T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

O[tto] G. Hoecker: »Die dunkle Stunde«, 1907
von Mirko Schädel



O[tto] G. Hoecker: Die dunkle Stunde, Gera: Paul Stötzner Verlag 1907, 400 Seiten


Otto Hoeckers Die dunkle Stunde, 1907, ist die Geschichte des Königlichen Kriminal-Kommissars Rebe, der redlich und pflichtbewußt seines Amtes waltet – und der mit seiner Familie von dem kargen Gehalt ein überaus bescheidenes Dasein führt bis eines Tages die Versuchung an seine Tür klopft.

Seine beiden Töchter nähen sich die Finger wund um das schmale Gehalt des Vaters aufzubessern, Rebes Gattin mäkelt und nörgelt an Rebes verpfuschter Karriere herum, denn ihrem Mann wurde vor die Nase durch die Protektion einiger bedeutender Mitglieder der Gesellschaft ein junges, arrogantes Milchgesicht als Vorgesetzter gesetzt, er selbst wurde stattdessen bei der Beförderung gar nicht berücksichtigt, obwohl er seines Alters und seiner Erfolge halber zum Inspektor hätte aufsteigen müssen, doch wußte Kriminalkommissar Rebe offenbar nie so recht sich in der Außendarstellung angemessen darzustellen, denn Rebe, vor Pflichterfüllung und moralischer Überlegenheit sich selbst adelnd, liegt es nicht sich in den Vordergrund zu spielen oder seine Verdienste angemessen der Außenwelt zu präsentieren.

Nicht genug damit, daß ihm seine Frau zunehmend durch ihre verletzenden Sticheleien das Leben schwer macht, nun hat sich auch sein neuer Vorgesetzter dazu verstiegen ihn für dessen eigene Fehlentscheidungen zu tadeln, ihn bei jeder Gelegenheit abzukanzeln, so daß Rebe jederzeit damit rechnet in den Vorruhestand versetzt zu werden und dann schlußendlich in völlige Armut zu geraten.

Dazu noch sein einziger Sohn, dessen Talent und Wissendurst ihn unweigerlich einer glänzenden Zukunft zuführen müßte, wenn da nicht das Schulgeld wäre, das Rebe nicht mehr aufbringen kann und seinen Sohn statt der höheren Schulbildung und anschließendem Studium, wohl einer Lehre in einem handwerklichen Beruf zuführen muß. Rebe selbst war ein derart wissensdurstiger und begabter
Schüler, doch die höhere Weihe des Studiums blieb ihm ebenso verwehrt wie nun seinem eigenen Sohn, denn Bildung war schon immer eine Frage des Geldbeutels.

Kriminalkommissar Rebes Innenleben wurde mehr und mehr dominiert von  Wut, Angst, Verzweiflung und einer tristen Traurigkeit, denn trotz seiner sprichwörtlichen Redlichkeit und seines Pflicht- und Ehrgefühls muß er mit ansehen, wie andere Menschen mit weit unterlegenen Geistesgaben an ihm vorbeiziehen und all das erreichen, das Rebe selbst verdient hätte – wenn die Welt Gerechtigkeit üben würde.

In derart demoralisierter Haltung erhält Rebe den Besuch seines einzigen, alten Freundes Franz Lange, der einen äußerst nervösen Eindruck macht und offenbar etwas auf dem Herzen hat. Lange, mit dem Rebe zusammen im Kinderheim einige Zeit verbracht hatte, war heute ein angesehener Beamter der Reichsdruckerei und da ohne Anhang in einer beneidenswerten Situation.

Lange bittet seinen Freund Rebe ihn in seine Wohnung zu begleiten. Dort erzählt Lange von seinem Sammlerwahn und einer Grenzüberschreitung, der er sich schuldig gemacht habe, denn Lange habe in den letzten Jahren zehn Millionen Reichsmark in echten Banknoten beiseite geschafft. Doch als Lange mehr und mehr sich seines Verbrechens klar wurde und auch den Wert dieser Noten zu ahnen begann, wurde sein Gewissen geweckt. Lange berichtet, er habe noch keine einzige dieser Banknoten in Umlauf gebracht, und Rebe in seiner starren Rechtschaffenheit wird klar, daß sein Freund sich bislang noch keines Verbrechens schuldig gemacht habe, wenn die Noten vernichtet werden würden, wie ja auch anfangs vorgesehen, denn diese Noten dienten Lange lediglich als Gegenstand der Qualitätskontrolle und wurden für gut befunden. Nach dieser Kontrolle hätte Lange sie vernichten müssen, doch da kam ihm sein Sammlertick ihm in die Quere. Lange gesteht, es sei ihm nicht möglich das viele Geld zu verbrennen und er träumte in letzter Zeit schon davon sich mit dem Geld aus dem Staub zu machen um die beschauliche Existenz eines Weltreisenden zu führen. Kriminal-Kommissar Rebe jedoch beschließt seinem Freund zu helfen und erklärt sich bereit das Bargeld im Ofen seines Dienstzimmers zu verbrennen.

Rebe steckt die Noten in eine alte Ledertasche und verläßt seinen Freund mit dem Versprechen das Geld zu vernichten, doch als Rebe auf die Straße tritt, liegt dort bereits der Leichnam seines Freundes,
der sich in seiner Verzweiflung aus dem Fenster gestürzt hatte.

Nun ist Rebe der einzige, der von der Existenz dieser Noten weiß. Als er verspätet in sein Büro tritt, schließt er die Ledertasche in seinen Schreibtisch ein. Bei nächster Gelegenheit will er das Geld verbrennen, sobald seine Kollegen das Büro verlassen. Doch dann kommt es zu einem neuen Eklat mit seinem Vorgesetzten, so daß Rebe bald brütend vor seinen Akten sitzt und unentwegt über die Banknoten nachdenken muß. Langsam, unendlich langsam sieht er die Chance seinem Leben einen neuen Impuls zu geben, stockend findet sein Gewissen Entschuldigungen dafür, die Noten nicht zu verbrennen und schon ein paar Tage später, nach endlosen Gewissensqualen, mietet Rebe ein Bankschließfach, wo er den Großteil des Geldes einsperrt. Seiner Familie erzählt er von einem unverhofften Lotteriegewinns, angeblich 10.000 Reichsmark, die nicht nur die Schulden der Familie tilgen, sondern auch Rebes Sohn die höhere Schulbildung ermöglichen sollen. 

Seine Töchter schwelgen in den Möglichkeiten die sich nun bieten, und seine Frau findet zu ihrer alten Zärtlichkeit für ihren Mann zurück. Aufgrund eines Fehlers seines milchgesichtigen und arroganten Vorgesetzten von Maltitz kann der gesuchte Bankier Nußbaum aus Paris fliehen, ehe man ihn festsetzen konnte. Rebe, der sich die überraschende Flucht nicht erklären kann, verdächtigt seinen Vorgesetzten Nußbaum gewarnt zu haben, denn von Maltitz verkehrte einst mit Nußbaum in freundschaftlicher Weise.

Als von Maltitz nun Rebe einen Urlaub in Aussicht stellt, glaubt letzterer nur, daß man ihn kaltstellen wolle. Er geht auf das Angebot ein und beschließt sich in seinem Urlaub nach London zu begeben um dort Nußbaum aufzuspüren und zu verhaften, denn man weiß, daß der Bankier sich nach England geflüchtet hatte. Rebe verfügt nun auch über das nötige Kleingeld um auf eigene Faust die Reisekosten zu bestreiten – und er erzählt niemandem von seiner Reise – stattdessen erzählt er seiner
Familie, er wolle ins Erzgebirge reisen und dort wandern gehen.

Stattdessen reist Rebe nach London und macht den geflohenen Nußbaum ausfindig um ihn nach Deutschland zu bringen. Tatsächlich gelingt es Rebe durch einen Trick den Flüchtigen auf ein deutsches Schiff zu locken, wo er unmittelbar verhaftet wird und der Verdächtige erklärt, daß es besser für Rebe wäre ihn laufen zu lassen, denn auch von Maltitz und andere hochrangige Beamte sind in die kriminelle Affäre involviert. Doch gerade dies ahnte Rebe und scheint ihm außerordentlich zu gefallen – denn so kann Rebe Rache nehmen an der Arroganz seines Vorgesetzten.

Alles scheint Rebe zu gelingen, von Maltitz wird suspendiert und Ermittlungen gegen ihn eingeleitet, Rebe steigt zum Inspektor auf und die vielen Millionen Bargeld verbrennt Rebe im Ofen seines Büros. Auch andere Spuren verwischt Rebe, doch etliche Tausend Reichsmark hatte Rebe bei seinem Besuch in London in Wertpapiere angelegt  das Lotterielos mit einem Gewinn von 10.000 Reichsmark wurde von Rebe einer arglosen Frau anonym abgekauft. Die Gewinnerin hatte sich von Rebe das Geld auszahlen lassen und Rebe dafür ihr Los überlassen – Rebe dagegen hat das Los offiziell eingelöst. So glaubt Rebe alle Spuren seine plötzlichen Reichtums beseitigt zu haben, aber wie der Leser bereits ahnt, gelingt ihm das nicht, denn tatsächlich treten nach und nach alle Verfehlungen und Vertuschungen Rebes während der Gerichtsverhandlung gegen von Maltitz und Nußbaumer zu Tage.

Als auch noch der tatsächliche Käufer des Glücksloses ermittelt werden soll – auf Antrag der Verteidigung – und damit Rebes Unterschlagung der Banknotendoubles offensichtlich wird, gerät Rebe zuhause bei seiner Familie in einen Tobsuchtsanfall um anschließend wahnsinnig zu werden. Rebes Schuld wird weitestgehend vertuscht, denn der nun bereits zum Chef der Kriminalpolizei aufgestiegene Rebe sitzt von Tobsucht geplagt im Irrenhaus, eine seiner zwei Töchter hatte sich in von Maltitz verliebt und ist dann freiwillig aus dem Leben geschieden. Rebe stirbt in seinem Wahnsinn einige Wochen später.

Wer die altertümelnde Sprache und den behäbigen Tonfall der Jahrhundertwende erträgt, wird einen spannenden, Nerven aufreibenden Kriminalroman lesen, der die schlichte moralische Erkenntnis beinhaltet, daß jeder Mensch mal eine dunkle Stunde habe, in der die Versuchung an ihn herantritt. Und wenn der Mensch dann nicht stark genug ist dieser Versuchung nachzugeben, wird seine Verfehlung, und sei sie noch so geschickt verdeckt worden sein, an das Tageslicht kommen. Das Verbrechen und die Verfehlung wird früher oder später gesühnt werden müssen.

Doch abgesehen von dieser schlichten Betrachtungsweise ist die Beschreibung dieser zwei korrumpierten und auf Abwege geratenen Kriminalbeamte von Maltitz und Rebe gelungen und plausibel. Während die Versuchung Rebes überaus einleuchtend ist – und kaum jemand hätte dieser Versuchung widerstehen könnte, schon gar nicht in anbetracht des kargen finanziellen Hintergrunds der Rebes, die am Rande der Armut herumwirtschaften – so ist von Maltitz ein echter Blender und Verbrecher – während Rebes Verfehlung in seinem Mitgefühl für seine Familie begründet ist, so verfolgt von Maltitz nur seine eigenen Interessen, die immer narzistischer und egoistischer Natur sind.