T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

John Wilson versus Bill Cannon, zwei Groschenhefthelden
von Mirko Schädel



li.: [anonym]: John Wilson. Aus dem Geheimbuch des berühmtesten amerikanischen Detektivs, Heft 13: Die einsame Wassermühle, Dresden: Dresdner Roman-Verlag 1908–1910 [56 Nummern], je 32 Seiten; re.: [anonym]: Bill Cannon. Amerikas berühmtester Kriminalkommissar. Nach Aufzeichnungen aus seinem Leben, Heft 6: Die Mördersecte der Thuggs, Berlin: Mitteldeutsche Verlagsanstalt um 1908 [21 Nummern], je 16 Seiten – großformatige Heftserien



Die einsame Wassermühle, Heft 13 der Serie John Wilson, läßt mich nach der Lektüre schmunzeln. Die überaus naive Erzählweise und die unbedarfte, manchmal hölzerne Sprache sind nicht ungewöhnlich für die billige Unterhaltungsliteratur jener Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.

Wie üblich ist die gesamte Personage papiern, die Figuren sind holzschnittartig und stereotyp, gut und böse, schwarz und weiß – und alle Ingredenzien eines Kolportageromans kennzeichnen diese Heftserie, die sich wohl vor allem an Heranwachsende und junge Erwachsene als Zielgruppe wendete. Die Mittel der Kolportage werden hier archetypisch vor Augen geführt, Falltüren, abenteuerliche Fluchten, Brutalität, Aktionismus, feuchte Keller, Folter und dergleichen mehr.

John Wilson, mit seinem Bruder Fred aus New York kommend, wo die beiden erfolgreich einen Fall abgeschlossen haben, sitzen in der Nacht im Expreßzug nach Chicago, wo ein neuer Fall der Lösung harrt. Aber während der Zugfahrt beobachtet John Wilson, fortan der »Meister« genannt, einen torkelnden jungen Mann, der mit einer Laterne den Abhang zum Gleisbett hinunterstolpert. Im darauffolgenden Augenblick wird der junge Mann von einem schwarzbärtigen Verfolger niedergestochen. John Wilson macht auch seinen Bruder auf die Tat aufmerksam, die beiden beschließen den Zug mittels Notbremse anzuhalten, entrichten die nötige Kaution für diese Fahrtunterbrechung, und verlassen den Zug um zurück zum Tatort zu eilen. Dort finden sie die Leiche des jungen Mannes, die hinter ein paar Büsche gezogen wurde.

Fred Wilson wendet sich nach Westen, er soll in der nächstliegenden Stadt die Polizei von dem Verbrechen benachrichtigen, während der Meister den Spuren des Ermordeten rückwärts folgt, die er mittels einer elektrischen Taschenlampe zu identifizieren sucht. Er gelangt bei Sonnenaufgang an eine alte Mühle, wo der Müller und ein schwarzbärtiger Mann auf einem Kutschbock sich über einen offenbar verbrecherischen Plan unterhalten.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt, der Müller und der Schwartbärtige haben den jungen Mann einige Zeit gefangen gehalten und gefoltert um zu erfahren, wo dessen Vater eine Blechkiste versteckt hält, die Pläne zu einer sagenhaften Goldader enthält.

Der Müller ist ein intelligenzbefreiter Bullenbeißer, doof und kraftstrotzend, der Schwarzbärtige bewohnt mit seiner Frau ein Haus in der nahe gelegenen Kleinstadt, in das der Meister eindringt, aber wegen einer Falltür in einem Kellerverließ landet, wo er zu verschimmeln droht. Doch der Meister befreit sich natürlich aus der ausweglosen Gefangenschaft und nimmt die schöne Frau des Verbrechers in Haft, die dem Meister zwar anbietet sich mit Leib und Seele hinzugeben, wenn sie geschont wird – doch der Meister hat andere Ambitionen.

Die Verbrecher entführen auch den Vater des Ermordeten und wollen an ihm den gleichen Vorgang wiederholen, ihn foltern bis er verrät, wo sich jener Blechkasten befindet, der den Plan des Goldschatzes enthält. Im letzten Augenblick befreit der Meister jedoch den alten Herrn, auch seinen Bruder Fred, der gefesselt in der Mühle liegt – er überwältigt die Verbrecher und schafft sie in die Stadt um sie der Gerechtigkeit zu überantworten.

John Wilson ist keineswegs ein Epigone Sherlock Holmes, sondern eher die amerikanische, tatkräftige und aktionistische Variante. Er löst die Fälle nicht so sehr durch seine intellektuellen Fähigkeiten, sondern ist der Vorläufer einer Reihe von brutalen Verbrecherjägern, der den Schurken in Mut, Tatkraft, Schnelligkeit und Stärke überlegen ist.


Die Heftserie Bill Cannon ist von gleicher Machart, der einzge Unterschied besteht darin, daß der Autor sprachlich einen nicht ganz so hölzernen Stil gepflegt hat und etwas lebendiger zu schreiben wußte. 

Bill Cannon, der Sacramento gerade verlassen hatte um dann heimlich in die Stadt zurückzukehren, denn die indische Geheimsekte der »Thuggs« terrorisiert die Stadt – und niemand soll wissen, daß der berühmte Kriminalkommissar Cannon sich traut diesen Schurken die Stirn zu bieten.

Aber von Anfang an wissen die Thuggs von Cannons Vorhaben und schicken ihm einen Brief mit einer seidenen Schnur, die dem Erdrosseln von Feinden dient und eine Mitteilung, die Cannon informiert, daß er das nächste Opfer sein wird, wenn er sich nicht schnell aus dem Staub mache.

Auch der Polizeichef von Sacramento erhält eine gleichlautende Morddrohung und weiß Cannon in seinem Unterschlupf zu berichten, daß die Thuggs angekündigt haben ein angesehenes Mitglied der Gemeinde von Sacramento genau um 16.37  Uhr zu ermorden. Der Polizeichef hat bereits ein halbes Dutzend schwer bewaffneter Kollegen gesandt um diese angekündigte Hinrichtung zu vereiteln. Doch ist es für Cannon und dem Polizeipräsidenten bereits zu spät um den Tatort zu jener Zeit zu erreichen und selbst in die Geschicke einzugreifen – stattdessen rufen sie den bedrohten Herrn telefonisch an und erfahren, daß alles in bester Ordnung sei, und die Polizei ihn schütze – doch als im nächsten Augenblick die angekündigte Uhrzeit erreicht ist, endet das Gespräch abrupt und Cannon hört nur noch das Röcheln des Sterbenden.

Währenddessen wandelt Cannons Assistent Tom in der Verkleidung eines orientalischen Waffenhändlers durch die Spelunken und Kaschemmen Sacramentos um eine Spur der Thuggs zu entdecken, was ihm nach einiger Zeit auch gelingt.

Derweil Cannon und der Polizeipräsident nun an den Tatort eilen, wo der »Meister« das Mordzimmer untersucht und zufällig das Versteck des Mörders entdeckt, der sich dort noch verborgen hält und darauf einen heftigen Kampf anzettelt – und in der Folge erschossen wird. Nur kurze Zeit später werden Cannon und der Polizeipräsident im Hause des Ermordeten von eindringenden Thuggs überwältigt und dann in einem geheimen Zeremonienort der Sekte verbracht, wo sie als Menschenopfer den Götzen dargebracht werden sollen. Aber der Assistent Tom, der ebenfalls diesen geheimen Ort ausgekundschaftet hat, schickt einen Konstabler ins Präsidium um Hilfe zu ordern.

Kurz bevor Cannon und sein Begleiter hingerichtet werden, gelingt es den beiden mittels eines Überraschungsangriffs eine Offensive zu starten und als die beinah scheitert, dringen etliche Polizisten ein, die einen Teil der Thuggs erschießen und verletzen und die restlichen Schurken binden und ins Gefängnis schaffen.

Auch hier sind die Ingredenzien der Kolportage das Bindemittel des Spannungsaufbaus, die Figuren sind blaß und papiern, nur die sprachlichen Mittel der Bill Cannon-Nummer sind auf etwas höherem Niveau als die John Wilson-Serie. Die Texte dieser frühen Groschenheftserien sind offenbar aus der Lochstanze der Kolportage gefertigt, sie ähneln sich stark trotz der unterschiedlichen Fälle, um die es geht. Für den Sammler sind vor allem die Deckelillustrationen tröstlich, die der Sensation und dem Skandal verpflichtet sind. Diese Illustrationen strotzen von Abenteuer, Exotismus, Verbrechen und Mystifikationen aller Art, sie sind die perfekte Visualisierung der Kolportage.