T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Alexander Barta, das ist Sándor Barta: »Eine wunderbare Geschichte oder wie entdeckte William Cookendy, bürgerlicher Reporter, die Erde, auf der er lebt«, 1925

von Mirko Schädel


Alexander Barta, das ist Sándor Barta: Eine wunderbare Geschichte oder wie entdeckte William Cookendy, bürgerlicher Reporter, die Erde, auf der er lebt, Wien, Berlin: Vorhut-Verlag [Arbeiter-Buchhandlung Wien IX] 1925, 151 Seiten, Umschlaggestaltung von Paul Munels


Alexander Barta, das ist Sándor Barta, 1897–1938, war ein ungarischer Dichter im Umfeld deutscher und ungarischer Avantgarde-Literatur. Barta war ein Anhänger des Bolschewismus und soll auch als Agent und Denunziant im Umfeld stalinistischer Säuberungen tätig gewesen sein. Am Ende wurde er selbst Opfer des Stalinismus, denn man verurteilte ihn im Jahre 1938 zum Tode. Erst vier Jahre nach Stalins Tod 1957 durfte man Bartas Namen im Sowjetreich wieder in den Mund nehmen.

Es fällt nicht leicht Bartas Roman zu beschreiben oder schlicht nachzuerzählen. Hat mit Krimi auch nichts zu tun. Von Zeit zu Zeit gerät man als Leser an Romane, die von einem oder zwei Kapiteln dominiert und sozusagen überstrahlt werden, etwa William Faulkners Schall und Wahn oder das fulminante Eingangskapitel von Eckhard Sinzigs Hermaproditen-Roman Die Jungfrauenhatz. In diesem ersten Kapitel von Sinzigs Roman porträtiert der Autor seinen Vater mit einer Verachtung, die ihresgleichen sucht. Verachtung ist nun nicht gerade das, was der Bodensatz des gemeinen Volkes mit seiner männlichen Elternschaft verbunden wissen will. Sinzig beschreibt seinen Vater mit einer Eindringlichkeit, einem Ekel und einer sprachlichen Virtuosität, die jedem Leser unvergeßlich bleiben wird. Und dieses eine Kapitel wertet den Roman insgesamt auf, ebenso verhält es sich mit Bartas Roman, denn das Anfangskapitel ist eine Klasse für sich.

Ähnlich virtuos und mit beißender Verachtung gewürzt ist das Anfangskapitel von Bartas Roman, das mehr einem Sprachkunstwerk oder einem Prosagedicht ähnelt. Insgesamt handelt es sich bei diesem Roman aber um eine Science fiction-Erzählung, die in einer nicht benannten Zukunft spielt. William Cookendy, ein bürgerlicher Reporter und Berichterstatter einer Familienbeilage, wird von seinem Chefredakteur gebeten den verehrten Abonnenten von den Verhältnissen in Himmel und Hölle zu berichten. Zu diesem Zweck wird dem Helden der Geschichte ein Honorar von 200 Dollar geboten, das dieser verständlicherweise nicht ausschlagen kann. Kurzerhand findet sich unser Held in einem Radiumtank wieder, der ihn offenbar mit Raketenkraft in den Orbit schickt – rund 300.000 Kilometer von der rechten Zehe der Freiheitsstatue entfernt. Cookendys Chauffeur erfriert im Cockpit aufgrund einer Unachtsamkeit unseres Berichterstatters und wird dann als unnötiger Ballast im Weltall entsorgt, wo er vermutlich als Tiefkühlhähnchen eine Ewigkeit um die Umlaufbahn eines kleineren Planeten kreist.

Cookendy findet den Eingang zum Himmelreich, der in deutscher Manier mit einer Beschilderung aufwartet, die den Millionären erlaubt den Haupteingang zu nutzen, während minderbemittelte Leichen den Hintereingang nehmen müssen. Cookendy findet problemlos den Hintereingang, der von Türstehern der rechten Szene bewacht wird. Ihm wird rein prophylaktisch in die Nieren getreten und zwei Zähne werden ihm mit Faustschlägen ausgeschlagen. Nach dieser segensreichen körperlichen Züchtigung wird unser Held mit einer psychiatrischen Untersuchung konfrontiert, die mehr einer Gesinnungsüberprüfung ähnelt, ob der Einlaßsuchende denn auch die nötige antisemitische und rassistisch-völkische Überzeugung mitbringe um ins Himmelreich eingelassen zu werden. Denn ohne diese hanebüchene, menschenverachtende Gesinnung scheint sich die Himmelspforte nicht zu öffnen. Zu dem Cookendy offerierten Fragebogen komme ich an anderer Stelle noch zurück.

Das Himmelreich, zu dem Cookendy durch ein glückliches Mißverständnis Einlaß gefunden hat, erweist sich als riesige Markthalle in der bärtige Männer an Marktständen ihre Ware, nämlich Platin- und Goldbarren, anpreisen. Manche dieser Herren schmirgeln ihre Goldbarren, und der Autor erklärt, daß es sich hierbei um Zinsertrag handelt. Im Hintergrund wirken die Blaubejackten, offenbar eine Menschenklasse von Degenerierten, denen man den Denkprozeß bereits erfolgreich kastriert habe, und die für den anstrengenden Transport der Edelmetalle zuständig sind. Die Blaubejackten sind auf Wasser und Brot dressiert und fragen nicht mehr nach gesellschaftspolitischen Gegebenheiten.

Barta entwirft hier ein Bild des Kapitalismus aus marxistischer Perspektive. Nach einigen detaillierten Beobachtungen Cookendys gerät unser Held in die Sphäre der Hölle, die ebenfalls nach den Maßstäben einer kapitalistischen Grundordnung geordnet scheint, doch im Unterschied zum Himmelreich ist die Hölle nur noch hoffnungsloser, dreckiger, apokalyptischer und in einem ewigwährenden Kulturkampf begriffen.

Cookendy, der sich als neugieriger Reporter um eine objektive Berichterstattung bemüht, gerät irgendwann selbst in die Mühlen des Klassenkampfes und landet in einer unterirdischen Gummizelle, die alle lebenserhaltenden Stoffe vollautomatisch zur Verfügung stellt – man spart sich im Sinne des Effizienzgedankens also jegliches Wach- oder Betreungspersonal. Ansonsten aber dämmern die Insassen völlig lethargisch dahin und warten auf ihr Ende. Es gelingt Cookendy einige dieser Insassen aus der Isolationshaft zu befreien und er läßt sich von den revolutionären Umtrieben erzählen, die in Teilen der Hölle stattfinden. Alles deutet darauf hin, daß es sich dort um einen totalitären Überwachungs- und Unterdrückungsstaat handelt, dem jede technische Errungenschaft recht ist um seinen Machtapparat weiter auszubauen. Damit erinnert diese Dystopie an George Orwells Roman 1984. Die Machthaber verfügen nicht nur über elektrisch betriebene Abhörapparate und Kameras, sondern auch über andere angsteinflößende chemische Kampfstoffe und weitere futuristische Waffengattungen, die schier unüberwindlich scheinen. In der Irrenanstalt verzichtet der Staat jedoch auf jegliche Einrichtungen der Überwachung.

Während dieser Erzählung verwandelt sich die Haltung des bürgerlichen Reporters Cookendy, denn er reift zunehmend zum politischen Agitator mit humanistischen Prinzipien heran. In den Zellen des Irrenhauses gibt es Sensoren, die in der Lage sind Verwesungsgeruch wahrzunehmen damit dann vollautomatisch mittels eines Krans und eines Greifers die Leichen aus den Zellen vollautomatisch zu entfernen. Als eines Tages ein Insasse eingeliefert wird, der unmittelbar darauf eine inhaftierte Frau erwürgt, gelingt es Cookendy und einem befreundeten Pärchen namens Una und Doo die Flucht aus der Anstalt. Sie bedienen sich dabei der automatischen Leichenentsorgung, die sie für ihre Flucht nutzen. Die drei Flüchtlinge verbringen kurze Zeit im Wald, wo sie sich verstecken, dann begeben sie sich in der Nacht zu Unas Familie, wo sie sich erholen können und über die Fortschritte der Revolution informiert werden. Sie erfahren, daß es im Norden befreite Zonen gibt. Nach Norden flüchtet nun das Trio.

Cookendy beschreibt nun ausgiebig die Fortschritte der Revolution als Beispiel für einen gesellschaftlichen Prozeß, der nicht rückgängig zu machen ist. Dabei weist er mehrfach darauf hin, daß der Sozialismus noch nicht erreicht sei und es etliche Schwierigkeiten auf dem Weg dorthin gäbe. Er lernt ein Mädchen der Revolution kennen, die ihm auch sexualtherapeutisch Nachhilfeunterricht ertellt. Und leider versteigt sich der Autor auch zu einem Personenkult – als nämlich der untersetzte Revolutionsführer an der Spitze der Partei den Geist aufgibt, erweist er diesem auf pathetische Weise die letzte Ehre. Das Buch wird zu einem naiv-bolschewistischen Propagandatext, der damit endet, daß Cookendy noch einmal das Himmelreich betritt, das sich etwas verändert hat, um sich dann wieder in seine Heimat zu begeben, wo er seinem Chef den fertiggestellten Artikel für die Familienbeilage übergibt. Nachdem der Chefredakteur einige Zeilen gelesen hat, schaut er Cookendy mürrisch und kritisch an, dann kann er sich aber offenbar nicht entscheiden, ob er die Irrenanstalt oder die Polizei benachrichtigen soll um Cookendy festzusetzen. Der angestellte Reporter William Cookendy bricht darauf in schallendes Gelächter aus und verläßt die Redaktionsräume um in die Hölle zurückzukehren, wo die Zeit für die Revolution reif zu sein scheint.

Barta hat den Roman in zwei Teilen konzipiert. Allerdings zerfällt der gesamte Text in zwei Teile, jedoch nicht nach den Kriterien Bartas, sondern nach den Kriterien des Lesers. Das kurze Anfangskapitel, das in einer Art lyrischer Prosa verfaßt ist, das voller Metaphern, satirischer Kommentare und sarkastischer Anmerkungen steckt, hebt sich wohltuend von der linearen Propaganda-Prosa ab, denn in diesen Anfangskapiteln steckt ebenso viel Weltekel und Wahrhaftigkeit, wie in Werner Schwabs Fäkaldramen. Die Form dieser Prosa war beim besten Willen auch nicht durchzuhalten, denn der Schliff, die Leidenschaft und die Gedankenfülle dieses Romanfragments ist meisterhaft. Danach wird der Roman leider von Seite zu Seite schwächer.

Das Buch ist eine Mischung aus Dystopie und Utopie mit Anleihen aus der Science fiction. Während der Anfang des Romans tatsächlich grandios ist – auch in der Drastik und den Beschreibungen der nationalsozialistischen Ideologie – wird das Buch später zu einer Art Kriegsroman, um dann am Ende ziemlich kleinkariert sein Heil in einer moralischen Rechtfertigung der Revolution zu suchen. Dem Autor schwebte dabei eine Gesellschaft vor, die sich an der frühen Sowjetunion orientierte. Allerdings lassen die fragwürdigen Passagen mit dem überbordenden Personen- und Parteikultes an der Redlichkeit Bartas zweifeln. Solange der Autor mit Stilmitteln wie Groteske, DaDa, Satire und Ekstase spielt, sind seine Zeilen grandios, doch verläßt er den Boden avantgardistischer Prosa und beginnt linear eine Geschichte zu erzählen, gerät der Text zu platter Propaganda.

Der Fragebogen, eine Art pseudopsychiatrisches Gutachten, den die Nazischergen den Einlaßbegehrenden des Himmelreichs offerieren, ist eine hübsche Parabel, die die AfD zutreffend charakterisiert. Dort wird zum Beispiel gefragt: »Verspüren Sie einen Schmerz und welcher Art, wenn Sie zum Beispiel folgende Worte hören: ›Das Vaterland ist in Gefahr!‹« Worauf Cookendy wahrheitsgemäß antwortet: »Ich spüre einen stechenden Schmerz.« Die Antwort ist allerdings dem Umstand geschuldet, daß die Nazi-Deppen ihm kurz zuvor zwei Zähne ausgeschlagen hatten.

Im Fragenkatalog 2, findet sich unter Punkt II. folgende Frage: »Können Sie ohne ein Gefühl von Verachtung mit Jüdinnen geschlechtlich verkehren?« und unter II. a: »Wenn ja, empfinden Sie wenigstens nachher ein tiefe Abscheu vor sich selbst?« und weitere ähnliche Fragen, die Cookendy später stotternd und begeistert aus seinem ausgeschalteten Bewußtsein mit den Worten beantwortet: »Meine Herren, ich habe auf Ihre Frage nur eine Antwort: ›Juden hinaus!‹« Unter lauten Heilrufen wird Cookendy die Himmelspforte geöffnet.

Damit zeigt sich laut Barta, wer die wahren und treuesten Hüter des Kapitalismus sind, nämlich das Nazipack, diese unterbelichtete Horde, die wie ein Krebsgeschwür oder wie ein aasiger Parasit die Blutbahn des Großkapitals anzapft – und wie verführbar der bürgerliche Reporter William Cookendy für den geistigen Durchfall der Antisemiten ist, nämlich ideologisch verführbar ist er offenbar immer dann, wenn sich sein Bewußtsein verabschiedet.