T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Ethel Lina White: »Als er zum ersten Male starb«, um 1939
von Mirko Schädel



Ethel Lina White: Als er zum ersten Male starb, Leipzig: Payne Verlag um 1939, Payne-Romane, 335 Seiten, Schutzumschlag von Egon Pruggmayer


Ethel Lina White, 1876–1944, war eine seinerzeit äußerst populäre Kriminalschriftstellerin, die sich mit Sayers, Christie und Allingham messen konnte. Bekannt ist sie vor allem für die Hitchcock-Verfilmung ihres Romans The Wheel Spins, 1936, der unter dem Titel Eine Dame verschwindet, 1938, in die Kinos kam.

Als er zum ersten Male starb, 1939, erschien in Deutschland unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Ethel Lina White ist eine Klasse für sich, und selbst der fragwürdige Übersetzer Karl Döhring läuft hier zur Höchstform auf.

Zu Beginn dieses Romans schildert White eine provinzielle Kleinstadt in England, in der ein atypisches Trio beschrieben wird, das unlängst ein kleines Haus gemietet hat und den Anschein erweckt über Mittel zu verfügen, die ein zwar bescheidenes, aber durchaus angenehmes Leben ermöglichen.

Tatsächlich handelt es sich bei diesem Trio um das Ehepaar Vera und Charlie Baxter, letzterer ist ein amüsanter Nichtsnutz, der nie gearbeitet hatte und nur durch die Erbschaft einer alten Tante einige Jahre mit seiner Frau ein luxuriöses Leben an der französischen Reviera geführt hat – bis Puggy Williams zu dem Paar stieß, der, als er erfuhr das die Geldmittel des Paares zur Neige gehen, auf die Idee kommt einen ausgefeilten Versicherungsbetrug zu begehen um das nötige Kleingeld zu beschaffen.

Zu diesem Zweck zieht das Trio in dieses englische Nest, wo Charlie Baxter sich einen Vollbart wachsen läßt und an allen gesellschaftlichen Festivitäten teilnimmt, so daß eines Tages ein Versicherungsvertreter an ihn herantritt und ihm eine Lebensversicherung aufschwatzt – worauf unsere Helden nur gewartet haben. Sie wollten unbedingt verhindern, selbst um eine Versicherungs-Police nachzufragen, so daß dies später nicht zu einem Verdacht Anlaß gibt.

Nun muß Charlie Baxter nur noch überraschend aus dem Leben gerissen werden, und als eine Grippewelle in der Umgebung grassiert, glauben die drei Verschwörer, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen sei um den Plan umzusetzen. Zu diesem Zweck wenden sich Vera Baxter und Puggie Williams an einen alten Dorfarzt, der seine Praxis eigentlich aufgegeben hat und mental nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Charlie spielt nun den Todkranken, seine Frau Viola, ehemalige Schauspielerin, unterstützt die Legende um Charlies schwerer Erkrankung wo sie kann. Und Puggie beteiligt sich eifrig an den Täuschungsmanövern des Paares, denn er soll an dem Betrugserlös beteiligt werden.

Charlie Baxter wird von der Grippe dahingerafft, sein Herz war schwach und der Totenschein kommt treuherzig per Post. Während Charlie sich überwiegend auf dem ungeheizten Dachboden versteckt hält, wird nun die Komödie weiterentwickelt, denn der Bestatter wird auch noch einen Blick auf die ihm anvertraute Leiche werfen. 

Alles funktioniert wie am Schnürchen, Viola und Puggie nehmen an der Beerdigung teil, darauf soll Puggie spät in der Nacht die Stadt verlassen und Charlie an einem Treffpunkt aufsammeln und in Richtung London transferieren, während Viola als junge trauernde Witwe für ein, zwei Wochen bei einem mitleidigen Pärchen der besten Gesellschaft unterkommt.

Charlie versteckt sich also noch einige Stunden während seiner Beerdigung in dem angemieteten Haus des Trios – doch eine alternde Jungfer, die ihr Herz bei einem Tanz an den höflichen Charlie verloren zu haben glaubt, streicht gesundheitlich angeschlagen um die verlassene Immobilie herum in der Hoffnung noch eine Fotografie ihres lieben Charlie zu finden. Stattdessen entdeckt sie den echten Charlie, der sie im Dunkeln des Hauses in einen Kleiderschrank schafft und sie dort einsperrt.

Anschließend rasiert sich Charlie seinen Bart ab, setzt eine Brille mit Fensterglas auf und zieht sich einen neuen Anzug an, so daß er gut getarnt das Haus verläßt und dem Treffpunkt, an dem ihn Puggie erwarten soll, zustrebt. Puggie bringt den lebenden Toten, der nunmehr auch einen neuen Namen angenommen hat, zu einem Städtchen, wo er übernachtet und von dort am folgenden Tag weiter nach London flüchtet.

Charlies Charakter erweist sich nach und nach als egoistisch und wehleidig, feig, eitel und gleichzeitig von diffusen Minderwertigkeitsgefühlen getrieben. Er ist ein großes Kind, ein notorischer Lügner und Aufschneider, ein Psychopath, der behauptet, er wäre zu keiner Grausamkeit fähig. Er versteckt sich erfolgreich in London, die Wochen gehen dahin, er verrät das Geheimnis seiner Identität ebenso schnell, wie er seine eigene Schwatzhaftigkeit verdrängt. Als er bereits alle Hoffnung fahren läßt, daß seine Frau, Puggie und das Geld der Versicherungspolice wieder auftauchen, da meldet sich Viola mit dem Geld und sie beginnen ein ruhiges Leben in einer angemieteten Wohnung. Eine gewisse Zeitspanne vergeht recht alltäglich, doch dann verliebt sich Charlie in eine junge Frau. Er beschließt die junge Dame zu heiraten, läßt seinen alten Freund Puggie zu sich rufen, und entwickelt den Plan eines erneuten Versicherungsbetrugs, dem nunmehr Viola zum Opfer fallen soll. Doch gelingt es Puggie Viola zu überreden mit dem Rest des Geldes zu fliehen und sich ein eigenes Leben aufzubauen, denn Charlies Verliebtheit ist auch ihr nicht entgangen.

Der erneute Betrugist bereits so weit gediehen, daß Charlie den Totenschein Violas in Händen hält, doch kurz vor dem Eintreffen der Bestatter klingelt es an der Wohnungstür und seine Angebetete Jennifer erscheint. Jennifer wollte sich lediglich elegant aus der Affäre stehlen, denn sie hatte sich ein paar Tage zuvor mit einem jungen Mann verlobt und wollte Charlie lediglich davon in Kenntnis setzen.

Doch Charlies Paranoia wittert Verrat und seine gekränkte Eitelkeit gerät zur Raserei – er chloroformiert Jennifer, knebelt und fesselt sein Opfer und legt es in den bereitstehenden Sarg, wo zuvor eine puppenähnliche Nachbildung Violas gelegen hatte. Die Bestatter betreten kurz darauf die Wohnung, der Sargdeckel wird festgeschraubt und man will die Leiche hinausschaffen, aber wiederum geht die Türklingel und der alte Arzt erscheint, der zwar den Totenschein ausgestellt hatte aufgrund der Täuschung der drei Betrüger, der aber die Leiche selbst nie gesehen hatte. Nun besteht der Arzt und leidenschaftliche Trinker auf eine nachträgliche Leichenschau und die Überraschung kann nicht größer sein als eine unbekannte, gefesselte Frau in dem Sarg entdeckt wird. Puggie hatte sich bereits viel früher aus dem Staub gemacht, doch Charlie war gänzlich überführt, er suizidiert sich im Nebenzimmer mit dem Rest des Chloroforms.

Der ganze Roman ist blendend geschickt konstruiert und verspricht durchgehende Hochspannung, man legt das Buch nicht  aus der Hand und sowohl die Figuren, wie auch die Atmosphäre des Romans sind überzeugend und überaus interessant. Das ganze ist in einem Ton subtilen Alltaggeplauders verfaßt, der geradezu prädestiniert ist die psychologische Seite der Protagonisten aufzuschlüsseln. Der Text wirkt leicht und beschwingt, und gerade diese Leichtigkeit herzustellen ist eine eigene Kunst. Hier und da zeigt sich ein Sinn für den bizarren Humor der Autorin, oder es finden sich wunderschöne Sarkasmen, an die man sich erinnern wird.

Puggie, Charlie und Viola sind Gestrauchelte, Verlierertypen, die allerlei sympathische und menchliche Eigenschaften haben, jeder von ihnen verfügt über liebenswerte Züge, doch dahinter verbirgt sich Angst, Schwäche und Unvermögen. Besonders Charlie, der so überaus charmant und höflich jeder alten Dame seinen Platz überläßt, ist ein durch und durch kaltblütiger Charakter – doch muß man ihm zu Gute halten, daß er nur wenig Furcht kennt, auch vor dem Gefängnis fürchtet er sich
nicht allzu sehr, lediglich der Verzicht auf Badesalz und andere Annehmlichkeiten eines luxuriösen Lebens lassen ihn zittern.

Charlie ist kein scharfdenkender Serienkiller, dessen Intelligenz und vorausschauende Planung ihn vor Entdeckung schützt, sondern er ist im Gegenteil ein Mensch, der leichtfertig, unstät und dumm agiert, nur dem Augenblick verpflichtet zu sein scheint und darauf achtet, daß er eine möglichst gute Figur abgibt – zumindest was er für eine gute Figur halten mag, denn er täuscht sich unablässig über den Eindruck, den er bei anderen Menschen hervorruft. Nur wenn seine eigene Tölpelhaftigkeit und seine unreflektierten Handlungen ihn in den Enge treiben, dann wird er zu einem kalten Psychopathen, der über Leichen geht um sich in Sicherheit zu bringen.