T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Fl. Robertson, das ist B. Fletcher Robinson: »Der verschwundene Millionär und andere Abenteuer des Detektiv Addington Peace«, 1910
von Mirko Schädel



Fl. Robertson, das ist B. Fletcher Robinson: Der verschwundene Millionär und andere Abenteuer des Detektiv Addington Peace, Berlin, Leipzig: Hermann Hillger 1910, Kürschners Bücherschatz Band 755, 128 Seiten


Bertram Fletcher Robinson, 1870–1907, war eng mit P. G. Wodehouse und Arthur Conan Doyle befreundet. Er gilt als Urheber der Ideen zu Doyles Der Hund von Baskerville und Der Baumeister von Norfolk, die Doyle dann allein realisiert hatte, da er durch seine eigenen Ideen den ursprünglichen Plot verändern und bereichern konnte.

Robinson war ein Sportsmann, Journalist und Schriftsteller, und wurde nur 36 Jahre alt. Er starb an einer Rippenfell- oder Bauchfellentzündung. Vermutlich kam eine Lungenembolie hinzu und führte zu dem Tod des Meisters. Dieser Sterbevorgang wird sehr schmerzhaft gewesen sein, das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Witzbolde behaupteten, daß Robinson aufgrund eines Fluchs, ausgehend von einem ägyptischen Artefakt – vermutlich handelt es sich dabei um eine Mumie – den Tod gefunden habe. Doyle soll ihm in seinem berühmten Roman The Lost World, 1912, in der Figur des Edward E. Malone ein Denkmal gesetzt haben.

Warum die Werke Bertram Fletcher Robinsons konsequent bei Hermann Hillger als Fl. Robertson betitelt wurden, ist nicht nachvollziehbar. Womöglich formte sich durch die internationale Urheberrechtsreform von 1901 bei Hillger die Idee, die zu zahlenden Tantiemen an die Erbin zu unterschlagen, in dem der Urheber hierzulande konsequent verschleiert wurde. Doch schon der Titel und Untertitel dieses Bandes lud dazu ein, den wahren Verfasser identifizieren zu können, denn der Detektiv Addington Peace war eine recht populäre Figur eines literarischen Detektivs in England zur Zeit der Jahrhundertwende.

Der verschwundene Millionär ist eine sehr gut konstruierte, sehr spannende Kurzgeschichte, in der ein amerikanscher Tycoon namens Silas J. Ford  in einem alten, angemieteten und repräsentativen Landsitz beinah spurlos verschwindet. Detektiv Addington Peace von Scotland Yard nimmt sich des Falls ein, er reist mit einem Gehilfen namens Mr. Phillips, der die Vorkommnisse dieser Geschichte dem Publikum berichtet, aber wohl nicht Teil der Polizei zu sein scheint.

Mr. Peace und Mr. Phillips reisen zu jenem Landsitz, wo sich das Verschwinden des Mr. Ford zugetragen hat. Dort kommen die beiden Detektive mit verschiedenen Dienstboten und Angestellten des Millionärs in Kontakt. Es hatten sich unmittelbar nach dem Verschwinden des Millionärs Spuren im Schnee finden lassen, die eindeutig von Mr. Ford stammen und die durch den Park bis zu einer Mauer, die das Grundstück von der Straße trennen, führen.

Offenbar war Mr. Ford über die Mauer geklettert und ist anschließend verschwunden. Addington Peace untersucht die Spuren akribisch, teilt seinem Helfer Phillips aber keinerlei Erkenntnisse mit. Phillips verbringt einen großen Teil seiner Zeit in seinem Zimmer, doch eines Nachts macht er eine merkwürdige Entdeckung. Der Sekretär des Millionärs schleicht im Dunkeln durch den Flur – Phillips beobachtet diesen und berichtet Peace dieses seltsame Vorkommnis. Auch ein Geschäftspartner von Mr. Ford erreicht das Landhaus und erklärt, daß das Verschwinden Fords erhebliche geschäftliche Probleme verursache und wenn Mr. Ford nicht bald wieder auftauche, könne das Vermögen verloren gehen.

Peace nächtigt derweil in dem Zimmer seines Freundes Phillips, die sich des Nachts abwechseln bei der Observation des Flures vor Phillips Zimmer. Sehr spät in der Nacht entdecken die beiden einen Besucher, mit einer Taschenlampe betreten die beiden kurz darauf den Flur, doch ist niemand zu entdecken. Peace hatte allerdings am Tag etwas Mehl auf den Fußboden gestreut, so daß sie die Fußspuren des Besuchers verfolgen können, die vor einer Wand enden. 

Peace weiß zu berichten, daß Landhäuser aus der guten alten Zeit häufig über geheime Zugänge verfügen um Verfolgte während der Glaubenskriege zu verbergen. Die beiden beschließen den unsichtbaren Zugang zu beobachten und nach nicht allzu langer Zeit sehen sie, wie sich die Wand öffnet und ein Mensch langsam und vorsichtig den Kopf in den Flur steckt und sich umschaut. In diesem Augenblick schläge Addington Peace zu und überwältigt und bindet den Verdächtigen. 

Bei dem Verdächtigen handelt es sich um Mr. Fords Kammerdiener Jackson. Die anderen Bewohner der Hauses wurden durch den Lärm geweckt und eilen an den Ort des Geschehens. Dann gehen die beiden Detektive, der Verdächtige und weitere Menschen aus dem Umfeld Fords durch den geheimen Eingang und steigen eine alte Treppe hinab bis sie vor eine Tür treten, die in ein schmales Zimmer führt.

Dort liegt Mr. Ford, gefesselt und geknebelt. Der Millionär wird befreit. In Jacksons Kleidung wird ein Scheck über 5.000 Pfund entdeckt, den er für seine Freilassung von Mr. Ford erpreßt hatte, denn Jackson wußte, daß Mr. Ford gerade ein größeres Geschäft anbahnen wollte und deshalb nicht geneigt war für längere Zeit in seinem Gefängnis zu sitzen.

Das zweite Abenteuer von Addington Peace in diesem Band nennt sich Der Spuk im Schnee, denn eine gruselige Legende ist in diese Mordgeschichte verwoben. Phillips fährt aufs Land, wo er einem reichen Onkel seine Aufwartung macht, der umgeben von der eleganten Welt, also Spitzbuben und dubiosen Leute aller Art, ein gemütliches Dasein führt.

Die Gäste seines Onkels spielen die halbe Nacht, doch Phillips zieht sich in sein Schlafzimmer zurück um ein gutes Buch zu lesen. Doch um frische Luft zu schöpfen tritt er ans Fenster und öffnet es. Er hört drei furchtbare Schreie, dann glaubt er einen weißen Wolf zu sehen, der geschützt von Taxushecken flüchtet bis Phillips das Untier aus den Augen verliert.

Kurz zuvor hat ihm ein Bekannter das Haus gezeigt, dabei entdeckte Phillips ein altes Gemälde von Reynolds, das Bild eines Knaben und an der rechten unteren Ecke eine grobe Übermalung. Phillips Bekannter erklärt dazu, daß dies wie alles andere in dem Haus dem vormaligen Besitzer gehöre, der aus einer alten, angesehenen Familie stamme und aus wirtschaftlicher Not das Haus vermiete.

Das Gemälde stellt den einzigen Nachkommen eines Zweiges der Familie dar, die einst dieses Haus bewohnt hatte. Rechts  in der Ecke, jene Übermalung nämlich, stellte vormals ein weißer Wolf dar, den der Knabe von seinem Vater geschenkt bekommen hatte. Doch als der Wolf älter wurde, begann er bissig zu werden und so sperrte man das Tier in den Stall und legte es an die Kette. Eines Tages konnte sich der Wolf jedoch befreien und tötete den Knaben in einem Blutrausch unmittelbar am Rande des Gartengrundstücks. Der Vater hörte die Schreie seines sterbenden Sohnes, eilte an den Tatort, und tötete den Wolf mit seinen bloßen Händen, doch sein Sohn war unwideruflich tot.

Diese Geschichte hatte Phillips wohl noch im Ohr, als er die mörderischen Schreie hörte und dieses weißliche Wesen, das er nur wenig genug sehen konnte. Doch unmittelbar darauf sieht er eine kleine Gestalt durch die Anlagen eilen, der Mann blickt nach oben, und Phillips schaut direkt in die Augen seines Freundes Addingston Peace. Letzterer fragt ihn, was er gesehen habe und wohin es sich geflüchtet habe, doch Phillips entgegnet nur äußerst überrascht, er glaube einen Hund gesehen zu haben.

Peace verschwindet mit zwei Helfern in der Dunkelheit, doch schon bald kehrt er zurück und läßt sich von Phillips die Tür öffnen. Sie gehen in Phillips Zimmer, und Peace berichtet, daß der Hausherr am Rande des Gartengrundstücks ermordet aufgefunden wurde. Der Täter, wer oder was es auch sein mag, muß ins Haus geflüchtet sein.

Ein Diener wird gerufen, der recht zerzaust und durcheinander wirkt, den Peace allerdings in das Geheimnis seines Tuns einweiht. Peace erkundigt sich nach verschiedenen Dingen und erklärt, er sei hierher geeilt, weil er den Baron, Phillips Onkel, wegen Unterschlagungen in großem Stil verhaften wollte. Doch der Tote muß gewarnt gewesen sein, denn er befand sich unmittelbar auf der Flucht zu seiner Yacht. Einer der Dienstboten war verschwunden, doch Peace weiß, daß der Flüchtling nur gestohlen habe und wohl mit dem Mord nichts zu tun habe.

Peace fordert seinen Freund auf nach unten zu gehen und sich am Glücksspiel zu beteiligen, denn die Gäste wissen noch nichts vom Tod ihres Gastgebers. Und Phillips könne sich umsehen, außerdem suche man den Sekretär des Ermordeten, der vermutlich auch im Spielsaal stecke.

Phillips, etwas bleich und mitgenommen, tut wie ihm geheißen und beteiligt sich nach einiger Zeit am Roulette, wo er auch den Sekretär seines Onkels entdeckt und diesen zu einem Vieraugengespräch auffordert. Auf seinem Zimmer erklärt Phillips diesem, was geschehen ist, der Sekretär bricht vollkommen zusammen und Peace betritt das Zimmer. Die beiden Freunde führen den Mann in sein Zimmer, wo sich dieser gleich ins Bett begibt.

Am nächsten Tag will Phillips nach dem Sekretär sehen, doch öffnet dieser nicht die Tür. Peace kommt hinzu, und dieser öffnet die Tür mit einem Schlüssel. Peace hatte den Kranken mittels einer Leiter bereits vom Garten aus beobachtet. Der Sekretär liegt fiebergeschüttelt im Bett. Als Peace dem Kranken die Kleider öffnet, entdeckt er umfangreiche Spuren getrockneten Blutes auf dem Oberkörper des Sekretärs, der offenbar in der Nacht dem Flüchtenden ad hoc im Nachtgewand gefolgt war und diesen mit einem Federmesser erstochen hatte. Sein blutiges Nachthemd entsorgte der Mörder auf der Flucht, er schleuderte es auf das Dach eines Gartenpavillons, und so floh er völlig nackt durch den verschneiten Garten, sich vor den Verfolgern bückend und im Schutz der Taxushecken den Seiteneingang erreichend. Dann warf er sich in seinem Zimmer seine Kleidung an und begab sich in den Spielsalon zum Roulettetisch.

Kurz darauf erfuhr er offiziell von der Mordsache und seine nächtliche Verkühlung schlug in Schüttelfrost um. Ein paar Tage später erlag er den Folgen seiner Erkältung. Das Motiv erklärt Peace mit Rache, denn das Mordopfer habe den Vater des Mörders zu Grunde gerichtet.

Die dritte Erzählung mit dem Titel  Mr. Coran’s Wahl ist eine amüsante Posse um einen etwas verknöcherten und spießigen alten Herrn, der in einem Vorort Londons mit seiner Schwester und seiner Tochter lebt. Dieser Mann wendet sich an Addington Peace, da er von seiner eigenen Schwester anonym erpreßt wird. Der Herr hatte in seinen jungen Jahren als Student etwas über die Strenge geschlagen und unter Alkoholeinfluß sich mit einem Polizisten schlagen wollen.

Dieses Ereignis landete vor 32 Jahren in einer Zeitung, scheinbar der Vergessenheit preisgegeben – und unser Opfer strebt gerade in diesem Augenblick nicht nur einen Sitz im Parlament an, sondern ist
auch ein rühriges Mitglied im Anti-Alkohol-Verein seines Wohnorts.

Die vierte und letzte Erzählung Der Jaspis Speer handelt von zwei ehemals in Indien lebenden Brüdern, die offenbar die gleiche Leidenschaft für orientalische Objekte teilen. Addington Peace wird aufgrund eines Mordes aufs Land gerufen, wo einer der Brüder mit einem Speer ermordet wurde. Nach einigen wenigen falschen Fährten und einem Verdächtigen, der unschuldig in Gewahrsam genommen wurde, kann Peace den Fall klären. Bei dem Mord ging es um einen Streit unter Brüdern und Sammlern, denn der seltene, wertvolle Jaspis-Speer stahl der eine dem anderen Bruder. Als der eigentliche Besitzer sich diesen heimlich wiederbeschaffen will, wird der neuerliche Diebstahl entdeckt, es kommt zu einer Verfolgung des Diebes und dann zu einem Mord im Affekt mit diesem Speer.

Die Geschichten sind in der typischen Art der Jahrhundertwende verfaßt und stilistisch von hoher Qualität. Der Autor kann schreiben, und vor allem ist er in der Lage Atmosphäre zu schaffen, die überzeugend ist. Die Übersetzung ist ebenfalls überzeugend.