T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

S. S. van Dine: »Das Zimmer des Schweigens«, 1932
von Mirko Schädel



S. S. van Dine, das ist Willard Huntington Wright: Das Zimmer des Schweigens, Berlin: Neufeld & Henius 1932, Lutz-Kriminalromane Band 29, 223 Seiten, Umschlaggestaltung von higgins, das ist Ortmann


S. S. van Dine, das ist Willard Huntington Wright, 1888–1939. Dine war ein amerikanischer Schriftsteller und Kunstkritiker, Journalist und Drehbuchautor, der in München und Paris Kunst studiert hatte. Seine Figur des Philo Vance war seinerzeit sehr populär.

Das Zimmer des Schweigens, 1932, ist ein Rätselkrimi, der zwar ebenso unglaubwürdig ist wie Edward Brookers Achtung … Gas, aber dagegen den Vorteil einer halbwegs gelungenen Präsentation aufweist. Zum Nachteil gereicht allerdings die fast unerträgliche Kürzung dieses Romans in der deutschen Übersetzung. Ich vermute man hat den Text um rund die Hälfte eingedampft, und so geht sicher ein Großteil der Atmosphäre und Detailliertheit dieses Kriminalromans aus der Goldenen Ära verloren. Leider war es gerade in den 1920er und 1930er Jahren durchaus üblich die deutschen Übersetzungen in ein geeignetes Serienformat zu drängen.

Sergeant Heath, Staatsanwalt Markham und Philo Vance sind auf einen rätselhaften Mordfall mitten in Manhattan angesetzt. Dabei benutzt der Mörder als illustrierendes Motiv seiner zum Serienmord auswachsenden Tätigkeit diverse volkstümliche Kinderreime, wobei die Mordopfer fast identische Namen tragen wie ihre literarischen Vorbilder. Das erste Mordopfer wird scheinbar auf einem Tennisplatz bzw. dem Innenhof eines Hauses wie ein Wild mit Pfeil und Bogen erlegt. Später entdecken die Ermittler jedoch, daß man das Opfer vorher mit einem harten Gegenstand bewußtlos geschlagen hatte – um kurz darauf in täuschender Absicht die Todesursache mittels eines Pfeils zu inszenieren.

Die Morde finden alle in nächster Nähe zu dem Haus der Familie des Prof. Dillinger statt, und schnell wird den Ermittlern klar, daß irgendjemand aus der unmittelbaren Umgebung für die exzentrischen Mordfälle verantwortlich sein muß, denn der Täter kennt sich geradezu perfekt mit den Umständen des Hausstandes und den Gegebenheiten der unmittelbaren Nachbarschaft aus. Weitere Kinderreimmorde finden statt, ein Opfer wird mit einer kleinkalibrigen Waffe getötet, ein weiteres Opfer, ein Buckliger, wird von einer Mauer im Park gestoßen.

Alle Alibis der im direkten Umfeld agierenden Verdächtigen werden überprüft, und dennoch kommen die Ermittler in dieser seltsamen Häufung von verdächtigen Schachspielern, Physikern und Mathematikern mit ihren kriminalistischen Methoden nicht recht weiter. Der Roman wird übrigens von van Dine erzählt, der ein Freund von Philo Vance ist und sich zwar ständig in unmittelbarer Nähe der Ermittler aufhält, aber niemals das Wort ergreift oder den Fall kommentiert.

Ein Großteil des Interesses und der Spannung, die der Text dem Leser suggeriert, ist dem Umstand der Exzentrität der Morde geschuldet. Leider kann der Leser mit den Rätseln dieser Verbrechen nicht viel anfangen und am Ende wird der Mörder auf recht überraschende Weise von Philo Vance enttarnt, ohne daß der Autor dem Leser irgendein Indiz zum Mitraten geliefert hätte, das zur Aufklärung der Mordfälle hätte beitragen können. Die Spitze der Exzentrik dieses Romans besteht jedoch in dem Mord, den Philo Vance am Ende selbst verübt, denn Vance beobachtet wie der Täter heimlich ein Gift in ein Getränk appliziert und es einem anderen vorsetzt. Vance gelingt es das Getränk zu vertauschen, so daß der Täter selbst ahnungslos seinen Giftcocktail zu sich nimmt und stirbt.

Die Beamten Markham und Heath jedoch hatten diesen Tausch beobachtet, lassen Vance aber angesichts seiner kriminalistischen Leistung gewähren und verfolgen dieses Kapitalverbrechen nicht.

Eine nahezu 50%ige Kürzung des Romans in der deutschen Übersetzung macht es dem Rezensenten unmöglich die Qualität des Textes fachgerecht zu beurteilen. Diese Skelett eines Romans kann den Leser nicht befriedigen, denn das Fleisch spielt in einem atmosphärischen Kriminalroman eine bedeutende Rolle. So ist die deutsche Übersetzung sicher nur ein Fragment des Originals, das nicht zufriedenstellend ist.