an ein Stück Holz geklammert auf dem endlosen Ozean. Gleichzeitig tanzen Randschit, Sika und der indische Priester manövrierunfähig auf einem provisorischen Floß auf den Wellen.

In Hassans schönen dunklen Pupillen spiegelt sich bereits in der Nacht ein mächtiger Haifisch, doch mit dem Morgengrauen erkennt Hassan, daß er sich geirrt hatte und es sich keineswegs um einen Hai handelt, sondern um ein verloren gegangenes Rettungsboot kieloben treibend, das von der japanischen Fregatte stammen muß. Aber nicht genug damit: Hassan greift und wendet mühselig das Rettungsboot, die beiden Freunde sitzen wie Schiffbrüchige ohne Wasser und ohne Nahrung, treiben ziellos durch den Ozean. Doch dann naht Hilfe in Form eines englischen Walfängers, der von San Franciso aus sich in die Weiten des arktischen Meeres aufgemacht hat und die beiden Schiffbrüchigen aufnimmt. Der Walfänger setzt unbeirrt seine Reise fort, und schon bald wird das Schiff von Eisbergen beinah eingekreist. Auf einem jener Eisberge entdecken die Seeleute drei Schiffbrüchige, die sich winkend zu Erkennen geben. Es sind Randschit, Sika und der indische Priester, die offenbar unbeeindruckt vom arktischen Klima hoffnungsfroh ihrer Rettung entgegensehen.

Doch aufgrund der Strömung und anderer Umstände war es dem Walfänger nicht möglich die Schiffbrüchigen aufzunehmen, stattdessen wurden sie jedoch von einem weiteren Walfänger zwei Tage später gerettet.

Sowohl die drei Inder, als auch der Marquis und sein treuer Hassan, mußten die Reise der Walfischjäger bis zum Ende auskosten. Monate später landet der Walfänger in San Francisco mit dem Marquis und seinem treuen Freund Hassan, der zweite Walfänger legte einen Tag später mit den indischen Passagieren an. Und so trafen sich der Marquis, Hassan, Sika, Randschit und der indische Brahmane auf dem Bahnhof in San Francisco ganz zufällig, als die gegnerischen Parteien gerade den Zug nach New York besteigen wollten.

Der Marquis stürzt sich noch auf dem Bahnsteig auf Randschit, doch diesem gelingt es sich einem Polizisten bemerkbar zu machen, und der Franzose ahnt, daß er so schnell keinerlei Beweise für diesen Frauenraub vorweisen kann und schweigt mit unterdrückter Wut.

Die beiden Parteien steigen in den Zug und die Fahrt nach New York nimmt ihren Gang. Kurz darauf beschließt der Marquis einen Versuch zu unternehmen Sika noch während der Fahrt zu befreien. Er und Hassan schleichen sich in das Schlafwagenabteil, es kommt zu einem Kampf zwischen dem Franzosen und Randschit, darauf entspinnt sich noch eine Schießerei, die allerdings durch ein plötzlich eintretendes Eisenbahnunglück mit 40 Totesopfern beendet wird.

Der Marquis findet sich verletzt im Krankenhaus wieder, sein Freund Hassan berichtet ihm von den Indern, die unverletzt ihre Reise fortsetzen konnten. Als der Marquis dann endlich genesen ist und New York erreicht, ist von den Indern keine Spur mehr aufzufinden.

In New York wendet sich der Marquis an den Detektiv Stagart, den berühmtesten Detektiv der Welt, der die Spur seiner erneut entschwundenen Gattin aufnehmen soll. Acht Tage später hat Stagart die Inder aufgespürt, Sika wurde in einem Irrenhaus untergebracht. Stagart hat auch in Erfahrung gebracht, daß der Leiter der staatlich anerkannten Anstalt ein Schurke ist, und rät dem Marquis ab, etwas in eigener Sache zu unternehmen oder die Polizei zu involvieren. Stattdessen wird Stagart den Posten eines Irren-Wärters annehmen, natürlich ließ sich das nur durch Bestechung machen. Drei Wochen hört der Marquis Montesquieu nichts von Stargart, doch dann erhält er einen Brief, der ihn davon unterrichtet, daß Stagart nunmehr der persönliche Wärter von Sika geworden sei und ihren Wahnsinn offenbar heilen kann, so zumindest äußert sich der weltgewandte Detektiv, denn letzterer beherrscht die Kenntnisse über indische Gifte – als weltbester Detektiv sollte man diese Gifte ja auch genaustens studiert haben. Der Marquis möge noch acht Tage warten, dann erhalte er eine neue Mitteilung des Detektivs Stagart.

Doch die Geduld des Marquis Montesquieu ist am Ende – wie auch die des Lesers – der Marquis schleicht um die Mauern der Irrenanstalt herum und das fällt dem indischen Brahmanen auf, der ein Auge auf die Anstaltsmauern hat und der wiederum Randschit über die erneute Verfolgung des Marquis berichtet. Ein weiterer Befreiungsversuch Sikas durch Stagart mißlingt, aber am nächsten Tage nehmen Stagart, der Marquis und Hassan die Verfolgung der Inder wieder auf, die allerdings bereits auf einen Dampfer Richtung England schippern.

Stagart hat noch in der Irrenanstalt das indische Gegengift Sika in die Venen gespritzt, so daß Sika noch während der Fahrt ihr Bewußtsein wiedererlangt und so die Pläne der Entführer durchkreuzen könnte. Auch in London werden die Verfolger die Spur wieder aufnehmen, und auch ein weiterer Versuch der Befreiung Sikas scheitert. Die Inder sind bereits mit einem Dampfer nach Indien unterwegs, denn die Unruhen in ihrer Heimat haben gerade begonnen.

Stagart, der Marquis und Hassan folgen den Flüchtenden auf dem Fuße. In Indien angekommen erhält Stagart die entsprechenden Information von einem seiner Agenten, und so erfahren sie, daß die Hochzeit zwischen Randschit und Sika unmittelbar bevorsteht, ebenso die Krönungszeremonie Sikas, die zur Königin von Indien ausgerufen werden soll.

Die drei Verfolger reisen umgehend nach Norden, wo die Hochzeit stattfinden soll, und kurz vor ihrem Ziel wendet sich der Marquis an die britischen Truppen und bittet um Unterstützung, die ja auch im Interesse der Kolonisten sein müßte um die bevorstehenden Aufstände zu hintertreiben. Während die Hochzeitszeremonie zwischen Sika und Randschit stattfindet, umgeben von 500 äußerst wehrhaften Sikhs und Thugs, fallen die britischen Truppen ein – an deren Spitze der Marquis, und während Randschits Schädel vom Marquis Montesquieu gespalten wird, stirbt leider auch der treue Hassan an den Folgen dieses letzten großen Gemetzels.

Sika wird befreit und reist mit ihrem Gatten und Stagart nach Frankreich, wo der Marquis ein Schloß in der Provence besitzt, und Stagart nunmehr als Freund der Familie einige Wochen zubringt, ehe er sich wieder seiner bedeutenden Arbeit als weltbester Detektiv widmet. Hassan wird auf dem Schloßgelände zur letzten Ruhe gebettet, und der Leser ist glücklich, daß er diesen hanebüchenen, aber äußerst amüsanten Abenteuer-, Kriminal- und Kolportageroman mit phantastischen Elementen halbwegs gesund überlebt hat – abgesehen von einem leichten Kopfschmerz, der nicht weichen will.