T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Eugen Heltai: »Das Familienhotel«, 1914

von Mirko Schädel


Eugen Heltai, das ist Jenö Heltai: Das Familienhotel, Berlin: Ladyschnikow 1914, 191 Seiten, Umschlaggestaltung von Kurt Szafranski


Eugen Heltai, das ist Jenö Heltai, 1871–1957, war ein ungarischer Schriftsteller; Dramatiker und Journalist. Heltai war jüdischer Abkunft, konvertierte später zum Christentum. Er war ein Cousin von Theodor Herzl.


Heltais erfolgreiches Buch Das Familienhotel, 1914, ist ein spritziger, geistreicher und ironischer Verschwörungsroman, der den Leser mit bissiger Satire und grotesken Übertreibungen glänzend unterhält.


Der Held der Geschichte und Ich-Erzähler ist ein abgebrannter Journalist namens Stephan Mák, der als Auslandskorrespondent einer ungarischen Zeitung in Paris lebt. Mák hockt in seinem Zimmer in einem zweifelhaften Familienhotel und fragt sich, wovon er sich ernähren soll. Sein Kredit bei der Wirtin ist bereits erschöpft, sein Honorar von der Budapester Zeitung läßt wieder einmal auf sich warten und unser Held hungert bereits seit dem Vortag.


Doch ein neuer Mieter des Familienhotels betritt die Lebensbahn Máks, ein ebenso abgebrannter Mensch wie er, doch mit einem klingenden Namen: Graf Berezina. Die beiden Herren freunden sich oberflächlich an und Graf Berezina entdeckt im Zimmer Máks eine Schatulle mit Münzen. Unser Held erklärt seinem Gast, daß es sich bei den Münzen um Falschgeld handelt oder Münzen, die nicht mehr im Umlauf und somit wertlos sind. Man habe ihm bei jeder Gelegenheit diese Münzen als Wechselgeld herausgegeben, und er, Mák, habe sich immer wieder täuschen lassen.


Graf Berezina, der sich als König Emanuel VII. von Zyrillien zu erkennen gibt, beschließt das Falschgeld wieder unter die Leute zu bringen und sich mit seinem neuen Freund den Magen zu füllen. Die beiden Herren verbringen eine gute Zeit, essen, trinken und rauchen – bis sich Máks Gewissen regt und er sich von seinem Freund verabschiedet.


In den folgenden Tagen wird Mák mit seinem neuen Freund vertrauter und er erfährt die näheren Lebensumstände seines adligen Freunde. Zyrillien ist ein Zwergstaat auf dem Balkan, wo zwei Dynastien sich abwechselnd auf dem Thron befinden. Berezina ist der nächstfolgende Thronfolger, doch der jetzige König sitzt fest in seinem Sattel und denkt nicht daran dieses Privileg aufzugeben.


Langsam wird Mák Teil einer politischen Verschwörung, doch als grundehrlicher Mensch taugt er weder als Diplomat, Politiker oder gar Verschwörer. Mák bemerkt nicht, wie er von seinem Freund benutzt wird. Im Gegenteil, Mák ist uneigennützig, lethargisch, doch seine freundschaftlichen Gefühle für Graf Berezina alias Emanuel VII. sind echt – und so ist er bereit sich für den Freund ins Abenteuer zu stürzen.  Mák soll nach Zyrillien reisen und dort die Lage sondieren, darüberhinaus wird er beauftragt Kontakte zur Opposition zu knüpfen und Gelder zu verteilen, da in Zyrillien nach balkanesker Tradition das Bakschisch der einzige Türöffner ist. Doch schon nach kurzer Zeit wird Mák zu einer Audienz beim herrschenden König gebeten, wo ihm eröffnet wird, daß man ihn vollkommen durchschaut hat. Ivan VI., der regierende Monarch, eröffnet ihm jedoch ein Geschäft, er läßt Emanuel VII. ausrichten, daß er für eine Million in bar abdanken würde, alternativ dazu könnte Ivan VI. dem Thronfolger  auch 650.000 zahlen, damit dieser nicht als Jongleur in einem Zirkus aufträte und sich mit der Thronfolge noch einige Jahre Zeit ließe, denn Emanuel VII. hat ein lukratives Angebot von einem Pariser Zirkusdirektor erhalten sich als Jongleur zu betätigen.


Mák ahnt nicht, daß Emanuel VII. bereits in Zyrillien ist und dort bereits seine Thronfolge organisiert hat. Am Ende des Romans fahren Mák und der abgedankte König von Zyrillien gemeinsam mit dem Orient-Express zurück nach Paris. Ivan VI. fragt Mák noch nach einem günstigen, kleinen Hotel und unser Held gibt ihm die Adresse des Familienhotels, in dem er selbst seit einigen Jahren eingemietet ist.


Das Buch ist geistreich, witzig, satirisch, ironisch, verspielt und erinnert ein wenig an die Romane des großen Schweden Frank Heller alias Martin Gunnar Serner. Ich habe die Lektüre genossen und mußte mehrfach laut lachen angesichts der treffenden und witzigen Analysen Heltais, die den Balkan und die Monarchie insbesondere aufs Korn nehmen.