T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Havank: »Kopflose Menschen«, 1941
von Mirko Schädel



Havank, das ist Henricus Fredericus van der Kallen: Kopflose Menschen, Basel: Fritz Lindner-Verlag 1941, Havank Kriminalromane Band 2, 376 Seiten


Wer Erfahrungen hat mit den Romanen von Frank Heller, das ist Martin Gunnar Serner, und von dessen ironischer Perspektive nicht abgestoßen ist, wird sich leicht mit Havank, das ist Henricus Fredericus van der Kallen, 1904–1964, anfreunden. Auch Leslie Charteris, der wohl die moralische Flüchtigkeit von Havanks Helden zu verantworten hat – aber nicht allein, gebührt das Privileg großen literarischen Einflusses auf diesen niederländischen Klassiker.

Frank Heller und Havank scheinen nicht nur eine ähnliche Physiognomie gehabt zu haben – und ein gemeinsames Faible für die französische Riviera und gutes Essen, sondern es ist offensichtlich, daß Havank von den beiden Schriftstellern Frank Heller und Leslie Charteris beeindruckt war und deren Stil teilweise imitiert hat – doch seiner Ehre gemäß darf nicht unerwähnt bleiben, daß er trotz dieser Einflüsse einen völlig eigenen und neuen Stil entwickelte.

Havank war einer der erfolgreichsten niederländischen Kriminalschriftsteller, dessen Romane sehr populär waren, leider wurden aber nur zwei Krimis von ihm ins Deutsche übersetzt. Man muß sich darüber im klaren sein, daß die Kriminalromane zwischen 1933 und 1945 inhaltlich einer gewissen Zensur zum Opfer fielen, denn die arischen Nachbarn, das großdeutsche Dorfdeppentum, kannte keinen Spaß, wenn es um Kritik oder gar satirische Randbemerkungen über deren Besatzung von halb Europa ging oder andere kriminelle Machenschaften der Arierdeppen erwähnt wurden. 

Gleichzeitig war es sicher nicht einfach die katastrophale Weltlage jener Zeit zu übersehen, so daß eine unpolitische Betrachtung der Dinge einer freiwillig durchlebten Psychose ähnelte. So kommentiert Havank die Gegenwart seines Innenlebens auf Seite 301 dieses Romans mit dem Satz: »Seine [Carliers] Bedenken gegen die Demokratie waren ihr Mangel an Phantasie und die von ihr ausgehende Nivellierung nach unten. Aber ebenso wenig hatte er etwas übrig für das totalitäte System, für Spiritisten oder Abstinenzler, denn er sagte immer noch die nackte Wahrheit, hatte allen Aberglauben verloren und trank von Herzen gern ein Gläschen.« Diese kleine Randbemerkung des Havank’schen Helden ist eine hübsche Selbstbetrachtung des Autors und ein Beleg für seinen gesunden Menschenverstand. Übrigens weitere Selbstreflektionen Carliers [Der Schatten] geben Anlaß zur Freude, denn Carlier sei ein Anarchist und ein Antiklerikaler. Wer zwischen 1933 und 1945 von sich behauptete ein Anarchist und Antiklerikaler zu sein, kann eigentlich nur vom Humanismus durchdrungen sein.

Havank schuf gleich zwei Serienhelden, der bekanntere von beiden ist Inspektor Charles C. M. Carlier, genannt der Schatten, von der Pariser Sûreté nationale. In Kopflose Menschen, 1941, ermittelt der Schatten in Cagnes-sur-Mer, etwas westlich von Nizza gelegen und nicht sehr weit entfernt von Menton, dem gelegentlichen Wohnort von Frank Heller.

Es ist ziemlich anstrengend eine exakte Inhaltsangabe zu verfassen und so begnüge ich mich mit einer rohen Analyse, die dem Text hoffentlich Gerichtigkeit widerfahren läßt. Havank hatte bereits zuvor einen weiteren Serienhelden namens Bruno Silvère entwickelt, der auch in Kopflose Menschen mit hineinspielt, aber hier mehr die Rolle eines Assistenten spielt.

Die ganze Geschichte ist ein Spionageroman, in dem zwei obskure Männer namens Müller ermordet werden, wobei der eine Müller den anderen tötet und der verbliebene Müller seinerseits von einer polnischen Fürstin ermordet wird. Ich kann nicht verhehlen, daß ich die ganze Geschichte eigentlich gar nicht wirklich verstanden habe, aber darum ist es dem Autor auch nicht zu tun, denn das Buch lebt von der Atmosphöre und der Groteske, vor allem den grotesken Sprachspielen und -bildern, die der Autor seinen Figuren in den Mund oder in den Kopf legt.

Es geht um geheime Papiere, die einem österreichischen Minister gemopst wurden, und hinter die dann verschiedene Agenten und Journalisten herjagen, während andere Kräfte damit beschäftigt sind diese Geheimpapiere zurückzubekommen. Doch der zweite Müller hat sowohl in Spanien wie auch in Polen eine Blutspur der Denunziation hinterlassen und eine junge polnische Fürstin zappelte in seinem Netz und wurde aufgrund fingierter Beweise als Spionin zu 20jähriger Haft verurteilt.

Nach einem überraschenden und erfolgreichen Freispuch gelingt es der Fürstin mit Hilfe einer gefälschten Identität dem Urheber der Intrige auf die Spur zu kommen. In Cagnes-sur-Mer stellt sie diesen Mann und erschießt ihn mit einem Präzisionsgewehr, doch Carlier kommt nur durch kriminalistische Untersuchungen auf ihre Spur, und als er die junge Dame in Genua, wo sie sich zu ihrer Familie geflüchtet hatte, stellt und ihr klarmacht, daß er über ihr Verbrechen orientiert ist, läßt er sie laufen. Den Mord wird Carlier einem bereits getöteten Schurken in die Schuhe schieben, dessen Ruf eh schon ruiniert war – und den Carlier selbst ohne äußere Not erschossen und also ermordet hatte.

Der Roman ist außerordentlich eigenwillig, ganz im Ton einer ebenso grotesken wie ironischen Komödie verfaßt, und in der paradiesisch unbeschwerten Welt dieser mediterranen, französischen Küstenregion spielend. Dennoch gelingt es dem Autor, trotz geradezu regelwidriger Verstöße gegen die solide Handwerkskunst des Kriminalschriftstellers, einen spannenden und charmanten Roman zu schreiben, der gelegentlich artistische und ebenso häufig geistreiche Passagen enthält, aber auch voller sexistischer Betrachtungen über die Frauen.

Havank konnte schreiben, aber er tat manchmal zuviel des Guten, er sparte nicht daran immer neue Beweise seiner Kunstfertigkeit zu liefern, dabei bleibt der Leser manchmal auf der Strecke und kann nur mit großer Mühe dem Geschehen folgen. Darüberhinaus vermute ich, daß die Übersetzung dieses Romans nicht immer ins Schwarze trifft und manchmal mit einer eher schweizerischen Auffassung der deutsche Sprache aufwartet, die dem Verständnis nicht zuträglich ist.

Die mondänen Badeorte und das nahegelegene Monte Carlo zog in den ausgehenden 1920er und den 1930er Jahren viele Künstler und Literaten an, wie Isidora Duncan, deren Seidenschal sich 1927 im Rad ihres Sportwagens verfing und ihren Körper auf den Asphalt der Promende des Anglais in Nizza wuchtete, wo sie infolge eines Genickbruchs verstarb. Ich beneide diese große Künstlerin aufrichtig um ihren exzentrischen Tod. 

Auch E. Phillips Oppenheim, Frank Heller und Havank selbst verbrachten wohl etliche Zeit in diesen Gefilden, besuchten das Casino in Monte Carlo oder tranken exotische Cocktails in mondänen Absteigen. Jahre zuvor lebte Heller noch von Konserven, da er sein erraubtes Vermögen auf dem Altar des Hazards gelassen hatte. Schon wenige Jahre nach diesen niederschmetternden Armutserfahrungen eines Epikuräers ließ er sich in Menton eine Villa bauen, die er nur im Winter bewohnte, während er sommers auf Bornholm, unweit der schwedischen Heimat, weilte.

Havank war ein umfassend gebildeter und belesener Kosmopolit, der vor allem in Südfrankreich, auf Mallorca und in Südengland lebte. Ganz ähnlich übrigens, wie auch Heller sein Leben gestaltete. Der Niederländer verfaßte rund 30 Krimis und übersetzte eine Vielzahl von Kriminalautoren, wie Raymond Chandler, E. Phillips Oppenheim, Sidney Horler und Edgar Wallace.