T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Reinhold Fritz Grosser: »Die Frau mit dem Gaminkopf«, 1921
von Mirko Schädel



Reinhold Fritz Grosser: Die Frau mit dem Gaminkopf, Hamburg: Alster-Verlag 1921, John Class-Serie Band 2, 192 Seiten


Reinhold Fritz Grosser, 1895–?, war Städtischer Angestellter. Lebte von 1921–1935 in Saulhau, dann in den 30er Jahren in Strausberg bei Berlin, nach 1945 in der DDR.

Die Frau mit dem Gaminkopf, 1921, ist ein typischer Detektivroman, der Doyles Figur des Sherlock Holmes nur allzu gern nacheifert. In diesem Fall handelt es sich um den in London lebenden Detektiv John Class, der einigen rätselhaften Kriminalfällen nachgeht.

Anhand von kleinsten Beobachtungen und Indizien weiß John Class bereits im voraus, wer ihn mit welcher Absicht besucht, seine Schlüsse grenzen an übersinnlichen Fähigkeiten, sind aber tatsächlich einer großen Sensibilität, genauer Beobachtungsgabe und der Logik geschuldet.

In diesem Roman versucht John Class einer mehr oder weniger bekannten Juwelenräuberin namens Mabel Grey das Handwerk zu legen. Mabel Grey ist eine Trickbetrügerin und meisterhafte Einbrecherin, die gemeinsam mit ihrem bemitleidenswerten Gatten die Verbrechen verübt. Der Gatte Mabel Greys ist nicht ganz freiwillig der Helfershelfer, denn Mabel setzt ihn unbarmherzig unter Druck und droht ihn zu verlassen, wenn er ihr bei ihren Plänen zuwiderläuft.

John Class ist übrigens ein reicher Schnösel und Kosmopolit, der etwa 1,5 Millionen Dollar von seinem Vater geerbt hat – letzterer wurde in den USA ermordet, und Class schwor sich den Mörder seines Vaters zu jagen. Das ist auch der Grund, warum Class Detektiv wurde. Darüberhinaus erfährt der Leser, daß Class unzählige Damenbekanntschaften amouröser Art pflegt – und er dem fashionablen Leben huldigt. Desweiteren raucht unser Detektiv opiathaltige Zigaretten und ist auf allen Feldern der modernen Wissenschaft bewandert – ebenso ist Class ein erstklassiger Sportsman. Mit anderen Worten: John Class ist eine Kreuzung von James Bond und Sherlock Holmes – ein früher Superheld, modisch versiert, überlegen, souverän etc. pp.

John Class findet die Spur des Ehepaars Grey und observiert die beiden Verbrecher. In Glouchester überwältigt er den Gatten der berühmten Mabel Grey, der sich bei John Class dann mit seiner bemitleidenswerten Lebensgeschichte revanchiert und außerdem berichtet, wie sehr er unter den Pantoffeln seiner durchtriebenen Gattin gestanden hat.

Empathisch wie John Class offenbar ist, läßt er den Mann laufen, allerdings nur nachdem dieser das Versprechen gegeben hat im Ausland ein neues Leben zu beginnen. Danach widmet er sich wieder der durchtriebenen Mabel Grey, die er bei einem ihrer geplanten Einbrüche stellt. Doch die gute Mabel trickst John Class aus, und letzterer nimmt kurz darauf seine allerletzte Chance wahr die Gegnerin zu stellen. Er läßt alle Ausgänge des Hotels, in dem Mabel abgestiegen ist, von Polizisten besetzen und hockt sich selbst in einen Keller, der auch als Notausgang benutzt werden kann. Mabel geht in die Falle und John Class revanchiert sich an Mabel Grey mit einem Bluff, er trickst die weltläufige Dame aus und übergibt sie der Polizei. In der Haft suizidiert sich Mabel Grey – und John Class erstattet Mabels Beute den tatsächlichen Eigentümern.

Der Roman ist eine naive Detektivgeschichte, die sicher von Grosser künstlich aufgebläht wurde, denn die Geschichte ist recht schlicht und streckenweise auch sehr langweilig. Mir scheinen ganze Passagen als Füllmaterial gedient zu haben um halbwegs ein Format zu erreichen, das womöglich der Verlag vorgegeben hatte.

Reinhold Fritz Grossers Held ist jedoch von populärwissenschaftlichem Interesse, denn er bemüht sich redlich mit Sherlock Holmes konkurrieren zu können. Wenn Holmes Geige spielt, so klimpert John Class auf seinem herrlichen Flügel, die Parallelen dieser beiden literarischen Helden sind Legion. Nur macht Grosser den Fehler nicht gleich einen Watson mitgeliefert zu haben, denn erst durch die Figur eines Watson bekommt ein Text die notwendige Dynamik und Glaubwürdigkeit, eine zusätzliche Perspektive und eine Reflexionsebene, die Grossers Held John Class eben nicht hat, aber durchaus gebraucht hätte. Die Figur soll einen Superhelden charakterisieren, aber am Ende des Romans landet der zum Sprung ansetzende Tiger als ein etwas verstaubter und harmloser Bettvorleger. Ich habe schon bessere Romane von Reinhold Fritz Grosser gelesen, aber auch schwächere. Schön ist zumindest die Idee einer weiblichen Antipodin, ein weibliches Pendant des klassischen Gentleman-Verbrechers, denn nichts anderes soll Mabel Grey darstellen.