T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Edward Lucas White – Alpträume und Schwarze Magie
von Robert N. Bloch


Ed­ward Lu­cas Whi­te er­blick­te am 18. Mai 1866 in Ber­gen, New Jer­sey als Sohn von Tho­mas Hur­ley Whi­te und Ka­te But­ler Whi­te, geb. Lu­cas das Licht der Welt. Bis zu sei­nem sech­sten Le­bens­jahr leb­te er in Broo­klyn, New York, da­nach bei sei­ner Groß­mut­ter am Strand des La­ke Se­ne­ca. Als er elf Jah­re alt war, zog er mit sei­nen El­tern nach Bal­ti­mo­re, Ma­ry­land, wo er den Rest sei­nes Le­bens ver­brach­te. Nach­dem er die 'Uni­ver­si­ty School for Boys' von 1882 bis 1884 be­sucht hat­te, stu­dier­te er von 1884 bis 1891 – un­ter­bro­chen von ei­ner Rei­se auf ei­nem Se­gel­schiff nach Rio de Ja­nei­ro und ei­nem drei­mo­na­ti­gen Auf­ent­halt in Eu­ro­pa, um sich in Bild­hau­e­rei und Ar­chi­tek­tur wei­ter­zu­bil­den – an der John Hop­kins Uni­ver­si­ty klas­si­sche Spra­chen und er­hielt 1888 den B.A. Da­nach war er als Leh­rer für Grie­chisch und La­tein tä­tig, 1892–1895 an der Friends High School, 1899-1915 an der Boys’ La­tin School und 1911–1930 an sei­ner ehe­ma­li­gen Schu­le, der Uni­ver­si­ty School for Boys.

Er hei­ra­te­te am 28. No­vem­ber 1900 Agnes Ger­ry [ver­stor­ben 1927]. Die Ehe blieb kin­der­los.

Sein er­stes Buch war ei­ne Ge­dicht­samm­lung, Nar­ra­ti­ve Ly­rics (1908). Sein er­ster hi­sto­ri­scher Ro­man El Su­pre­mo. A Ro­man­ce of the Gre­at Dic­ta­tor of Pa­ra­guay um Ro­dri­guez de Fran­cia (1766–1840) er­schien 1918. Es folg­ten die rö­mi­schen Schel­men­ro­ma­ne The Un­wil­ling Ve­stal. A Ta­le of Ro­me un­der the Cae­sars (1918) und An­di­vi­us He­du­lio. Ad­ven­tu­res of a Ro­man No­ble­man (1921), die ho­he Auf­la­gen er­reich­ten. Whi­tes letz­ter hi­sto­ri­scher Ro­man um die schö­ne He­le­na der Grie­chen hieß He­len. The Sto­ry of the Ro­man­ce of He­len of Troy (1925). 1927 folg­te das Sach­buch Why Ro­me Fell und 1932 der sei­ner ver­stor­be­nen Frau ge­wid­me­te Ro­man Ma­tri­mo­ny

Da­ne­ben schrieb er ei­ni­ge kom­pe­ten­te Hor­ror­ge­schich­ten (auf ei­ge­ne Träu­me zu­rück­ge­hend, wie der Au­tor be­haup­te­te), die in den Bän­den The Song of the Si­rens and Ot­her Sto­ries (1919) und Lu­kun­doo and Ot­her Sto­ries (1927) ge­sam­melt wur­den.

In »The Song of the Si­rens« er­zählt ein tau­ber Ma­tro­se von ei­ner Fahrt in den In­di­schen Oze­­an, auf dem die Mann­schaft sei­nes Schiffs den Si­re­nen be­geg­ne­ten, wun­der­schö­nen Frau­en mit blau­grü­nen Fe­dern als Haar. Ver­zau­bert vom Ge­sang der Si­re­nen schar­ten sich die Män­ner wie er­starrt um sie und star­ben schließ­lich an Hun­ger und Durst. Nur der tau­be Er­zäh­ler über­leb­te.

Whi­tes Fä­hig­keit, alp­traum­haf­te Phan­ta­sie mit kühl di­stan­zier­ter, re­a­lis­ti­scher Be­schrei­bung ana­to­mi­scher und an­thro­po­lo­gi­scher Art zu ver­bin­den, kommt in sei­ner be­rühm­te­sten, un­zäh­li­ge­ma­le an­tho­lo­gi­sier­ten Er­zäh­lung um schwar­ze Ma­gie »Lu­kun­doo« zum Tra­gen. Auf ei­ner Ex­pe­di­tion durch den Dschun­gel wird Sto­ne vom Fluch ei­nes afri­ka­ni­schen Me­di­zin­manns heim­ge­sucht, der klei­ne schwar­ze Män­ner aus sei­nem Fleisch wach­sen läßt. »Die Schwel­lung auf der rech­ten Sei­te war auf­ge­bro­chen. Van Rie­ten rich­te­te den Licht­strahl dar­auf, und wir sa­hen sie ganz deut­lich. Aus dem Fleisch rag­te oder viel­mehr wuchs ein Kopf her­vor, ein Kopf von der Art der ge­trock­ne­ten Exem­pla­re, die uns Et­cham ge­zeigt hat­te, so­zu­sa­gen die Mi­ni­a­tur des Kop­fes ei­nes Ba­lun­da-Zau­be­rers. Er war schwarz, glän­zend schwarz wie die schwär­ze­ste afri­ka­ni­sche Haut. Er roll­te die bö­sen klei­nen Au­gen, de­ren Weiß hell schim­mer­te, und fletsch­te die win­zi­gen Zäh­ne zwi­schen den in ih­rer ro­ten Flei­schig­keit selbst in ei­nem so klei­nen Ge­sicht ab­sto­ßen­den ne­gro­i­den Lip­pen. Der mit krau­ser Wol­le be­deck­te Kopf fuhr bö­se hin und her und schwatz­te un­auf­hör­lich in die­sem un­glaub­li­chen Fal­sett...« (Kurt Sin­ger [Hg]: Hor­ror I. Stutt­gart 1969, S. 17)

Schwar­ze Ma­gie ist eben­so das The­ma in »The Pig-Skin Belt« um den ma­gi­schen An­griff ei­nes Le­o­par­den, der sich in ei­ne Frau ver­wan­delt, und in »Sor­cery Is­land« um ei­nen ex­zen­tri­schen He­xer, des­sen spi­ri­tus rec­tor ein Gän­se­rich ist.

»The Snout« gibt das Ge­ständ­nis ei­nes Ein­bre­chers wie­der, der bei ei­nem Die­bes­zug in ei­nem Haus, das vol­ler Ge­mäl­de mit tier­köp­fi­gen Men­schen hing, auf den Be­sit­zer traf, ein zwer­gen­haf­tes We­sen mit ei­nem Pa­vi­an­kopf. In »The Mes­sa­ge of the Sla­te« läßt Lle­wel­lyn nach dem Tod sei­ner er­sten Frau zwei Sär­ge be­gra­ben und ver­harrt seit­dem in son­der­ba­rer Pas­si­vi­tät. Sei­ne zwei­te Frau, die sei­ne Käl­te spürt, folgt ih­ren Träu­men und kon­sul­tiert ein be­trü­ge­ri­sches Me­di­um, das ei­ne ech­te Bot­schaft an sie wei­ter­gibt. Die Bot­schaft be­sagt, wenn der zwei­te Sarg ge­öff­net wer­de, müs­se et­was Le­ben­des ster­ben. Sie öff­net den Sarg und fin­det dar­in ih­ren Gat­ten, der vor ih­ren Au­gen stirbt.

Die un­auf­fäl­li­ge und er­eig­nis­lo­se Exi­stenz des Ge­lehr­ten und Schrift­stel­lers Ed­ward Lu­cas Whi­te fand ein be­stür­zen­des und tra­gi­sches En­de. Un­er­träg­li­che Kopf­schmer­zen, die ihn über Jah­re hin­weg quäl­ten, führ­ten den Au­tor da­zu, sich das Le­ben zu neh­men. Er wur­de am 30. März 1934 von sei­ner Schwe­ster auf dem Bo­den sei­nes Ba­de­zim­mers in Bal­ti­mo­re tot auf­ge­fun­den. Er hat­te sich ver­gast.


Li­te­ra­tur zu Ed­ward Lu­cas Whi­te:

A. Se­ar­les: »Fan­ta­sy and Outré The­mes in the Short Fic­tion of Ed­ward Lu­cas Whi­te and Hen­ry S. Whi­te­he­ad« in: Dou­glas Ro­bil­lard (Hg): Ame­ri­can Su­per­na­tu­ral Fic­tion: From Edith Whar­ton to the Weird Ta­les Wri­ters. New York: Gar­land 1996


BI­BLIO­GRA­PHIE


Kurz­ge­schich­ten


THE HOU­SE OF THE NIGHT­MA­RE (1906)

1) DAS HAUS DER BÖ­SEN TRÄU­ME

Kä­the Rech­eis (Hg): DIE UHR SCHLÄGT MIT­TER­NACHT

Düs­sel­dorf 1976, Hoch Ver­lag 

2) DAS HAUS DER BÖ­SEN TRÄU­ME

Kä­the Rech­eis (Hg): DIE UHR SCHLÄGT MIT­TER­NACHT

Mün­chen 1981, DTVJr 7424 


LU­KUN­DOO (1907)

1) LAK­AN­DU

Kurt Sin­ger (Hg): HOR­ROR I

Stutt­gart 1969, Wolf­gang Krü­ger Ver­lag (S. 5-20)

Über­set­zung: Jo­a­chim A. Frank

2) LAK­AN­DU

Kurt Sin­ger (Hg): HOR­ROR

Frank­furt/Main 1971, Bü­cher­gil­de Gut­en­berg 

Über­set­zung: Jo­a­chim A. Frank 

3) LAK­AN­DU

Kurt Sin­ger (Hg): HOR­ROR

Stutt­gart 1971, Deut­scher Bü­cher­bund 

Über­set­zung: Jo­a­chim A. Frank 

4) LAK­AN­DU

Kurt Sin­ger (Hg): HOR­ROR 1

Mün­chen 1971, HTB 824 

Über­set­zung: Jo­a­chim A. Frank  

5) LU­KUN­DOO

Wal­ter Spiegl (Hg): ULL­STEIN KRI­MI­NAL­MA­GA­ZIN 22

Frank­furt/Main 1973, UTB 1523 (S. 110-125)

Über­set­zung: M. F. Ar­ne­mann

6) LAK­AN­DU

Lo­thar Sau­er (Hg): DIE HE­XEN-ESCHE

Frei­burg 1975, Ver­lag Her­der (S. 160-178)

Über­set­zung: Jo­a­chim A. Frank (Be­ar­bei­tung: Lo­thar Sau­er)

7) LUKUNDOO

Frank Festa (Hg): DAS ROTE ZIMMER

Leipzig 2010, Festa Verlag (H.P.Lovecrafts Bibliothek des Schreckens, Band 25) (S. 263-280)

Übersetzung: Sigrid Langhaeuser


THE PIC­TU­RE PUZZLE (1909)

1) DAS PUZZLE

Ri­chard Dal­by (Hg): KEIN FRIE­DE AUF ER­DEN (My­ste­ry

for Christ­mas, 1990)

Mün­chen 1992, KTB 3286 (S. 105-123)

Über­set­zung: Lo­re Straßl


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