Bert Andreas: »H. 21. Mata Hari, Spionin und Tänzerin«, 1934
von Mirko Schädel
Bert Andreas: H 21. Mata Hari, Spionin und Tänzerin, Hamburg: Uhlenhorst-Verlag 1934, 200 Seiten
Bert Andreas, das ist Herbert Friedrich Andréas, 1914 –1984, war ein deutscher Journalist, Historiker und Bibliograph. Andreas wurde aufgrund seiner Gesinnung mehrfach von den Nazideppen inhaftiert. Seine Flucht begann 1934 über das Saargebiet nach Paris und Belgien. 1936 war er in Holland. Er nahm aus Verehrung von Bert Brecht, den Vornamen Bert an. Andreas gehörte ab Ende 1943 dem niederländischen Widerstand an. Von 1944 bis 1952 war er als Geschäftsführers des Verlages Republiek de Letteren in Amsterdam tätig.
Gegen Kriegsende begann er mit der Sammlung einer Bibliothek zur Theorie und Praxis der Arbeiterbewegung. 1952–1962 war er Mitarbeiter der Bibliotheca Giangiacomo Feltrinelli. Während dieser Zeit entdeckte er unbekannte Dokumente der Familie Marx und fand die Bibliothek des 1840 gegründeten Genfer Allgemeinen Arbeitsvereins mit Exemplaren von Moses Heß und Johann Philipp Beckers in einem Kohlenkeller. Seine wichtigste wissenschaftliche Arbeit war vermutlich seine Bibliografie der Drucke und Übersetzungen des Manifests der Kommunistischen Partei. 1966–1984 widmete sich Andréas der Erforschung des Lebens von Marx und Engels von 1844 bis zum Manifest.
In H. 21. Mata Hari, Spionin und Tänzerin stilisiert Andreas seine Heldin zu einer Frau, die zum Spielball der europäischen Großmächte wird und irgendwann erkennt, daß der Krieg und ihre Spionagetätigkeit absurde und groteske Züge trägt. Mata Hari avanciert zum Opfer der Zeitgeschichte und der Umstände, die sie zu dem haben werden lassen, was sie ist: eine Doppelagentin. Doch die Romanze zu einem russischen Offizier läutern sie, ihr Gewissen und ihre Reflektion beginnt an dem Punkt, wo sie erfährt, daß ihr russischer Geliebter durch eine Kriegsverletzung erblindet ist. Sie kennt nur noch ein Ziel, ihren Geliebten von dem provisorischen Frontspital nach Paris und von dort in die russische Heimat zu schaffen. Dort will Mata Hari mit ihrem mondänen Leben abschließen und künftig als treusorgende Gattin privatisieren. Ihren Spionagetätigkeit soll ihr die Mittel verschaffen diese Flucht zu finanzieren.
Parallel dazu wird die Geschichte ihres ersten Mannes erzählt, der britische und dann niederländische Offizier, der unehrenhaft aufgrund eines Sexskandals aus der Armee entlassen wurde und dann in Paris völlig herabkam, bis er eines Tages von der deutschen Auslandsspionage angeworben wird. Doch bei seinem ersten Versuch eines Diebstahls von Geheimpapieren wird er erwischt und heimlich und unauffällig nach London geschafft, wo er in einem Gefängnis lautlos verschwindet.
Während Mata Hari als große Künstlerin von der besten Gesellschaft gefeiert wird – und der Autor spart nicht an exotistischen und erotischen Kitsch bei der Beschreibung ihrer Auftritte, wissen sowohl der französische Geheimdienst, als auch der deutsche Auslandsgeheimdienst von Mata Haris tatsächlicher Biographie. Die Öffentlichkeit glaubt den Eigenzeugnissen Mata Haris allzu gern, nämlich daß sie eine südostasiatische Prinzessin sei, die in Indien sich zur Tempeltänzerin hat ausbilden lassen und dann aufgrund religiösen und rituellen Geheimnisverrats aus Indien flüchten mußte.
Tatsächlich aber war sie eine Niederländerin, deren Mutter javanische Wurzeln hatte. Mata Hari heiratete den Offizier MacLeod in Niederländisch-Indien, dort sei es zu einem Skandal gekommen, der darin gipfelte, daß die junge Dame zeitweise in einem Bordell gearbeitet habe. Mit diesen Informationen hatten die Geheimdienste Mata Hari vollkommen in der Hand. So in etwa die Version des Autors.
Am Ende des Romans enttarnt der englische Geheimdienst Mata Haris Doppelagententätigkeit. Die Informationen werden den alliierten Freunden des französischen Geheimdienstes zur Verfügung gestellt, die ad hoc die Verhaftung Mata Haris einleiten.
Mata Haris befindet sich derweil auf einem Dampfer mit ihrem russischen Geliebten unweit von Marseille. Dort stoppt ein französisches Kriegsschiff den Dampfer und Mata Hari wird verhaftet und nach Paris ins Frauengefängnis geschafft. Die Gerichtsverhandlung wird eröffnet und die Spionin zum Tode verurteilt.
Andreas hüllt die Figur der Mata Hari in ein mystisches Dunkel, verklärt sie zu einer liebenden Dulderin, die Opfer der herrschenden Verhältnisse geworden ist. Die Quellenlage, die ihm für seinen Roman zur Verfügung stand, dürfte sehr fragwürdig und fragmentarisch gewesen sein. Mata Hari selbst hatte großes Interesse ihr Leben in ein ungewisses Dunkel zu hüllen, was der Wahrheitsfindung ohnehin sehr abträglich gewesen ist. Doch eines zeigt der Roman recht deutlich, nämlich die Absurdität des Krieges, wo jedes Individuum zum Spielball grotesker, fremdbestimmter Interessen werden muß.