T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

L. H. Desberry, das ist Hermynia Zur Mühlen: »Der blaue Strahl«, 1922
von Mirko Schädel



L. H. Desberry: Der blaue Strahl, Stuttgart Wagner’sche Buchhdlg. [später: Paul Mähler]: 1922, Die Spannung Band 5, 214 S.


Der blaue Strahl ist ein exzellenter, pazifistischer Kriminalroman voller Tempo und Spannung. Gleich zwei konkurrierende Detektive arbeiten an der Aufklärung mehrerer Morde und des Geheimnisses um den blauen Strahl.

Der auf rätselhafte Weise ermordete Fabrikant Cardiff wird in seiner Bibliothek aufgefunden. Kurz vor seinem Tod trafen sich noch einige Freunde und Verwandte in seiner Villa, doch es gab Streit zwischen Cardiff und seiner Tochter, ebenso stritt Cardiff unmittelbar vor seinem Ableben mit dem verachteten Bräutigam seiner Tochter namens Eregan, doch erfährt der Leser nichts über die Gründe dieser Streitereien.

Zunächst wird klar, daß der alte Cardiff ein ziemlich unangenehmer Charakter gewesen sein muß – und die kleine Abendgesellschaft hat vor dem Mord einen blauen Strahl in der Bibliothek wahrgenommen, den sich niemand so recht erklären kann. Detektiv Johnsson, Scotland Yards bester Mann, übernimmt den Fall, doch hat er sich bereits in kürzester Zeit dafür entschieden Winifred Cardiffs künftigen Bräutigam Eregan für den Mörder zu halten – obwohl unklar ist wie Cardiff ermordet wurde, denn die Ärzte finden keinen Hinweis auf einen unnatürlichen Tod und vermuten deshalb Herzversagen – nur die stecknadelgroßen, blauen Flecke auf dem gesamten Körper geben Rätsel auf.

Während Johnsson also seinen Verdächtigen Eregan verhaftet und wie ein Bluthund an seiner vorgefaßten Theorie hängt, betritt ein zweiter Detektiv in Form des Journalisten O’Keefe die Bühne, der von der Unschuld seines Freundes Eregan überzeugt ist und für eine linke Tageszeitung arbeitet – bei der er ständig um Urlaub nachsucht um sich ganz der Mordaffäre zu widmen.

O‘Keefe verfolgt völlig andere Spuren als der im Trüben fischende Johnsson, doch äußert er sich nicht über seine Theorien, so daß auch der Leser den manchmal absurden Aktivitäten O’Keefes beobachtend folgt, ohne eine Ahnung zu haben, wohin das führen soll.

Auch exotistische Elemente werden von der Autorin als falsche Fährten ausgelegt, so jener mysteriöse Inder,  der mit einem seltsamen Gehstock mit Löwenkopf und Rubinaugen umhergeht und später auch als Entführer von Cardiffs verdächtiger Tochter Winifred eine Rolle spielt.

Überhaupt geht es in dem Roman gleich um zwei vollkommen unabhängig voneinander stattgefundene Verbrechen, denn Winifreds Mutter ist bereits vor zwei Jahren ermordet worden – ein unentdeckt gebliebener Giftmord, den ihr eigener Gatte aus Habsucht mit Hilfe zweier Handlanger durchgeführt hatte.

Der also seinerseits ermordete Cardiff ermordete zwei Jahre zuvor seine Gattin, nur haben diese beiden Verbrechen keinerlei Verbindung miteinander und führen zu obskuren Spuren und Verwicklungen. Nur O’Keefe ahnt irgendwann im weiteren Verlauf der Geschichte, daß er es mit einer Macht zu tun hat, die von einer naturwissenschaftlich basierten Erfindung herrührt, die neu und einzigartig ist.

Mit den Mitteln des Detektivs, einschließlich den typischen Maskeraden, Beobachtungen und des Fallenstellens, gelingt es O’Keefe langsam Licht ins Dunkel zu bringen und auch Johnsson davon zu überzeugen, daß siein Lieblingsverdächtiger wohl doch nicht der Mörder Cardiffs sein kann.

Auch der Arzt der Familie Cardiff namens Dr. Thornten, der den ersten Mord an Cardiffs Frau durchgeführt und gedeckt hat, dient Zur Mühlen vor allem als falsche Spur und der nachhaltigen Verwirrung des Lesers, denn Dr. Thornten erweist sich als wahnsinnig – dennoch ist er in der Lage eine Mitwisserin, die auszupacken droht, per Hypnose in den Selbstmord zu treiben.

Der Roman hat durchaus etliche Konstruktionsfehler und andere Schwächen, was aber nicht die Spannung und das Interesse des Lesers beeinträchtigt. Darüberhinaus handelt Der blaue Strahl, wie häufig bei Zur Mühlen, von dem Kampf zwischen Chauvinismus und Pazifismus, dem Kapitalismus und dem Sozialismus, denn am Ende stellt sich heraus, daß der Erfinder dieser geheimnisvollen Strahlenwaffe durchaus die besten Absichten hatte, erst als er erkannte, daß der Fabrikant Cardiff aus Habsucht alles daran setzen würde, sich in den Besitz dieser zukunftsweisenden Erfindung zu setzen und vor allem Profit daraus zu schlagen und den Massenmord künftiger Kriege zu befördern, erst da entschließt sich der Erfinder Cardiff zu töten, desweiteren einen Helfershelfer, der  ebenso korrupt an der Verwertung dieser Erfindung arbeitete.

Als O’Keefe und Johnsson, nunmehr gute Freunde, sich das Geständnis des Mörders anhören, lassen sie dem Erfinder genug Zeit um sich selbst und seine Erfindung zu zerstören. Der aus der Haft entlassene und für unschuldig befundene Eregan heiratet seine Winifred Cardiff und leitet künftig die Cardiff-Werke.

Interessant sind auch die naturwissenschaftlichen Beschreibungen und Beweisführungen nebst mathematischer Formeln, die die Existenz dieser Strahlenapparatur nachweisen, die in der Lage ist gebündelte Elektronenströme auszusenden, die sowohl der Übermittlung von Bildern dienen, als auch in der Lage sind Leben zu töten.