T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Walther H. Kotas: »Vogel Roch«, 1931 und 1934
von Mirko Schädel



Walther H. Kotas: Vogel Roch, Leipzig, Wien: Hagenberg-Verlag 1934, 266 Seiten, Umschlag von Ferdinand Kòra, und: Walther H. Kotas: Vogel Roch, Wien: Arthur Wolf 1931, 264 Seiten, Schutzumschlag von Franz Taussig


Walter H[jalmar] Kotas, 1900–1956, war ein österreichischer Übersetzer, Schriftsteller und Verlagsmitarbeiter. Wie man bei vielen schreibenden Übersetzern beobachten kann, ist auch hier der Text stilistisch und sprachlich von höchster Qualität. Kotas war spezialisiert auf die skandinavischen Literaturen, wohl auch deshalb ist sein Held ein Däne. Vogel Roch, 1931, ist ein exotistischer Kriminal- und Abenteuerroman, der außerordentlich spannend ist.

Die Geschichte ist virtuos und mit einer großen atmosphärischen Dichte erzählt, die eine Reise auf einem Passagierdampfer von Europa nach Indien beschreibt. Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Menschen versuchen sich die Zeit zu vertreiben – bis zu dem Augenblick als die Gattin eines indischen Fürsten spurlos verschwindet.

Zur komödiantischen Szenerie gehört ein Ehepaar aus Leipzig, das Kotas auf unnachahmliche Weise sächsisch sprechen läßt, was im Schriftdeutschen lautmalerisch nachempfunden wird und den Leser immer mal wieder schmunzeln läßt. Darüberhinaus gibt es noch einen chinesischen Kaufmann namens Dr. Li-Tung, der seinerseits mit einer Flut chinesischer Weisheiten aufwartet, einen amerikanischen Millionär und Geschäftsmann mit Tochter, einen dubiosen Briten namens Viscount Rutham, die österreichische Klaviervirtuosin Hilde von Dühring, und etliche Nebenfiguren. Der Held der Geschichte ist der Däne Arvid Larsen, Verfasser von Detektivromanen  und in diesem Fall nimmt er eine ähnliche Stellung ein, denn Larsen agiert selbst als Detektiv – wird aber im letzten Drittel abgelöst von zwei professionellen Ermittlern.

Den chinesischen Kaufmann Dr. Li-Tung und den amerikanischen Millionär verbindet ein Haßliebe, ganz ähnlich ist das Verhältnis zwischen dem indischen Fürsten und dem englischen Viscount. Die beiden Orientalen halten sich für überlegen, beide sind überzeugt, daß die Tage der Vorherrschaft der weißen Rasse bald vorbei sein werden. Wie schon erwähnt, verschwindet die Gattin des indischen Fürstin spurlos des Nachts auf dem Deck des Dampfers, aber auch unser chinesischer Kaufmann ist nicht mehr aufzufinden.

Larsen glaubt nicht, daß der Chinese am Verschwinden der Dame beteiligt war, er vermutet vielmehr, daß man den Chinesen als unfreiwilligen Zeugen beiseite geschafft hat. Die einzige Zeugin des Vorfalls ist eine malayische Aufwartefrau, die aber nur malayisch spricht und deren Aussage mühselig von einem Dolmetscher übersetzt wird. Viel gibt diese Aussage nicht her, die Malayin faselt irgendetwas über einen Vogel Roch – und dies dient Larsen als Hinweis, denn Larsen spricht Arabisch und einige arabische Dialekte und hatte unlängst ein Abenteuer in Kairo zu überstehen, das ihn über einen Geheimbund namens Roch informierte. Außerdem deutet sich an, daß die Entführung in irgendeiner Weise mit dem Luftraum zu tun habe. Scheinwerfer sollen das Meer beleuchten auf der Suche nach einem flüchtenden Boot, das die Entführer benutzet haben könnten, doch ohne Erfolg. Larsen bittet den Kapitän auch den Himmel abzuleuchten, doch nur einen Augenblick wird dem Wunsch genüge getan, darauf erlischt der Scheinwerfer, da der Apparat angeblich einen technischen Defekt habe – was wiederum Larsens Verdacht erhärtet, daß auf dem Dampfer Helfershelfer der Entführer tätig sind, vermutlich unter der Mannschaft des Schiffs.

Kurz darauf verschwindet wieder ein Pärchen, diesmal handelt es sich um die Tochter des amerikanischen Geschäftsmanns und der dubiose Engländer Rutham, der beim Poker mit gezinkten Karten spielt. Kurz darauf will Larsen noch einmal die Malayin befragen, doch scheint diese unter Druck zu stehen, er reißt der Dame einen Teil ihres Kleides vom Leib, es zeigen sich blutige Striemen auf ihrer Schulter, dann flüchtet die Gedemütigte. Anschließend hören die Passagiere die Schreie der Malayin an Deck, man findet die Dame erstochen mit einem orientalischen Dolch, und während Larsen den Kapitän benachrichtigt, entfernt der Mörder jenen Dolch um Spuren zu beseitigen. Ein Matrose wird gefaßt, der unumwunden den Mord an der Malayin gesteht. Und unser amerikanischer Millionär regt sich zurecht über die Entführung seiner Tochter auf – bis der indische Fürst sich erbarmt und den amerikanischen Magnaten derart hypnotisiert, daß er das Verschwinden seiner Tochter vorerst vergißt.

Dies geschieht alles bis zur Hälfte des Roman, doch dann kippt die Konstruktion wohl oder übel in eine noch wildere Räuberpistole, denn langsam kristallisiert sich der wahre Sachverhalt heraus, der eine überaus triviale Geschichte enthüllt – dennoch sprachlich immer auf hohem Niveau und tatsächlich auch spritzig und humorvoll erzählt.

Bei dem Dampfer handelt es sich um ein Schiff, das zwei indischen Zwillingsbrüdern gehört, einer davon ist unser indischer Pseudo-Radscha. Tatsächlich beschäftigen die beiden Brüder sich jedoch mit Mädchenhandel – Mädchen, die sie von ihrem Schiff verschwinden lassen und einem zweiten Schiff zuführen, das die Mädchen dann in andere Gefilde bringen soll, wo man sie der Prostitution zuführt. Dazu beherbergt  der Dampfer auch eine riesige, geheime Eintrittsluke für ein Wasserflugzeug, dessen sich die Verbrecher bedienen.

Mindestens die Hälfte der Mannschaft ist in die Machenschaften der Inder involviert, auch der Funker – nur der Kapitän ahnt die wahre Tragweite dieser Verbrechen nicht. Die Passagiere bilden nach den Entführungen eine Art bewaffneter Bürgerwehr, und für den verschwundenen englischen Hochstapler wird unterwegs ein neuer Passagier aufgenommen, ein deutscher Professor der Orientalistik, der die Kabine des entführten Briten erhält.

Dieser klapprige Professor ist jedoch tatsächlich ein Detektiv der indo-britischen Polizei, ebenso übrigens wie unser chinesischer Kaufmann Dr. Li-Tung, der sein Leben ausschließlich den Kampf mit dem Verbrechen gewidmet hat. Es kommt zu tumultartigen, bewaffneten Auseinandersetzungen und auch alle Freuden der Kolportage begegnen uns auf diesem Schiff, Falltüren, geheime Gänge und Verließe, Hypnose, die vor allem von unseren indischen Freunden angewandt wird usw.

Am Ende eilen den Bedrängten Passagieren drei britische Torpedoboote zu Hilfe und die Verbrecher strecken die Waffen. Das letzte Kapitel erläutert dann umständlich die gesamten kriminellen Aktivitäten und die Spurenlage der Ereignisse, dabei erzählen unser anglo-britischer Detektiv Framer, der ehemals als schrulliger deutscher Professor getarnt war, und das chinesische Pendant Dr. Li-Tung aus ihrer Perspektive den genauen Hergang ihrer Aktivitäten. Auch unser dänischer Freund Larsen, der langsam von den professionellen Verbrecherjägern abgelöst wurde, findet noch Erwähnung, aber Kotas verschont uns am Ende mit ehelichen Verbindungen aller Art.

Wie verschroben der Hergang dieses Romans auch sein mag, und der Abfall der zweiten Hälfte ist beträchtlich, so spannend ist  das Buch dennoch – und es bleibt stilistisch und sprachlich immer von hoher Qualität. Der Autor hat aus unerfindlichen Gründen etwas den Faden verloren, denn wenn die Konstruktion der Geschichte mehr Plausibilität erlangt hätte und die Plots etwas variiert worden wären, dann wäre der Roman eine rundum gelungene Sache gewesen.

Kotas baut auch einige falsche Fährten in den Roman ein, so etwa die Scharade einer politischen Verschwörung der orientalischen Bevölkerung rund um den Indischen Ozean, die sich von der Vorherrschaft der Weißen befreien will, denn in den Laderäumen des Dampfers befinden sich Pakete mit politischen Flugblättern in arabischer Sprache – und auch das Wasserflugzeug soll für derartige Propaganda eingesetzt worden sein – doch letztenendes liefert Kotas dann eine ganz neue Geschichte und überraschende Motive, die nicht ganz zu dem Roman passen wollen und ihn unglaubwürdig machen. Die Parodie auf das sächsische Ehepaar Treitsche aus Leipzig läßt mich die dramaturgischen Schwächen des Romans verzeihen.