T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Gerhard Schäfer: »Lucie, die Tochter des Hochstaplers« 1913
von Mirko Schädel



Gerhard Schäfer: Lucie, die Tochter des Hochstaplers, Düsseldorf: Selbstverlag 1913, Bücherschatz Allen voran Band 4, 96 S.



Lucie, die Tochter des Hochstaplers ist, wie der Titel schon andeutet, ein kolportageartiger Detektivroman, der sich an den Groschenheften der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg orientiert hat. Der Band ist von dem mir unbekannten Autor Gerhard Schäfer im Selbstverlag veröffentlicht worden und es sind zumindest sieben weitere Romane dieser Art auf den Markt gekommen.

Vermutlich fanden die billigen Hefte mit dem ehrgeizigen Reihentitel »Bücherschatz Allen voran« vor allem regionalen Absatz in dem Raum Düsseldorf und Essen. Meine Befürchtung, daß dieser Roman  qualitativ noch schlechter zu bewerten sei, als die üblichen Groschenhefte jener Zeit, hat sich nicht bestätigt. Der Beigeschmack eines im Selbstverlag hergestellten Trivialromans ist fad, aber nach der Lektüre steht der Roman meiner Meinung nach ganz in der Tradition bekannterer Reihen und ist für einen unbekannten Laienschriftsteller auch recht gut gelungen.

Der Roman spielt in Konstanz und Umgebung. Der Oberstaatsanwalt Brahmhoff erhält den seltsamen Abschiedsbrief eines Kollegen, des jungen, tadellosen Staatsanwalts Hugo von Werder, in dem letzterer mitteilt, daß er dem Glücksspiel verfallen und arg verschuldet sei und auch einen Juwelendiebstahl begangen habe, für den ein anderer unschuldig in Untersuchungshaft sitze. Darüberhinaus behauptet von Werder, er werde nunmehr seinem Leben ein Ende setzen.

Der Oberstaatsanwalt kann diese Zeilen kaum glauben und bittet den Kriminalkommissar von Arnstett hinzu, der ebenso überrascht ist. Der Kriminalkommissar beschließt der Sache auf den Grund zu gehen und stellt einige Nachforschungen an, aber viel mehr als das geheimnisvolle Verschwinden von Werder, findet der Beamte auch nicht heraus.

Auf der anderen Seite berichtet uns der Autor von der Mutter von Werders, sowie von Werders künftiger Braut Lucie von Waltersleben, die beide weder diesem Brief Glauben schenken, noch der Behauptung, Hugo von Werder habe Selbstmord begangen.

Lucie besteht darauf in der Angelegenheit den Detektiv Braun hinzuzuziehen, gelegentlich auch als »Meister« bezeichnet. Lucie glaubt, daß jener Abschiedsbrief ihres Verlobten eine Fälschung sei und macht überaus interessante Beobachtungen in der heimischen Villa, nachdem sie feststellt, daß ihr eigener Vater in den Vorgang um das Verschwinden ihres Liebsten involviert ist, auch der fragliche Juwelendiebstahl scheint ihr Vater mit Hilfe dreier recht dubioser Freunde bewerkstelligt zu haben.

Detektiv Braun kommt zu ähnlichen Ergebnissen, es finden die typischen, kolportageartigen Verfolgungsjagden, Schiessereien, Kidnapping samt obligatorischer Selbst-Befreiung statt. Hugo von Werder, der von den Schuften über die Rheinbrücke in den Fluß geworfen wurde, wird von Fischern gefunden und gepflegt.

Eine zeitweise Amnesie verhindert sein eigenes Eingreifen, jedoch am Ende wird alles gut. Hugo wird durch Zufall gefunden, seine Erinnerungen kehren zurück, er arbeitet nach einiger Zeit wieder als Staatsanwalt, die Gauner werden von Detektiv Braun im Alleingang überführt und verhaftet. Lucie heiratet ihren Hugo, aber erst nachdem sie noch den Abschiedsbrief ihres Vaters erhält, in dem dieser erklärt, daß er, der Hochstapler, gar nicht der leibliche Vater Lucies gewesen sei und sich nun selbst richtet, ehe er verhaftet und der Gerechtigkeit zugeführt werde. Übrigens hätte Lucie natürlich nicht ihren Hugo heiraten können, wenn sie tatsächlich die leibliche Tochter eines Hochstaplers gewesen sei.

Der kurze Roman ist überaus routiniert geschrieben und ganz im Sinne damaliger Groschenhefte konstruiert, die alle noch von den Kolportageromanen des 19. Jahrhunderts beeinflußt waren. Aber auch die Wirkung früher Detektivfilme lassen sich in dem Text nachweisen, und so steht dieses Heft auf der Schwelle zu etwas Neuem, das in den 1920er Jahren überaus populär wurde, dem actionbetonten Detektivroman.