T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Harry Plüddemann: »Pfeile aus dem Hinterhalt«, um 1920
von Mirko Schädel



Harry Plüddemann: Pfeile aus dem Hinterhalt, Dresden: Halbmond-Verlag um 1920, Heimat-Bibliothek Band 12 [Sechs Erlebnisse des spanischen Privat-Detektivs Lope Vegas], 95 Seiten, nachgebundenes Groschenheft


Harry Plüddemann war ein Unterhaltungsschriftsteller, der vornehmlich auf dem Gebiet des Groschenheftes tätig war. Der Reihe Heimat-Bibliothek stand Plüddemann als verantwortlicher Redakteur vor. Innerhalb der Reihe gab es eine auf sechs Bände angelegte Reihe mit dem internen Titel »Sechs Erlebnisse des spanischen Privat-Detektivs Lope Vegas«, die wohl mit dem Band 10 der Reihe Heimat-Bibliothek begann. Die Nummer 12 liegt hier vor, so daß mindestens drei dieser ungewöhnlichen Romanhefte erschienen sein müssen. Völlig unklar sind die Nummern 1–9, und ob die Nummer 13 erschienen ist, ist ebenfalls reine Spekulation. Über den Halbmond-Verlag in Dresden läßt sich leider auch noch nichts brauchbares finden.

Pfeile aus dem Hinterhalt, um 1920, ist ein schlüpfriger Detektiv- und Sittenroman um eine böse Stiefmutter, die spanischer Abkunft ist, und mit der Mentalität der Nordländer nicht klarkommt. Die Spanierin Teresa, noch recht jung an Jahren, hat einen älteren Herrn in bester Stellung geheiratet, einen Witwer aus Brüssel, der zwei Töchter aus erster Ehe sein eigen Fleisch und Blut nennt. Während Marie-Luise, die ältere Stieftochter Teresas, bereits das väterliche Haus verlassen hat und mit einem Rechtsanwalt verheiratet ist, lebt Mignon, die jüngere Stieftochter, noch im väterlichen Haus. Mignon ist gerade aus einem Lyzeum zurückgekehrt, noch sie ist unschuldig wie ein Kind.

Die temperamentvolle Teresa langweilt sich zunehmend in dem Haus ihres Gatten, sie fühlt sich von jeder Kleinigkeit gekränkt und besucht Theater und Oper um sich zu zerstreuen. Nach einer klinen Aufregung, einer Lapalie während eines Familienausflugs fühlt sich Teresa mal wieder in ihren Gefühlen verletzt, vernachlässigt und von der kalt erscheinenden, rationalen Mentalität ihres Gatten zurückgesetzt. Tatsächlich liegt kein Grund für dieses Unbehagen vor, denn Teresas Gatte liebt seine Frau innig.

Dennoch beschließt die heißblütige Teresa sich an den Mitgliedern ihrer Familie zu rächen. Teresa weiß, daß ihr Gatte einem Freund, dessen Geschäft kurz vor dem Bankrott stand, Geld aus der Kasse seines Arbeitgebers geliehen hat. Sie schreibt einen anonymen Brief an den Arbeitgeber ihres Mannes, so daß dieser darauf eine Untersuchung über sich ergehen lassen muß um anschließend suspendiert zu werden. Man schickt Teresas Gatten kurz darauf in den vorzeitigen Ruhestand, der ihn materiell zwar nicht allzu sehr schädigt, der aber sein Selbstbewußtsein auslöscht und seine mentale Gesundheit bedroht, denn er hatte noch die feste Absicht beruflich weiter aufzusteigen. 

Damit nicht genug, legt Teresa der unschuldigen Stieftochter Mignon heimlich ein obszönes, pornographisches Buch auf den Nachttisch. Mignon sieht kurz in das Buch hinein und entdeckt die pornographischen Illustrationen – dann versteckt sie schamhaft das Machwerk, und fragt sich wer ihr das Buch untergeschoben habe. Doch nach einiger Zeit liest Mignon den Roman und versteckt das Buch in einem ihrer Schränke, den Schlüssel dazu trägt sie am Leibe.

Mignon, die nun von der Sünde gestreift wurde, beginnt erwachsen zu werden und mehr Wert auf ihr Äußeres zu legen. Zufällig lernt sie einen jungen Mann auf der Straße kennen, der eine künstlerische Karriere anstrebt, der aber im zwielichtigsten Armenviertel Brüssels lebt. Nach einigen Wochen ihrer Bekanntschaft begleitet sie den jungen Mann in dessen Wohnung, wo die Unzucht ihrer harrt. Vier Monate später stellt Mignon ihre Schwangerschaft fest und ist völlig gelähmt vor Schrecken. Die Stiefmutter Teresa betritt nun Mignons Mädchenzimmer und erklärt, sie wisse um deren Zustand, sie, Teresa, müsse nun ihren Gatten von diesem Fehltritt informieren.

Mignon verläßt zuvor fluchtartig das elterliche Haus, einen Augenblick spielt sie mit dem Gedanken an einen Selbstmord, dann jedoch flüchtet sie zu ihrem Liebsten, der sie freundlich in seiner bescheidenen Behausung aufnimmt. Einen Tag später erfährt das Familienoberhaupt, Teresas Vater, von der unehelichen Schwangerschaft seiner jüngsten und liebsten Tochter, er ist verzweifelt und am Boden zerstört.

Während Teresa diese Tragödie in ihrer eigenen Familie angezettelt hat, geht sie weiterhin abends ins Theater um sich zu unterhalten. Sie schreibt einen weiteren anonymen Brief, diesmal an ihren Gatten, denn dieser Brief soll Teresa selbst mehr oder weniger als treulose Ehebrecherin verleumden. Dieser Brief, der selbstverständlich kein Fünkchen Wahrheit enthält, dient Teresa zu weiteren Intrigen gegen Marie-Luise, ihrer älteren Stieftochter. Sie plant zwischen ihrem Gatten und seiner ältesten Tochter Zwietracht zu säen. So hat sie nun fast ihre beiden Stieftöchter von ihrem Gatten entfremdet, denn sie behauptet wahrheitsgemäß, daß die Verleumdungen des anonymen Briefes unwahr sind und sie, Teresa, könne sich leider vorstellen, von wem dieses Schreiben stamme. Sie möchte jedoch keinen Verdacht verlautbaren, solange keine Beweise vorliegen.

Teresa besucht weiter eifrig die Theater, und dort trifft sie auf einen Landsmann, den berühmten Detektiv Lope Vegas. Natürlich kennt Teresa ihren berühmten Landsmann sehr wohl und beauftragt diesen mit dem Fall des anonymen Briefs. Natürlich erwähnt sie auch ihren Verdacht gegen ihre Stieftochter Marie-Luise.

Doch Vegas ist kein Trottel, er hat ein feines, psychologisches Gespür und ahnt bereits von Anfang an, daß Teresa geistig nicht ganz auf der Höhe ist. Tatsächlich führt er mit allen Beteiligten Gespräche und erfährt so auch von dem ersten anonymen Brief, der Teresas Gatten die Karriere gekostet hatte. Auch mit Mignon spricht Vegas, die ihm die Geschichte um das obszöne Buch enthüllt, das für deren moralischen Untergang verantwortlich war. Auch die Dienstboten werden befragt, und Vegas beginnt ein vollständiges Bild Teresas zu entwerfen. Er mutmaßt, das Teresa psychisch erkrankt sein müsse. Unser Detektiv läßt sich aber auch den ersten anonymen Brief zeigen, sowie Schriftproben Teresas. Am Ende führt ein Armband, das Teresa ständig trägt, und das auf den anonymen Briefen und den Schriftproben Spuren hinterlassen hat, zu dem entscheidenden Indiz.

Vegas führt nun Teresa in die Irre, denn er behauptet, er werde am nächsten Abend den Urheber des anonymen Briefs bekanntgeben. Dazu solle Teresa um eine bestimmte Uhrzeit an einem bestimmten Ort erscheinen. Teresa ist hoffnungsvoll, denn sie glaubt, daß ihr Plan aufgegangen ist. Arglos trifft sie zu der vereinbarten Uhrzeit dort ein und entdeckt leicht verunsichert, daß die gesamte Familie sich dort ebenfalls versammelt hat.

Etwas pathetisch erklärt Vegas nun, daß er die Urheberin der anonymen Briefe nun kenne, und daß niemand anderes dafür verantwortlich zu machen sei, als Teresa selbst, die ihre Taten kurz abstreitet, dann aber einräumt, daß sie sich gelangweilt habe und der kalten, ruhigen Mentalität der Familie etwas entgegensetzen wollte. Sie habe sich an ihren Untaten geweidet – doch dann flieht Teresa und verschwindet aus dem Dunstkreis ihrer Opfer. Die Familie ist wieder miteinander versöhnt, und der Privat-Detektiv Vegas fährt heim nach Spanien.

Das Heftchen hat mich naturgemäß sehr amüsiert, denn die Absurdität und die Schlüpfrigkeit des Textes sind nicht steigerungsfähig. Plüddemann hat natürlich Worte gefunden, die die Drastik des Geschehens etwas indirekter, abgemilderter darstellen – doch ist da nichts mißzuverstehen. Der Autor versteigt sich auch tatsächlich bei einer Beschreibung der Stadtsilhouette Brüssels – kurz nach einer schlüpfrigen Episode – zu einer Metapher, die mich nur an einen Phallus denken läßt. Aber wie schwellend und schlüpfrig der Text auch sei, ich frage mich, für welche Zielgruppe ist er konzipiert? Ein jugendliches Publikum wird diesen Zweideutigkeiten nicht unbedingt gewachsen gewesen sein.

Ebenso die Absurdität der Motive Teresas, der bösen, impulsiven und letztendlich wahnsinnigen Stiefmutter hat mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, selbst das Grimm’sche Aschenputtel scheint Plüddemann eingehend studiert zu haben. Das Heftchen ist also ein schlüpfriger, zweideutiger Sittenroman, der in das Konstrukt eines Detektivromans nur sehr notdürftig hineingezwängt wurde. Die Titel der Hefte 10 und 11, die da heißen: »Das Geheimnis der Masseuse« und »Was der Mond sah«, deuten auf ein ähnlich schlüpfriges Sujet hin.