T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Margery Allingham: »Blumen für den Richter«, 1939
von Mirko Schädel



Margery Allingham: Blumen für den Richter, Wien: E. P. Tal 1939, Die rot-blauen Bücher Band 10, 221 Seiten, Schutzumschlag von Otto Huter


Margery Allingham, 1904–1966, war eine englische Kriminalschriftstellerin, die ihre Figur des Albert Campion gern in Künstlerkreisen oder unter Intellektuellen ermitteln läßt. Campion, dieser undurchsichtige Gentleman, wird gebeten Paul Barnabas zu finden, der seit Tagen nicht nach Hause gekommen ist. Seine Gattin Gina beginnt sich Sorgen zu machen, obwohl sie die Lieblosigkeit ihre Gatten und seine Unzuverlässigkeiten durchaus kennt und satt hat. Sie liebt ihren Gatten nicht, was auf Gegenseitigkeit beruht und möchte sich scheiden lassen.

Campion entdeckt, daß sein Freund Mike Barnabas in Gina verliebt zu sein scheint. Mike, Paul und John sind Vettern und die Erben des renommierten und stockkonservativen Verlags Barnabas & Company in London. John ist der älteste der Erben und auch der Wortführer, John denkt nur an den Verlag und maßt sich an der Wortführer der Firma zu sein.

Vor zwanzig Jahren war bereits einer der Verlags-Erben spurlos verschwunden. Der gute Mann wurde auf dem Weg zur Arbeit in einer Londoner Vorstadt geradezu unsichtbar und nie wieder gesehen. Drei Tage nach Pauls Verschwinden findet eine Verlagsangestellte dessen Leiche im Keller des Unternehmens in der sogenannten Stahlkammer, einer schlechtbelüfteten Rumpelkammer.

Die Totenschau und die Obduktion ergeben, daß Paul Barnabas mit den Abgasen eines Autos getötet wurde, die der Mörder mit einem Schlauch in die Stahlkammer geblasen hatte. Also handelt es sich um vorsätzlichen Mord, und die Polizei braucht nicht viel Zeit um die Alibis der Familie und der Verlagsmitarbeiter zu prüfen – auch das große Interesse von Mike Barnabas an dem Schicksal Ginas, die Gattin des Ermordeten, bleibt nicht verborgen. Nach der Totenschau wird Mike verhaftet und wartet auf seinen Mordprozeß, denn das einzige angreifbare und unbewiesene Alibi weist Mike auf, der vorgibt stundenlang spazieren gegangen zu sein – und das Motiv scheint die Beseitigung seines Konkurrenten zu sein, um Gina heiraten zu können.

Campion glaubt nicht an diese Theorie, sieht aber die Gefahr in der Mike schwebt. Er steht der Familie bei und recherchiert in alle Richtungen, aber einige Zeit kommt Campion nicht voran. Eine der interessantesten Figuren, nämlich Ritchie, ist ebenfalls ein Vetter aus der Barnabas-Sippe, doch Ritchie ist nur ein untergeordneter Lektor und nicht an der Leitung des Verlags beteiligt – vermutlich weil Ritchie eine ungewöhnliche Persönlichkeit ist, die entfernt an einen Autisten erinnert. Seine Sätze sind abgehackt und in einer Art Telegrammstil, doch Campion freundet sich mit Ritchie zunehmend an.

Auch Lugg, Campions ehemals krimineller Diener, beteiligt sich im Verlauf des Romans an den Ermittlungen und ganz langsam ergeben sich völlig neue Indizien und Unstimmigkeiten in der Geschichte. Währenddessen wird der Mordprozeß gegen Mike eingeleitet, die Chancen eines Freispruchs werden von Prozeßtag zu Prozeßtag geringer. Die Staatsanwaltschaft weist einen fast lückenlosen Tathergang nach. Die Öffentlichkeit ist überzeugt, daß Mike seinen Vetter Paul umgebracht hat.

Campion löst jedoch die Rätsel um den Mord nach und nach und weiß bereits, wer der Mörder Pauls sein muß, kann jedoch keine stichhaltigen Beweise liefern. Erst kurz vor der Urteilsverkündung kann er den Schuldigen in die Enge treiben. Es handelt sich dabei um John, den heimlichen Chef des Verlagshauses. Campion gelingt es den Mörder soweit zu reizen, daß er einen Mordanschlag auf Campion ausführt. Als dieser mißlingt, suizidiert sich John in seinem Badezimmer mit Autoabgasen. Der Mordprozeß wird abgebrochen, die Geschworenen entlassen Mike Barnabas mit einem Freispruch.

Die ganze Wahrheit jedoch behält sich Campion vor, denn er hat nicht nur den Mord aufgeklärt, sondern auch das Verschwinden eines Mitglieds der Familie vor zwanzig Jahren. Auch Paul Barnabas Geheimnis kennt nur Campion, denn dieser führte ein Doppelleben, denn er hatte vierzehn Jahre lang ein Verhältnis zu einer Frau aus der Vorstadt.

Am Ende des Romans streifen Mike und Campion durch Italien, wo Gina zu ihnen stößt. Campion läßt das Liebespaar allein, er besucht eine Zirkusvorstellung, wo sich der vor zwanzig Jahren spurlos verschwundene Barnabas als Direktor und Artist eine neue Existenz aufgebaut hat und der damals mit einer Schlangenbeschwörerin durchgebrannt ist. Um sich den Zirkus finanzieren zu können, stahl er vor zwanzig Jahren ein wertvolles literarisches Manuskript aus dem 18. Jahrhundert, das im Besitz des Verlags war.

Dieser Diebstahl wurde akribisch von John vertuscht, da der Dieb auf seine sonstigen Anteile am Unternehmen verzichtete. Auch den autistischen Ritchie, der jedes Jahr während seines Urlaubs für mehrere Wochen spurlos aus London verschwand, entdeckt Campion in der Zirkusvorstellung – denn Ritchie spielt den Clown in der Vorstellung. Campion weiß, daß Ritchie den Mörder John umgebracht und diese Tat erfolgreich als Selbstmord getarnt hatte. Diese Geheimnisse kennt allerdings nur Albert Campion, der kein Interesse daran hat die Öffentlichkeit aufzuklären.

Die Übersetzung von Marie Rieger ist schwächer als Ellen Diners Übersetzung von Ein Gespenst stirbt, 1939. Dennoch erkennt der Leser die Qualität des Romans, die hinter der holprigen und manchmal hilflos wirkenden Übersetzung durchscheint. Die Romane um Albert Campion sind ein Hochgenuß, die Figuren sind allesamt ungewöhnlich interessante Charaktere, die Konstruktion tadellos und der Humor ist feinsinnig und empathisch. Allingham gehört zu den besten Autoren der Kriminalliteratur, ihre Romane sind Kunstwerke, zeitlos, witzig, intelligent and very british.