T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Ludwig Rosen, das ist Ludwig Volrath Jüngst: »Der Eisenbahn-Räuber«, 1866

von Mirko Schädel


Ludwig Rosen, das ist Ludwig Volrath Jüngst: Der Eisenbahn-Räuber, in: Novellen, Detmold: Meyer’sche Hofbuchhandlung 1866, 282 Seiten


Ludwig Rosen, das ist Ludwig Volrath Juengst, 1804–1880, war Lehrer und Schriftsteller.

Diese Novellen beinhalten mehrere krimiartige Geschichten, wie zum Beispiel Der Eisenbahn-Räuber, 1866, dieser Text wurde auch später selbständig nachgedruckt. Der Eisenbahn-Räuber beginnt mit einer kafkaesken Situation, die der Autor dementsprechend beklemmend schildert. Der junge Regierungs-Referendar Eichmann ist seiner eigenen Überzeugung gemäß ein Glückskind, denn ihm steht die unmittelbare Beförderung zum Assessor bevor, die ihn darüberhinaus in den Stand setzt seine Braut an den Altar zu führen, die nicht nur außergewöhnlich hübsch ist, sondern auch wohlsituiert.

Eichmann ist gutgelaunt mit seinem Frühstück beschäftigt, als ein Brief ihn erreicht, der ihn davon in Kenntnis setzt, daß seine Dienste als staatlicher Regierungs-Referendar nicht mehr in Anspruch genommen werden. Eichmanns Welt stürzt zusammen, denn damit werden seine gesamten Lebenspläne zuschanden. Vor allem kann er sich die Ursache dessen nicht erklären, denn aus dem Schreiben geht keinerlei Begründung für seine Entlassung hervor. Eichmann zieht sich um und besucht den Regierungs-Präsidenten, der ihn unfreundlich abblitzen läßt, so daß EIchmann in vollkommener Unkenntnis über seine Verfehlung wieder die Straße betritt. Sein nächster Weg führt ihn in ein luxuriöses Hotel, wo sein Schwiegervater und seine Braut abgestiegen sind. Auch dort stößt er auf eine außergewöhnlich kalte, ablehnende Haltung, die ihn nötigt das Hotel schnellstmöglich wieder zu verlassen. Eichmann ahnt nicht im entferntesten, was geschehen sein muß, daß man ihn mit derart grausamer Kälte und Verachtung begegnet. Er geht niedergeschlagen und ohne es recht zu merken zurück in seine Wohnung, wo er beschließt sich zu suizidieren. Er packt sein Geld zusammen, daß er überwiegend der Hausbesorgerin vermachen will um seine Mietschulden zu begleichen, dann nimmt er aus einer Schublade eine Schußwaffe. Er beschließt sich irgendwo die Kugel zu geben, nur nicht in seiner Wohnung aus Rücksichtnahme auf seine Vermieterin.

Der Leser fühlt es dem Helden nach, die Beklemmung, die der Autor geschaffen hat, ist eindringlich und bedrohlich. Vor allem die Unkenntnis über seine mögliche Verfehlung ist es, die Angst verbreitet. Eichmann ahnt nicht im entferntesten, was man ihm vorzuwerfen hat. Dieser Zustand erinnert stark an Kafkas Roman Der Prozeß, nur daß Kafka diesen Zustand zu einer eigenen Lebenswirklichkeit ausarbeitet, die scheinbar kein Ende findet. Die Abwesenheit von Liebe und Mitgefühl als Lebenskonzept.

Doch der Autor montiert nun ein neues Kapitel in die Geschichte ein, daß von einem Schurken namens Karsch handelt, der offenbar gemeinsam mit Eichmann von der Familie Molsburg erzogen wurde. Eichmann war eine Waise und wurde von Herrn Molsburg protegiert, er sollte auch nach dem Beginn seiner beruflichen Karriere dessen Tochter heiraten – während Karsch offenbar aufgrund seines zwielichtigen Charakters von der Familie Molsburg verstoßen wurde.

Tatsächlich gibt Karsch in einer Kaschemme seinen kriminellen Freunden eine Geschichte zu hören, die den Untergang seines Intimfeindes Eichmann illustriert. Karsch hat nämlich schon von früh auf die Handschrift Eichmanns nachgeahmt und so einen Schmähtext über Eichmanns Vorgesetzte verfaßt, die er dann anonym an eine Zeitung sandte. Dieser Text erschien auch in der Zeitung – und bei den Nachforschungen des Regierungs-Präsidenten gab es angesichts der Handschrift, die man als Eichmanns Schriftzüge identifizierte, keinen Zweifel an der Urheberschaft dieses bösartigen Artikels, der zur sofortigen Entlassung Eichmanns führte. Daüberhinaus schrieb Karsch einen Brief an eine Freundin von Eichmanns Braut, der ihn derart kompromitierte, daß er als Bräutigam nicht mehr in Frage kam.

Nachdem Karsch diese Teufelei zum Besten gab, erläutert er seinen Kumpanen die Planung zu einem Einbruchdiebstahl im Schlosse Molsburg. Die Bande wollte noch am selben Abend, da die Bewohner des Schlosses in der Stadt weilen, mit der Eisenbahn zum Tatort fahren um dort den Einbruch vorzunehmen. Helfend soll ein Tischlergeselle zur Hand gehen, der jahrelang im Schlosse gearbeitet hatte und sich mit den örtlichen Gegebenheiten bestens auskenne.

Nun berichtet uns der Autor vom zufälligen Zusammentreffen Eichmanns mit jenem Tischlergesellen. Eichmann kannte diesen Mann aus Schloß Molsburg und war erschrocken über den liderlich-traurigen Gesamteindruck, den der Tischler hervorrief. Trotz seiner eigenen Misere befragt er den Bekannten ausgiebig und erfährt von ihm, daß dieser ein Verbrechen plane im Hause Molsburg. Da ihm das nötige Geld fehle um wieder ein rechtschaffener Mann zu werden, bleibe ihm kein anderer Ausweg. Eichmann begreift die Zusammenhänge und gibt dem Tischler die nötigen vier Taler um wieder Herr seiner selbst zu sein und um wieder auf dem rechten Weg zu wandeln.

Die Handlung kulminiert dann in einer Eisenbahnfahrt, denn unser hoffnungsschöpfender Tischler eilt zu Molsburg ins Hotel und unterrichtet letzteren von seinem geplanten, nun aber doch aufgegebenen Einbruchsversuch. Molsburg bittet den Tischlergesellen seinen geplanten Einbruch zum Schein durchzuführen, damit man die ganze Bande fassen kann.

Am Ende sitzen Molsburg und Tochter, Karsch und seine vier Mitverschwörer, zwei Polizisten und der arglose Eichmann in dem Zug, letzterer um am Grab seiner verstorbenen Eltern sich das Lebenslicht auszublasen, denn unter seiner Robe verbirgt sich der Lauf einer Schußwaffe.

Karsch landet im Abteil Eichmanns, erkennt diesen aber aufgrund der schlechten Beleuchtung nicht. Der Schurke beschließt, falls ihm der Einbruch im Schloß mißlingen sollte, seinen Mitpassagier prophylaktisch zu berauben. In letzter Sekunde bemerkt Eichmann das Vorhaben seines Gegenübers, zieht die Waffe und schießt Karsch in die Schulter.

Am Bahnhof Liebenau stehen bereits einige Polizisten bereit um die verdächtigen Individuen zu verhaften. Auch der verwundete Karsch und Eichmann erkennen nun einander und die ganze Intrige gegen Eichmann wird offenkundig. Der Rehabilitierung Eichmanns steht nun nichts mehr im Wege und sein Schwiegervater bittet ihn um Entschuldigung für das vorschnell entzogene Vertrauen.

Die Erzählung ist in einem spätbiedermeierlichen Tonfall verfaßt, dennoch ist sie gut lesbar und ist durchaus gelungen. Den moralischen Ansprüchen der zeitgenössischen Leserschaft wird Genüge getan und am Ende ist alles eitel Sonnenschein. Dem Autor ist es zu verdanken, daß die Beklemmung, die sich aus der Lektüre des Anfangkapitels ergibt, sich beim Leser zu einem elementaren Spannungselement wandelt.