T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Gustav Winter: »Zivil-Soldaten. Detektiv- und Spionagegeschichten«, 1919
von Mirko Schädel



Gustav Winter: Zivil-Soldaten. Detektiv- und Spionagegeschichten, Leipzig: Carl Findeisen 1919, [Vorläufer der gesuchten Fred Gunther’s Abenteuer-Romanheftserie mit dem Journalisten Fred Gunther in der Titelrolle], 180 Seiten


Zivil-Soldaten. Detektiv- und Spionagegeschichten, 1919, ist eine Sammlung von drei längeren Detektiverzählungen ungewöhnlicher Bauart. Der Held der Geschichten ist der Redakteur und Detektiv Gunther, der sich vor allem für Verbrechen und ihre Aufklärung interessiert.

Die Erzählung In der Nacht zum Sonntag dreht sich um eine eigenwillige Interpretation der Verbrechensverhütung, denn Redaktur Gunther besucht den überaus talentfreien Kriminalkommissar namens Stengel in seinem Buro und eröffnet diesem, daß die hiesige Bank ein Sicherheitsdefizit habe. Er, Gunther, wolle einen Einbruch durchführen, aber nichts stehlen. Das gestohlene Geld und Gut wolle er erstatten, es gehe ihm nur darum, daß die Bank ihre Sicherheitsvorkehrungen verbessere. Zum Beweis seiner Redlichkeit setzen der Beamte und der Redakteur Gunther einen Vertrag auf, und unser Held hinterlegt als Garantie eine Summe von 5000 Mark.

Darauf beginnt eine Scharade von anonymen Briefen, die der Bankdirektor erhält, und es folgen rätselhafte Einbrüche in die Bankschließfächer und die Rückerstattung des Diebesguts. Doch Gunther spürt, daß seine Intention nicht recht verstanden wird. Auch erpreßt er für seine Hinweise auf die katastrophale Sicherheitslage der Bank mehrere tausend Mark, die er an sein Lieblingsprojekt weiterleitet. Er setzt sich nämlich für die Rehabilitierung von Strafgefangenen ein – und er bat auch um Spenden für diesen Verein bei dem Direktor der Bank, der jedoch davon nichts wissen wollte.

Da der Bankdirektor sich in seiner Not an einen Staatsanwalt wandte, denn nichts fürchtete er mehr als die öffentliche Meinung, beschließt Gunther die Sache auf die Spitze zu treiben. Aus seinem Verein der ehemaligen Strafgefangenen kann er zwei Kriminelle für sein Projekt gewinnen, die er zu einem Einbruch in den Tresorraum der Bank überreden kann. Einer davon, ein ehemaliger Schauspieler, tritt auch als Doppelgänger Gunthers auf, denn letzterer wird seit einiger Zeit von der Polizei observiert.

Die Einbrecher gelangen durch die Kanalisation unter das Stahlbetonfundament der Bank und fressen sich in einer Samstagnacht mit einem Säurehammer durch die Betonplatte. Als sich ein Loch im Fußboden des Tresorraums zeigt, steht Polizei und Staatsanwaltschaft bereit die Eindringliche zu verhaften. Auch Gunther befindet sich neben den Polizisten im Tresorraum und eilt zu dem Loch im Erdboden und springt hinunter in die Dunkelheit. Dort kommt es zu einem Schuß und einem Handgemenge, denn die beiden angeworbenen Verbrecher hatten unterdessen die Seiten gewechselt und wollten aus dem fingierten Einbruch einen echten machen. Gunther konnte jedoch mit Kommissar Stengel und dem unbekannt gebliebenen Vertrag mit dem er sein Vorhaben abgesichert hatte seine Unschuld beweisen, so daß er keine juristische Verfolgung zu befürchten hat.

Der lebende Tote, das zweite Abenteuer Gunthers, handelt von einer wilden Spionagegeschichte in der Schweiz, wo deutsche, italienische und französische Kräfte am Werk sind. Die Geschichte wirkt ausgesprochen realistisch und demonstriert ausführlich und detailliert die Interessen der Auslandsspionage während des Ersten Weltkriegs. Allerdings wird durch dieses Verfahren die Spannung getrübt und unterläuft einige Gesetzmäßigkeiten dieser Art Literatur, denn es geht zum Beispiel unter anderem um die Beschaffung von Fetten, in diesem Fall um italienisches Olivenöl, das für die Heimatfront trotz aller Widerstände beschafft werden soll.

Insofern kann dieses profane Thema deutlich ermüdend wirken und paßt so gar nicht zu den üblichen Spionagegeschichten. Das dritte Abenteuer des Redakteurs Gunther ist zeitgeschichtlich interessant und auch spannender. Es handelt sich um eine verwirrende Spionageschichte, die in Gunthers Ferien im Harz beginnt, als letzterer einen holländischen Professor kennenlernt, der seine Papiere verloren hat. Schon bald stellt sich heraus, daß der Professor offenbar einen Doppelgänger hat, der auch auf einen gleichlautenden Paß zurückgreifen kann und von Deutschland nach Rotterdam fährt um dort einen Dampfer zu erreichen und sich nach den USA abzusetzen.

Dann deutet einiges darauf hin, daß es sich bei dem falschen Professor offenbar um einen Hochstapler handelt, doch auch das scheint eine Finte zu sein. Der falsche Professor kehrt nach Holland zurück, wird von Gunther verfolgt und im Verlauf trickreich über die Grenze nach Deutschland geschafft. Die Verhaftung in der Heimat gerät allerdings zur Farce, denn es stellt sich heraus, daß der falsche Professor ein Agent der deutschen Auslandsspionage ist.

Die Erzählungen sind stark von den Ereignissen des Ersten Weltkriegs beeinflußt und ohne diesen Krieg auch kaum verständlich. Der Autor verfolgt eine, wie er immer wieder betont, demokratische und nationalistische Politik, während er gleichzeitig einen internationalen Völkerfrieden propagiert und antisemitische Ressentiments pflegt.

Das Buch ist zwar der Trivialliteratur zuzurechnen, aber doch eher von kulturhistorischem Interesse, und ein Leser typischer Spannungsliteratur wird von der Lektüre enttäuscht sein, denn die Auseinandersetzung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse rund um den Ersten Weltkrieg stehen im Mittelpunkt dieses Buchs. Dem Autor dienen die Erzählungen mehr der Darstellung seiner eigenen Perspektive dieser Jahre.

Der Stil und die sprachlichen Mittel sind differenzierter und gehobener als die der gewöhnlichen Unterhaltungsliteratur. Die erste Geschichte ist noch die stärkste, denn dort gerät die Handlung immer mehr zu einer Groteske, die den Zeitgeist der damaligen Zeit treffend charakterisiert. Aus diesen Texten scheint die Heftserie Fred Gunther’s Abenteuer im gleichen Verlag 1921 hervorgegangen zu sein. Tatsächlich wirbt der Verlag auf der letzten Textseite mit einer Fortführung der Gunther-Geschichten als D. D. R. – Deutsche Detektiv-Romane, die als Markbände demnächst erscheinen sollen.

Der Vorname unseres Helden wird übrigens nur einmal mit »Karl« erwähnt, klang aber wohl nicht so verkaufsfördernd, so daß man wohl auf »Fred« umschwenkte. Der Titel der Sammlung Zivil-Soldaten läßt noch eine interessante Facette des Textes erkennen, denn die handelnden Figuren sind allesamt nicht an der Front, sie sind dienstunfähig oder dienstuntauglich für den Kriegseinsatz. Um diesen Minderwertigkeitskomplex zu überwinden, erzählt uns der Autor von Männern, die zwar nicht an der Front kämpfen, dafür aber allerlei nützliche Tätigkeiten im Sinne des deutschen Volkes ausführen, eben als Zivil-Soldaten.