T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Martin Schips: Der mordende Uistiti, 1943
von Mirko Schädel



Martin Schips: Der mordende Uistiti, Lausanne: Kreis-Verlag 1943, Kreis-Kriminalromane Schweizer Autoren Band 1, 190 S.


Inspektor Weber vom Kriminalkommissariat in Lausanne wird mit einem Einbruchdiebstahl konfrontiert, bei dem der Einbrecher vom Bestohlenen in flagranti bei seiner Tat erwischt wurde. Dennoch gelang dem Einbrecher die Flucht samt Inhalt eines Tresors. Neben einem Diamanten waren Wertpapiere in dem Stahlschrank, die der Täter jedoch an den Eigentümer postalisch zurücksandte, da er die Verwertung nicht für erfolgversprechend hielt – den Diamanten jedoch behielt er.

Inspektor Weber ist ein Mann mit einem Wohlstandsbäuchlein, schwerfällig, kurzatmig, er raucht wechselseitig Pfeife oder Zigarre und ist überfordert mit allem, was man ihm abfordert. Er erinnert schon etwas an Maigret oder seinem Schweizer Pendant Wachtmeister Studer, man darf sicher sein, daß diese berühmten Vorgänger Schips Inspektor Weber Porträt gesessen hatten. Jedoch im Gegensatz zu Simenon und Glauser hegt der Autor dieses Kriminalromans einen Hang zu Ironie und der Komödie. Im nächsten Augenblick nämlich wird der Leser mit einem anderen Fall der Lausanner Polizei überrascht, einem aufgefundenen Seidenäffchen, einem Uistiti, der im Nebenzimmer auf seinen rechtmäßigen Besitzer wartet, denn der Affe wurde vor einigen Stunden in der Innenstadt aufgegriffen und der Polizei überantwortet.

Als ein Tessiner, seines Zeichens Besitzer eines dressierten Affenpärchens, sich bei Inspektor Weber meldet, betritt gleichzeitig ein Polizeidiener Webers Büro und berichtet von einem Telegramm, in dem der vermeintliche Besitzer des verloren gegangenen Seidenäffchens darum bittet, man möge das Äffchen auf seine Kosten nach Paris transferieren – nebst einer telegrafischen Geldanweisung und einer Beschreibung des Äffchens.

Doch als der Polizeidiener das Nebenzimmer betritt in dem der Affe sich aufhält, entdeckt er die Leiche eines Kollegen. Inspektor Weber bittet um allseitige Diskretion und findet eine kleine Bißwunde am Handgelenk der Leiche.  Möglicherweise stammt diese Bißwunde vom Seidenäffchen, das aus seinem Käfig entkommen und nun von einem Kollegen wieder eingefangen werden muß.

Im nächsten Bild befinden wir uns in einem Lausanner Cafe, wo ein hartnäckiger Verehrer namens King sich an eine junge Dame namens Eve heranmacht und dabei unangenehm bösartig über Eves Verlobten namens Wilder herzieht. Dabei erfahren wir, daß King und Wilder eigentlich befreundet sind. Wilder, Eves Verlobter, ist Jurist und Chemiker, der offenbar an einer bahnbrechenden Erfindung arbeitet. Als Wilder überraschend dazukommt, unterhalten sich die beiden Freunde über den Fortschritt von Wilders Studien – in irgendeiner Weise sind die beiden Freunde geschäftlich miteinander verbunden. Sie geraten in einen leisen, nüchtern geführten Streit und verlassen plötzlich das Cafe, dabei lassen sie Eve dort allein zurück. Anschließend lassen sich draußen auf der Straße zwei Schüsse hören, und kurz darauf betritt Inspektor Weber das Cafe. Angeblich wurde ein Beamter angeschossen als dieser den Käfig mit dem Seidenäffchen zum Bahnhof brachte.

Verdächtig ist offenbar laut Täterbeschreibung Wilder, Eves Verlobter, jedoch leugnet Eve nach Befragung Inspektor Webers den Mann zu kennen. Andererseits hat der unsympathische Herr King eine Schußverletzung, die er außerhalb Lausannes behandeln lassen wird, und der Täter, der den Polizisten angeschossen hatte, ist vermutlich ebenfalls angeschossen worden.

Schips gelingt der Spagat eine skurrile Komödie mit außergewöhnlicher Spannung zu verknüpfen, denn die verwickelte Geschichte ist reich an Geheimnissen – angefangen von der Rolle des mordenden Uistiti bis hin zu der rätselhaften Erfindung Webers.

Der brummige, kurzatmige Inspektor Weber und sein Kollege Dubois tappen im Dunkeln. Dem Leser wird eine Posse präsentiert, die witzig, unterhaltend und spannend ist, aber eine logische Schlüssigkeit der Ereignisse darf man nicht erwarten. Die nebulösen Ereignisse und Wendungen sind voller Ideen und erhöhen fortlaufend den Spannungsmoment, und wie so oft kann der Autor die Motive der handelnden Personen nicht ausreichend aufklären, so daß der Leser, zwar gut unterhalten wurde, aber den Eindruck gewinnt an der Nase herumgeführt zu werden. Schips ordnet alles seiner Fabulierkunst, seinem Witz und dem Willen spannend zu unterhalten unter.

Der Text erinnert an eine Mischung aus Filmkomödien der 1930er Jahre mit einer beinah kafkaesken Absurdität – voll von surrealer Atmosphäre. Natürlich ist das Äffchen das Gefäß für den gestohlenen Diamanten, und auch andere Ereignisse werden logisch aufgeklärt, doch wie aus Weber, dem Erfinder und Verlobten Eves, ein Mr. Hyde wird, bleibt unschlüssig. Schips benutzt offenbar das Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Motiv, ebenso wie Poe’s Erfindung eines mordenen Affen aus der Rue Morgue. Allerdings hat Schips keinerlei künstlerische Absicht dabei, sondern verfolgt konsequent den Gedanken an spannende Unterhaltung im Stil einer quirligen Kriminalkomödie.

Dieses Buch ist mal wieder ein glänzendes Beispiel für ein unauffindbares Buch, man sieht es womöglich einmal im Leben, und wenn man dann nicht zugreift, wird es nicht wieder sichtbar. Ich habe es auch in den einschlägigen Bibliotheken nicht finden können. Den Kreis-Verlag in Lausanne halte ich für einen Selbstverlag von Martin Schips. Der Roman wurde womöglich während des Zweiten Weltkriegs nur für den Schweizer Markt aufgelegt – wohl in einer verschwindend kleinen Auflage. Schips war vorwiegend als Übersetzer tätig.