T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

M. B. Hohenofen, das ist Matthias Blank: »Der Vampir Großstadt«, 1923
von Mirko Schädel



M. B. Hohenofen, das ist Matthias Blank: Der Vampir Großstadt, Dresden:Berga-Verlag 1923, Jens Rohlfs mystisch-abenteuerliche Erlebnisse Band 6, 155 Seiten, Umschlag von C. Kähling


M. B. Hohenofen, das ist Matthias Blank, 1881–1928, benutzte unter anderem die Pseudonyme: E. Berlepsch, Bernhard Birkenau, M. B. Birkenau, S. S. Birkenau, Matthias Blank-Hohenofen, B. Brandeis, M. B. von Hohenofen, M. von Weßling, B. Weßling, M. E. Burg, R. Walther, Theodor Offenstetten, Theo von Blankensee usw. Am 14.6.1881 in München geboren, wurde Blank zum typischen Vielschreiber. Er lebte in Meißen in der Burgstraße und starb dort am 6.12.1928.

Der Vampir Großstadt, 1923, ist ein amüsanter und recht spannender Kriminalroman, der von der außergewöhnlichen Kombinationsgabe Sven Rolfs zu berichten weiß, die an Gedankenleserei grenzt. Doch Blank läßt keinen Zweifel an der realistischen, logischen Detektivarbeit des Jens Rolf, der ganz in der Tradition von Poes Detektiv Dupin und Doyle Detektiv Sherlock Holmes steht. Tatsächlich gibt der Autor seine Bewunderung dieser beiden literarischen Detektive zum Ausdruck, denn Jens Rolf erwähnt diese beiden Helden lobend als seine eigenen Vorbilder.

In dieser Geschichte beobachten Jens Rolf und sein Freund Karl Maßberg zu Anfang zwei Fahrgäste in einem Zug im Abteil der vierten Klasse. Eine junge, attraktive Blondine zum einen, von der Rolfs Freund Maßberg nicht den Blick abwenden kann, sowie ein alter, wettergegerbter Bauer vom Lande, der immer wieder eifrig einen Brief hervorholt, der ihn offenbar emotional erschüttert.

Jens Rolfs Besserwisserei und schlaue Kombinations- und Beobachtungsgaben gehen seinem Freund Maßberg gehörig auf die Nerven, denn unser Detektiv stellt aufgrund seiner Beobachtungen dieser beiden Passagiere derart viele Schlußfolgerungen zur Schau, daß Maßberg diesen Aufschlüssen seines Freundes nicht recht traut – tatsächlich wehrt sich letzterer mit Händen und Füßen gegen Rolfs Theorien zu den beiden Passagieren, denn er glaubt es selbst besser zu wissen. Auch die Arroganz seines Freundes reizt seinen Widerspruch. All diese Analysen führen bei Maßberg nur zu einem Gefühl des Zornes und einer aufkeimenden Konkurrenz – Maßberg fühlt sich zurecht von Jens Rolf in den Schatten gestellt. Maßberg hat den Eindruck, daß sein Freund der Detektiv sich unablässig über ihn lustig macht.

Am Hauptbahnhof verlassen die Passagiere den Zug, die blonde Schönheit betritt den Bahnsteig und wird dort von einem übereleganten jungen Herrn erwartet. Gleichzeitig will der alte Bauer vom Lande in diesem jungen Mann seinen Sohn erkannt haben, doch letzterer wendet sich ab und gibt zu erkennen, daß er nicht derjenige sei, für den der alte Mann ihn hält. Diese Situation nutzt Jens Rolf um dem alten Mann zu helfen – und er verabschiedet sich von seinem Freund Maßberg. Er, Jens Rolf, komme am Abend vorbei zu einer Partie Schach…

Der Leser ahnt bereits eine verwickelte Doppelgänger-Geschichte, und daß Jens Rolf seinen Freund Maßberg am folgenden Abend im Schach bezwingen wird. Anschließend verabschiedet sich Jens Rolf, denn er hat noch zu tun. In der gleichen Nacht wird ein Einbruch auf eine Bank verübt – in der jener junge Mann, der den vornehmen Stutzer am Bahnsteig spielte, als Prokurist arbeitet. Der Herr Prokurist Melchior Melzer ist nämlich in die Fänge des Vampirs der Großstadt geraten. Er führt ein Doppelleben, zum einen die bescheidene Existenz eines zuverlässigen Bankbeamten mit angemietetem Zimmer, zum anderen jedoch noch die weitere Existenz eines angeblichen Barons mit hübscher Wohnung, die er durch kleine Börsengeschäfte mit etwas Glück finanziert. Der junge Mann befindet sich im Liebesrausch, seine Angebetete ist jene blonde Frau, die er am Bahnsteig erwartete, eine angebliche Komtesse Paradutti, tatsächlich aber die ehemalige Stenotypistin einer Parfümerie.

Interessant für die Klärung des Bankeinbruchs dürfte aber sein, daß der Tresor und die Stahlkammer nicht beschädigt wurden, und daß die Einbrecher sich der Schlüssel und eines Kennwortes bedient haben über die nur der Prokurist, der Kassierer und der Direktor der Bank hätten verfügen können.

Jens Rolf hat es mit sehr geriebenen Verbrechern zu tun, denn diese wollen den Verdacht auf eine bestimmte Person lenken. Der Prokurist Melchior Melzer sollte für die Gangster den Kopf hinhalten, dafür hatte jene Blondine ein erotisches Interesse geheuchelt. Man wußte um das Doppelleben des jungen Prokuristen und wollte jeglichen Verdacht auf ihn lenken, am Ende schob man ihm während eines Besuchs in einer Spielhölle auch noch einige der entwendeten Banknoten unter, deren Nummern bekannt waren.

Karl Maßberg, Sven Rolfs Pendant eines Dr. Watson, fühlte sich über alle Maßen gekränkt und wird sich in diesem Fall selbst als Detektiv betätigen, und obwohl man ihm ein gewisses Talent nicht absprechen kann, so ließ er sich allerdings zu einigen weitreichenden Trugschlüssen herab. Er war es, der den Prokuristen Melzer an die Polizei verrät, vielmehr dessen Doppelexistenz eines liebestollen Barons.

Jens Rolf hingegen verfolgt die richtige Spur, er observiert tagelang die falsche Komtesse Paradutti, die Blondine nämlich, die dem Prokuristen Melzer den Kopf verdreht hat, und eines Tages gelingt es dem Detektiv sie bei ihrem Besuch des großen Unbekannten, des Drahtziehers der Verbrechen, zu beobachten. Aus dem Äußeren des Drahtziehers wird Jens Rolf trotz der Maskerierung, die sich der Mann hat angedeihen lassen, schnell klar, daß diese Figur mit dem Bankdirektor identisch ist, doch wird der Detektiv bei seiner Schnüffelei erwischt und findet sich gebunden in dem Keller des Hauses wieder, wo er mit einer Apparatur eines Helfershelfer konfrontiert wird, die wie eine Zeitschaltuhr automatisch in fünf Stunden einen Schuß auf Jens Rolfs gefesselten Körper abgibt.

Doch Rolf weiß sich zu helfen, er nutzt die Zeit und beginnt die Stricke an dem Mauerwerk des Kellers zu scheuern. Er kann sich in letzter Minute befreien. Darauf schlüpft er in die Maske des Bankdirektors und Verbrecherkönigs, der ja ebenfalls ein Doppelleben führt, um auch die zwei Helfershelfer zu fassen. Als er diese beiden Verbrecher überwältigt und der Polizei übergeben hat, eilt der Detektiv zur Bank und läßt den Direktor des Hauses verhaften.

Prokurist Melchior Melzer, dessen Doppelleben ihn so verdächtig gemacht hatte, der aber ganz unschuldig ist an dem Verbrechen, wird auf freien Fuß gesetzt und ist nunmehr von dem Vampir Großstadt geheilt. Er wird die liebliche Tochter seiner Wirtin heiraten und eine bürgerliche Existenz führen, während Jens Rolf künftig weitere Partien Schach gegen seinen Freund Maßberg gewinnen wird.


Der Roman ist recht naiv, aber durchaus spannend erzählt. Die Konstruktion ist gelungen – und der Roman kommt ohne Exotismus oder phantastische Elemente aus. Es handelt sich um einen handfesten Detektivroman, der sich mit Doppelgängertum, falschen Fährten, Maskeraden und dergleichen mehr beschäftigt. Auch die schwülstige, jugendgefährdende Erotik des Romans Die Experimente des Doktor Mors findet sich in diesem Roman nicht. Das Buch ist vollkommen harmlos und wirkt streckenweise pädagogisch und moralisch, als hätte der Autor die Absicht gehabt seine Leser vor dem Verbrechen und dem exzessiven Leben zu warnen. 

Ich persönlich bevorzuge eher die randständigen, exzessiveren und bizzareren Stoffe, dennoch kann ich dem vorliegenden Buch eine gewisse Qualität nicht absprechen. Trotz der verwirrenden Wendungen und der verwickelten Handlung gelingt es dem Autor eine scheinbare Plausibilität und Glaubwürdigkeit zu schaffen. Die Konkurrenz zwischen dem Laien-Detektiv Karl Maßberg und seinem Meister Jens Rolf ist amüsant. Der Leser kann die Gefühle Maßbergs nachfühlen, der sich gern an der arroganten Nervensäge Jens Rolf rächen würde und der sich zurecht an der Besserwisserei und Überlegenheit des Meisterdetektivs reibt – doch ausgenommen Sherlock Holmes und Detektiv Dupin hatte es bislang niemanden gegeben, der dem großen Jens Rolf hätte das Wasser reichen können.