T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Phoebe Atwood Taylor: »Artisten im Nebel«, 1935
von Mirko Schädel



Phoebe Atwood Taylor: Artisten im Nebel, Berlin: Kulturelle Verlagsgesellschaft 1935, Iris-Kriminalromane Band 49, 277 S.


Taylors Roman Artisten im Nebel ist ein amerikanischer whodunit, der an ein bestimmtes Lokalkolorit gebunden ist – und an ein bestimmtes Publikum adressiert ist. Die 22jährige Autorin veröffentlichte ihren ersten Asey-Mayo-Kriminalroman 1931, 1933 erschien bereits ihr dritter Roman mit diesem Serienhelden unter dem Titel The Mystery of the Cape Cod Players, da war Taylor gerade einmal 24 Jahre alt. Sie hat diesen Roman offenbar im Laufe von zwei, drei Wochen zu Papier gebracht.

Fast alle Krimis von Taylor spielen auf der Halbinsel Cape Cod, Massachusetts, unweit von Boston, wo auch ihre Eltern herstammten und sie selbst ein Sommerhaus besaß. Die Charaktere dieses Romans sind für amerikanische Verhältnisse wohl originell, doch die Autorin ist clever, denn sie läßt Asey Mayo gemeinsam mit zwei Verwandten namens Syl[vanus] Mayo und seine Frau Jennie ermitteln. Während Asew in diesem Roman einen ehemaligen Polizisten darstellt, der seinen Beruf an den Nagel gehangen hat – zum einen, weil er Erbe eines kleinen Vermögens geworden ist, zum anderen weil er schnell das Interesse an eintöniger Beschäftigung verliert und also mal als Zimmermann oder als Tierarzt tätig ist, während Jennie für das kulinarische Wohl sorgt und Syl, ihr Mann, sich als Detektiv betätigt, der leidenschaftlich den Tatort untersucht und immer mal wieder interessante Fundstücke hervorbringt.

Der Roman wird aus der Ich-Perspektive einer Mrs. Ballard erzählt, eine 45jährige Witwe mit beträchtlichem Vermögen, die einen unausstehlichen und zutiefst übergriffigen Adoptivsohn namens George ihr eigen nennt, der übrigens seine Adoptivmutter ständig bevormundet. Mrs. Ballard ist gerade von einer schweren Lungenentzündung genesen – und der Leser faßt eine instinktive Abneigung gegen diesen George, der der Rekonvaleszenten ein Haus am Meer auf Cape Cod mietet, wo sie sich von ihrer Krankheit erholen soll – und er schlägt ihr schriftlich vor, wen sie als Gesellschafterin und als Haushälterin mitzunehmen habe. Doch Mrs. Ballard ist eine erwachsene Frau und sucht sich ihr Personal lieber selbst aus.

Tatsächlich reist Mrs. Ballard mit einer jungen Dame, die sie kurz zuvor in den Dienst genommen hat und ihrem  Hausmädchen nach Cape Cod. Das Haus, das sehr abgelegen ist und unmittelbar am Meer liegt, wird kurzerhand bewohnbar gemacht und am ersten Abend klopft es an der Tür und ein junger Mann steht draußen, der nach einem Mr. Guild fragt. Naturgemäß kennt niemand einen Mr. Guild, und kurz darauf stellen sich weitere Personen ein, die allesamt einer wandernden Schauspiel- und Varietegruppe angehören, die von einem mysteriösen Mr. Guild für eine Vorstellung auf Cape Cod engagiert wurden.

Die Nacht ist kalt, neblig und ungemütlich, die Truppe hat Probleme mit ihren Lastwagen und Mrs. Ballard ist die personifizierte Gastfreundschaft. Zwei weibliche Personen der Truppe übernachten kurzerhand im Haus, da eine Weiterreise bei dem Nebel und angesichts der fortgeschrittenen Uhrzeit unmöglich ist. Die Männer der Truppe übernachten in den LKWs. Gegen 1.15 Uhr hört Mrs. Ballard draußen lautes Geräusch, an Donner erinnernd, gegen 3 Uhr ebenfalls ein ähnlich lautes Krachen.

Am nächsten Morgen wird die Leiche eines Schauspielers namens Red unweit des Hauses entdeckt, mehrere Schüsse haben den Mann niedergestreckt, der erste war bereits tödlich. Asey und seine Bagage betreten den Tatort, der örtliche Polizeivorsteher übergibt den Fall offiziell an Asey, da dieser mehr Erfahrung mit Kapitelverbrechen habe und zieht sich zurück. Es beginnt das Rätselspiel eines klassischen whodunit nach dem Muster von Agatha Christie oder J. S. Fletcher – mit dem Unterschied, daß die englische Steifheit und Adelsetikette mit der legeren, liberalen und unbeschwerten Art der Amerikaner vertauscht wird.

Asey wird klar, daß der Mord nichts mit Geld zu tun haben kann, schlicht aus dem Grunde, da niemand der Schauspieler über Geld oder andere Wertsachen verfügt. Es kann sich bei dem Motiv nur um Haß, Liebe, Eifersucht handeln, denn der hübsche Red, der zudem durch seine liebenswürdige Art zu Lebzeiten alle Frauenherzen im Sturm gewann, hatte selbst wenig Interesse an einer tiefergehenden Bindung – mit einer Ausnahme, er war in eine verheiratete Frau verliebt, die allerdings vorerst anonym bleibt.

Die falschen Fährten werden zahlreich gelegt und bis fast zum Ende des Dramas schwirrt dem Leser der Kopf, doch ganz zu Anfang wurde eine Fährte gelegt, die den Leser nicht mehr losläßt – obwohl die routinemäßigen Ermittlungen George, den Adoptivsohn von Mrs. Ballard, als unverdächtig eingestuft hatte, stellt sich am Ende das Gegenteil heraus. George hat nämlich jenen charmanten Red aus dem Weg geräumt, weil dieser in dessen Gattin verliebt war und sie monatelang mit Liebesbriefen traktiert hatte. George ahnte nicht, daß Red bei seiner Werbung auf Granit biß.

Schon zuvor hatte George in Boston dafür gesorgt, daß Red geschäftlich ruiniert wurde um ihn aus der Stadt zu treiben, doch Reds Briefe nahmen kein Ende, so daß George beschloß seinen Kontrahenten planmäßig und heimtückisch aus der Welt zu schaffen. Doch während er den Mord in die Tat umsetzte, geschah ihm ein Mißgeschick, das ihm zum Verhängnis wurde. Bei diesem Mißgeschick handelt es sich um die Begegnung mit einem Skunk, der George offenbar mit seiner stinkenden Flüssigkeit bespritzte – und seine Pläne beträchtlich in Unordnung brachte.

Wie anfangs bereits erwähnt, hätte der Roman etwas mehr Detailreichtum vertragen, denn die Autorin macht sich keine große Mühe um die spezielle Atmosphäre Cape Cods zu beschreiben, da ihre Leserschaft schon recht gut informiert war um dieses provinzielle Nest zu begreifen – auch die Übersetzung wird einiges unterschlagen haben, das einem besseren Verständnis dienlich gewesen wäre.

Aber genau darin besteht auch der große Vorteil eines Serienhelden, der in einer Stadt oder in einer bestimmten Region tätig ist. Man führt seinen Lesern diesen Helden vor, man beschreibt die örtlichen Gegebenheiten und die Atmosphäre des Romans, und kann schon beim nächsten oder übernächsten Roman sich ganz der Detektion widmen, denn unser Held ist ja bereits bekannt, wird wiedererkannt, und so spart sich der Autor viele Hintergrundinformationen.

Dennoch hat Taylor die wandernde Schauspieltruppe ganz treffend analysiert, es sind Gestrandete, die von der Weltwirtschaftskrise arg gebeutelt wurden. Ein Phänomen der Vereinigten Staaten, das offenbar Ende der 1920er Jahre verstärkt eingesetzt hatte und bis heute andauert. Während die Welt es als selbstverständlich betrachtet, daß chinesische Wanderarbeiter millionenfach zu Hungerlöhnen die neuen Metropolen der Welt aufbauen, wundert sich der Mensch, daß auch in den USA ähnliche Phänomene zu beobachten sind, Menschen die in ihren Wohnmobilen von einem Amazon-Standort zur nächsten Billiglohn-Quelle fahren und keine feste Bleibe mehr haben, weil sie es sich trotz ihres Jobs einfach nicht mehr leisten können. Auch Europa wird von dieser Inspiration mobiler Alltagsgestaltung kaum verschont bleiben.

Aber um zurück auf den Roman zu kommen. Artisten im Nebel ist ein überaus solider, nahezu perfekt konstruierter Kriminalroman, der nur durch seine Routiniertheit etwas schwächelt. Die Charaktere sind interessant und teilweise liebenswert, das Lokalkolorit hätte etwas mehr Farbe benötigt. Besonders gelungen ist die Szene mit dem alten Sonderling, einem Einsiedler, der sich mehr mit der Natur und den Tieren abgibt als mit Menschen, denen er wenig Vertrauen entgegenbringt. Er lebt verwahrlost in einer abbruchreifen Hütte und wird von Asey geschickt ausgefragt.

Auch die falschen Fährten sind ausgesprochen geschickt konstruiert, so daß der Leser schon recht bald, trotz seiner natürlichen Abneigung gegenüber George, verunsichert wird und seinen eigenen Instinkten zu mißtrauen beginnt. Als Asey seinem Verdächtigen am Ende die Beweiskette vorträgt, wird der Roman wieder recht amerikanisch. Denn statt George festzunehmen, überreicht Asey ihm die Mordwaffe mit einer Patrone, so daß George die Gelegenheit am Schopfe faßt und sich selbst richtet.

Noch ein interessantes Detail ist die Tatsache, daß George persönlich nur einen einzigen leibhaftigen Auftritt in dem Roman genießt, nämlich am Ende des Buchs, als Asey ihn des Mordes überführt. Alle anderen Erwähnungen dieser Figur basieren auf Gedanken, Telegrammen, Telefonaten usw., der Mörder ist bis zu seinem Ende unsichtbar.