T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Russell H. Greenan und »Die Geburt des Todes«
von Robert N. Bloch



Russell H. Greenan ist der Verfasser von zehn Romanen, die sich irgendwo zwischen Krimi, Horror und Satire bewegen. Da sie sich kaum einordnen lassen, wurde der Autor auch weitestgehend übersehen und findet sich nicht in Fachlexika des Krimi- oder Horror-Genres. Auch beim amerikanischen, englischen und deutschen Publikum fanden seine Werke kaum Resonanz. Seine letzten beiden Romane Doomsnight und Glamourdoom wurden in den USA nicht mehr veröffentlicht. Sie erschienen nur in französischer Übersetzung, denn in Frankreich fanden seine düsteren allegorischen Schauergeschichten, nach eigenem Bekunden von Honoré de Balzac und Louis Ferdinand Céline beeinflußt, das größte Interesse; sämtliche Werke wurden ins Französische übersetzt und mehrfach aufgelegt. Greenans erfolgreichstes Werk ist sein Erstling It Happened in Boston? (1968), der ins Französische, Niederländische, Italienische, Spanische und Deutsche übersetzt wurde.

Russell Henry Greenan wurde am 17. September 1925 in der Bronx, New York, geboren. Er diente in der US Navy und besuchte die Long Island University. In den 50er Jahren arbeitete er als Vertreter einer Maschinenfabrik. Mitte der 50er reiste er nach Nizza, wo er ein Jahr verbrachte. Nach seiner Rückkehr heiratete er Flora Bratko, mit der er drei Kinder hat. Er eröffnete einen Antiquitätenladen, »The Cat and Raquet«, in Harvard Square, Cambridge, Massachusetts. Bald gab er das Geschäft wieder auf und arbeitete als Verkaufsleiter für Kugellager, bis er 1966 mit seiner Familie nach Nizza ging, um seinen ersten Roman zu vollenden, It Happened in Boston?. Seitdem lebt er als freier Schriftsteller abwechselnd in Europa und New York.

It Happened in Boston? ist ein Roman aus der Bostoner Kunstszene voller skurriler, aberwitziger Figuren, ein psychedelischer Balanceakt zwischen pathologischem Irrsinn und phantastischem Alptraum. Der misanthropische und egomanische Maler und Bildhauer Barber, der die Tauben vor seinem Fenster vergiftet, hat einen eigenen Still entwickelt, der dem des Leonardo da Vinci verblüffend ähnelt. In einem alten Zauberbuch findet er eine magische Formel für das Herbeirufen Gottes; sie erfordert die Ermordung von sieben Unschuldigen. Barber füllt wahllos die Zuckerdosen in Bars und Cafés mit Strychnin und ermordet so sechs Menschen. »Russell H. Greenan verwendet die Struktur des modernen psychologischen Romans [...] und verbindet diese mit der Technik E. A. Poes [...], indem er den Leser Anteil an der Reflexion eines Psychopathen nehmen läßt.« (Signe Kirde) »Vor einem wunderbar authentischen Bostoner Hintergrund entwickelt Mr. Greenan eine faszinierende Geschichte, in der man auf die Kunstwelt, Wahnsinn, Mord und womöglich das Übersinnliche trifft. Nicht das geringste seiner Talente ist ein Flair von sardonischer Komödie, die dem Roman eine unerwartete ironische Wendung am Ende gibt.« (Publishers Weekly, 17.1.1969)

The Queen of America (1972) erzählt von Betsy, einer hippen Bikerin, deren Vorstellung von Vergnügen darin besteht, wahllos Menschen zu ermorden und dann in Stücke zu zerlegen. »Der Schwerpunkt liegt auf übersinnlichen Manifestationen. Der ahnungslose Leser erhält umfassenden Einblick in Dämonologie, Succubi, Hypnose, Satanismus, Zauberei, PSI, Spiritismus, Magie, astrale Projektion und wie man Gehirnwellen während des Schlafs analysiert ... eine aufregende Geschichte des Übersinnlichen.« (Los Angeles Times)

The Secret Life of Algernon Pendleton (1973) stellt Algernon vor, der ein zurückgezogenes Leben im prächtigen Haus seines Urgroßvaters, eines weltberühmten Ägyptologen, führt. Sein einziger Gefährte, mit dem er Zwiegespräche führt, ist Eulalia, die Porzellanstatue einer Katze. Um sich über Wasser zu halten, verkauft er wertvolle Aquisitionen seines Urgroßvaters in einem Antiquitätenladen. Dann taucht eine rätselhafte schöne Frau auf, dazu ein alter Freund aus Kriegstagen mit Suizidabsichten, und alles gerät aus den Fugen. »Ein einzigartiges Buch. Wahnsinn, zwei Morde (drei, wenn man den Hund mitzählt), barocke Rache, und das Ganze erweist sich als einschmeichelnd. Sie haben richtig gelesen, ich sagte einschmeichelnd.« (Ira Levin)

Heart of Gold (1975) ist die finstre Geschichte um die teuflische Figur des verkommenen, trunksüchtigen und mörderischen Pfarrers Dr. John Lenox aus Boston.

The Bric-a-Brac Man (1976) beschreibt eine Folge verrückter Gaunereien im Antiquitätenhandel; dabei kommt es zu einem Treffen mit dem leibhaftigen Teufel, der immer noch bestrebt ist Seelen zu kaufen. 

Über A Can of Worms (1987) schrieb Robert A. Lee in Viewpoint: »Die Dinge, die herauskommen, wenn die Dose in diesem makabren, spannenden Schocker geöffnet ist, sind herrlich. Es ist eine Welt nahe der von Jim Thompson oder Cornell Woolrich – schwarz, irrational, dennoch beinahe mit einem Sinn für drollige Gerechtigkeit.«

                                    
Literatur zu Russell H. Greenan:
Signe Kirde: »Russell H. Greenan: Die Geburt des Todes« in: Franz Rottensteiner, Michael Koseler (Hrsg.): Werkführer durch die utopisch-phantastische Literatur. 8. Erg.-Lfg. Meitingen: Corian-Verlag 1991

Deutsche Ausgaben der Romane:

THE BRIC-A-BRAC MAN (1976)
1)    GUT GEKLAUT IST AUCH ERWORBEN [Auszug]
Playboy, Oktober u. November 1976
Übersetzung: N.N.
2)    GUT GEKLAUT IST AUCH ERWORBEN [Auszug]
Anonym (Hrsg.): PLAYBOY STORY 9
München 1981, Moewig Verlag (S.
Übersetzung: N.N.

IT HAPPENED IN BOSTON? (1968)
1)    DIE GEBURT DES TODES
Stuttgart 1972, Deutsche Verlags-Anstalt (257 S.)
Übersetzung: Hansjürgen Wille u. Barbara Klau
2)    IN BOSTON?
München 2007, SchirmerGraf Verlag (378 S.)
Übersetzung: Pociao
Vorwort: Jonathan Lethem
3)    IN BOSTON?
Zürich 2010, Diogenes Verlag (detebe 23968) (400 S.)
Übersetzung: Pociao
Vorwort: Jonathan Lethem

THE QUEEN OF AMERICA (1972)
1)    DIE KÖNIGIN VON AMERIKA
München 1975, Wilhelm Heyne Verlag (Heyne-TB 5141) (173 S.)
Übersetzung: Claude Delorme

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