T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Ernst Friedrich, das ist Ernst Friedrich Pinkert: »Das verfluchte Haus«, 1925
von Mirko Schädel



Ernst Friedrich, das ist Ernst Friedrich Pinkert: Das verfluchte Haus, Leipzig: Verlag A. Bergmann 1925, 187 Seiten, Umschlag von Deli Zeitlin


Ernst Friedrich, das ist Ernst Friedrich Pinkert, 1876–1952, war Schriftsteller und Kolportageautor. Er benutzte verschiedene Pseudonyme und hatte den Hang den schlüpfrigen Sittenroman und den spannenden Kriminalroman zu verbinden, was ihm mit Das verfluchte Haus, 1925, durchaus gelungen ist. Die Passagen des Roman sind von unterschiedlicher Güte, insgesamt ist das Buch jedoch lesenswert.

Die Geschichte dreht sich um zwei Männer, zum einen den Doktor Wohlrab, seines Zeichens Erbe und Verpächter eines Gutshofes und Schriftsteller, zum anderen den Spanier Gonzaga, ein undurchsichtiger Zeitgenosse, der in den besten Kreisen Berlins verkehrt. Dr. Wohlrab schätzt den Herrn Gonzaga instinktiv so gar nicht, obwohl sich beide Herren in denselben Kreisen bewegen.

Wohlrab beschäftigt sich unentwegt damit Menschen zu beobachten um seine schriftstellerischen Arbeiten zu forcieren, dabei gerät er auch in Stadtteile Berlins, die es nicht so dicke haben und wird auf ein 15jähriges Mädchen aufmerksam, die in einem völlig herabgekommenen Tingeltangel als Tänzerin auftritt. Dieses Mädchen erinnert Dr. Wohlrab an jemanden und als er hört, wie das Mädchen heißt, ist unser Schriftsteller recht schockiert, denn die Waise trägt den Namen von Wohlrabs verloren gegangener Braut. Vor 15 Jahren verschwand diese nämlich irgendwo in der Nähe von Garmisch spurlos, und deshalb hat er auch nie wieder mit dem Gedanken gespielt sich zu verheiraten.

Seine Nachforschungen ergeben, daß es sich wohl tatsächlich um die uneheliche Tochter seiner ehemaligen Braut handelt. Als Dr. Wohlrab, der sich um das Fortkommen des Mädchens kümmert, im Sommer eine Bergwanderung in Bayern unternimmt, gerät er eines Tages in ein hochgelegenes, einsames Dorf an dessen Rand ein seltsam ummäuertes Anwesen steht.

Wohlrab mietet sich beim örtlichen Pfarrer ein, offenbar ein ebenso ruhebedürftiger Einsiedler wie Wohlrab selbst. Niemand kann genauere Auskünfte zu diesem Haus geben, doch allerlei Gerüchte darüber sind in Umlauf. Eines Tages sieht Wohlrab auch einen Bekannten aus Berlin in seiner Limousine von jenem Haus fortfahren und bald wird sowohl unserem Helden, als auch dem Leser klar, daß das Haus zur Konditionierung von jungen Mädchen dient, die künftig als Zwangsprostituierte in alle möglichen Gegenden geschickt werden.

Als Wohlrab endlich weitere Erkenntnisse gewinnt und sich an die Polizei wendet, die ihrerseits nicht untätig bleibt und das Haus gewaltsam öffnen und durchsuchen läßt, sind jedoch bereits alle Beteiligten ausgeflogen. Ein gewisser Herr Gonzer sei der Besitzer des Hauses, vermutlich ein Berliner.

Dr. Wohlrab, der festgestellt hat, daß jene uneheliche Tochter seiner unauffindbaren, einstigen Braut, in jenem Dorf geboren sein muß, ahnt, daß das Haus auch mit dem Verschwinden seiner Braut zu tun haben muß. Seine Nachforschungen setzt Wohlrab in Berlin fort, langsam und zäh entdeckt er neue Spuren, bis er endlich durch einen Tipp in Erfahrung bringt, daß jener Herr Gonzer mit dem unsympathischen Spanier Gonzaga identisch sei, doch hat letzterer bereits Berlin verlassen und befindet sich auf der Flucht Richtung Hamburg. Dort nimmt Gonzaga Zuflucht in einem schmierigen Bordell – bis auch da der Boden zu heiß wird. Der Spanier wendet sich zurück nach Bayern in das unselige Haus, wo zwei Kumpane von ihm damit beschäftigt sind Falschgeld zu drucken. Auch von dort gelingt ihm noch einmal die Flucht, als nämlich eine ganze Armee von Förstern und Waldarbeitern den Wilderern dieses Hauses auf die Spur kommen, denn die Falschmünzer und Mädchenhändler schossen Wild um ihren Nahrungsmittelvorrat zu vergrößern. Offiziell galt das Haus nach der ersten Durchsuchung als leerstehend und so konnten die Verbrecher nicht ins Dorf zum Einkaufen gehen, sondern waren auf sich selbst gestellt.

Nochmal wendet sich Gonzaga nach Hamburg zu jener Bordellwirtin, doch diese ist bereit gegen eine stattliche Belohnung mit der Kriminalpolizei zu kooperieren – dies erfährt der Spanier im letzten Augenblick und er tötet die Wirtin und versenkt die Leiche im Fleet. Seine Flucht mißlingt, und er erliegt kurze Zeit später einem Bauchschuß. Dr. Wohlrab, der sich an der Hatz auf Gonzaga in Hamburg beteiligt hatte in der Hoffnung, daß der Spanier ihm verraten wird was aus seiner Braut geworden ist, kehrt deprimiert nach Berlin zurück. Doch dort wartet bereits das letzte Abenteuer auf Dr. Wohlrab, denn eine unbekannte, armselig anmutende Frau habe nach ihm gefragt, auch die Polizei sendet einen Boten, er möge sich bei der Behörde melden. Dort wird ihm mitgeteilt, daß man eine Obdachlose aufgegriffen habe, die sich auf den Dr. Wohlrab berufe. In der Zelle entdeckt er seine seit 15 Jahren verloren gegangene und totgeglaubte Braut Silvia, die der Spanier durch Hypnose und Gewalt gefügig gemacht hatte um sie nach Buenos Aires in ein Bordell zu verkaufen. Durch viele Umwege und am Boden zerstört gelang ihr eines Tages die Flucht, vollkommen mittellos in Berlin wollte sie Dr. Wohlrab um ein paar Pfennige bitten.

Wohlrab kümmert sich rührend um die kranke Frau, er bringt sie in einem Privatsanatorium unter und als sie wieder hergestellt ist, bittet er um ihre Hand. Silvia, die die allergrößten Verletzungen und die überhaupt größte Schmach erlitten hat, kann sich an diesen Gedanken nicht gewöhnen und lehnt die Heiratspläne ab. Doch Wohlrab läßt nicht locker bis er erfolgreich sein Ziel erreicht.

Der Roman ist gar nicht so übel, wenn man die Rührseligkeit und Sentimentalität am Ende außer acht läßt. Die Kapitel, die sich ungewohnt komödiantisch um die Förster drehen, die dem verfluchten Haus auf die Pelle rücken, sind der Höhepunkt des Romans, denn vieles in diesem Buch ist von Anfang an vorhersehbar. Interessant ist die Haltung des Autors zu den gefallenen Mädchen, die ja unverschuldet – durch Hypnose und mittels Gewalt der Prostitution zugeführt wurden, denn Pinkert lehnt jegliche Verurteilung dieser Frauen ab, ja, er geht sogar noch weiter und läßt den treuherzigen Helden der Geschichte jene Silvia heiraten, die jahrelang als Hure in Buenos Aires gearbeitet hatte. Diese Haltung ist mehr als beachtlich und verträgt sich so gar nicht, mit den üblichen Ehren- und Moralkodices jener Zeit. Da hätte man das Schicksal dieser versklavten Frauen bestensfalls bedauert und sie nach allgemeinen Dafürhalten einem lebenslänglichen Aufenthalt in einem Kloster oder einem respektablen Selbstmord überantwortet. Keinesfalls hätte man sich aus Gründen des Ekels, des Schmutzes, der Moral jedoch mit einer solchen Dirne vermählt, und sei sie noch so unschuldig an ihrem Schicksal. So wird die Zwangsprostituierte von einst wieder zu einem Menschen gemacht – und nicht in die verachteten Regionen des Schmutzes und Tierhaften hinabgestoßen, wie es damals üblich war.

Es gibt nämlich nicht Menschen erster und zweiter Klasse, sondern nur Menschen erster und dritter Klasse, die drittklassigen sind jene, die mit nichts anderem beschäftigt sind als andere Menschen zu deklassieren und es nicht einmal merken, daß sie sich selbst erniedrigen.

Diese Art des Sittenromans lag Pinkert offenbar am Herzen, er scheint damit gewisse politische Absichten verfolgt zu haben die ehrenwert sind – nichts kann ehrenwerter sein als die Moralvorstellungen der Gegenwart zu hinterfragen, denn auch die Moral verfolgt vor allem die eine Aufgabe: Abgrenzung, Verfolgung, Hass – zumindest in weiten Teilen. Und die größten Moralapostel sind die Verfolger, Vergewaltiger, Gewalttäter und Kirchenväter sowie andere selbstherrliche Figuren eines fraglos unbegründeten Narzismus.