T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Otto Eicke: »Rätsel der Sphinx«, 1923
von Mirko Schädel



Otto Eicke: Rätsel der Sphinx, Dresden: Berga-Verlag 1923, Berga-Kriminal-Romane Band 5, 157 Seiten


Otto Eicke, 1889–1946, war Redakteur, Unterhaltungsschriftsteller und Bearbeiter von Karl-May-Romanen. Er arbeitete als Lektor für den Münchmeyer Verlag und später für den Karl-May-Verlag.

Rätsel der Sphinx, 1923, ist ein reichlich naiver, exotistischer Kriminalroman, der zumindest kulturgeschichtlich von Interesse ist, denn das Büchlein spielt in Ägypten – und das Lokalkolorit scheint für einen laienhaften, halbgebildeten Leser wie mich durchaus überzeugend zu sein. Es kann aber durchaus sein, daß Eicke durch die Lektüre Mays zu diesem orientalistischen Sujet animiert wurde, und so das überzeugende Lokalkolorit in diesem Buch indirekt mehr der Phantasie Mays geschuldet ist. Auffallend ist noch, daß die sprachlichen und stilistischen Mittel des Autors klar und routiniert hervortreten, dennoch können die Figuren nicht überzeugen, sie wirken austauschbar und agieren als Klischees ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Stellung.

Die Geschichte ist schlicht und dramaturgisch ziemlich fragwürdig. Der reiche türkische Kaufmann Ibrahim Aßwad klagt seinem Freund Lord Abberton sein Leid, denn seine beiden hübschen Töchter Pervin und Naquije sind entführt worden. Die beiden Männer beraten über die möglichen Entführer und schnell wird man sich einig und tippt auf Harry Hastings, ein in der Nähe Aßwads lebender Brite, der wohl von Pervin in amouröse Bande geschlagen wurde. Lord Abberton kündigt seine Unterstützung bei der Aufklärung des Falls an, er begibt sich unversehens mit seinem Diener an die Verfolgung des Liebespaares – wenngleich unklar ist, warum auch Naquije verschwunden sei. Außerdem erfährt der Leser, daß Aßwad keineswegs dulden würde, daß ein Ungläubiger eine seiner Töchter ehelicht, da er ein strammer Moslem ist – und, so erfährt man später, ebenso ein strammer Nationalist und Freiheitskämpfer. Lord Abberton bekommt in Alexandria von einem Franzosen einen Wink und ändert die Richtung seiner Verfolgung. Um es kurz zu machen, recht bald findet Lord Abberton die Flüchtigen und stellt fest, daß sein Landsmann und Freund Harry Hastings die falsche Braut entführt hat, denn unter dem Schleier verbirgt sich Naquije, die unglücklich in Hastings verliebt ist und sich trickreich der Indentität ihrer Schwester bedient hatte. Hastings und Pervin wollten nach Indien fliehen und dort heiraten. Nun fragt man sich aber, was aus Pervin geworden ist.

Zwischendurch muß unser Held Lord Abberton noch ein Abenteuer in einer Mumienhöhle bestehen, wo er niedergeschlagen und ausgeraubt wird. Doch diese Referenz an die althergebrachte Kolportage soll den Text vermutlich nur künstlich aufblähen, obwohl dieser Part noch der eindrucksvollste ist.

Lord Abberton bringt nun seine eingefangenen Schäfchen zurück zu Aßwad, der, als er von dem spurlosen Verschwinden Pervins – seiner Lieblingstochter – hört, tobt. Kurz darauf wird die Leiche Pervins in Hastings Arbeitszimmer entdeckt. Pervin wurde mit einem Dolch aus dem Besitz Hastings erstochen. Aßwad will Rache nehmen, doch ehe der Kaufmann zur Tat schreitet, fällt Lord Abberton ein, daß sich in Ägypten ein amerikanischer Detektiv aufhält und beauftragt diesen, den Mordfall aufzuklären. 

Evans, der Detektiv, eilt mit Lord Abberton zum Tatort in Hastings Hause, doch als sie dort eintreffen, entlädt sich der Rachedurst des türkischen Kaufmanns. Gerade in dem Augenblick steht Aßwad mit gezückter Handfeuerwaffe vor Hastings, doch Naquije hatte sich ängstlich an die Fersen ihres Vaters geheftet um das Schlimmste zu verhindern. Naquije stürzt sich in dem Augenblick, als ihr Vater abdrückt, schützend vor Hastings und wird tödlich getroffen. Nun hat Aßwad seine beiden Töchter unwiederbringlich verloren.

Unser Detektiv hört sich um, er spricht ja den ortsüblichen arabischen Dialekt von Gizeh. [Vermutlich spricht Evans auch die über 50 Sprachen fließend, die in China Verwendung finden.] Bald stößt Evans auf einen Bettler, der ihn anzulügen scheint, denn dieser Bettler behauptet entgegen den Aussagen eines Zeugen, er kannte Pervin nicht. Evans begibt sich in Hastings Haus und sieht sich nochmal im Arbeitszimmer um, dann stellt er fest, daß die Juwelensammlung Hastings aus falschen Steinen besteht – jemand muß sie ausgetauscht haben und dieses Verbrechen habe offenbar ein anderes nach sich gezogen. Evans ermittelt – und hört ein Gespräch zwischen einem Derwisch [jenem Bettler] und Aßwad, letzterer will immer noch an dem vermeintlichen Mörder seiner Tochter Rache nehmen – und glaubt Harry Hasting sei der Schurke.

Doch Evans durchschaut bereits alle Zusammenhänge und es kommt zu einem Showdown an der Sphinx von Gizeh. Ein anonymer Brief lockt Hastings gegen Mitternacht zu der Sphinx, doch handelt es sich um eine Falle des Mörders, der Hastings beiseite schaffen will. Der wirkliche Mörder und Dieb will Gericht halten über Hastings – und ihn töten, so daß alle Schuld auf den Unschuldigen gewälzt werden kann.

Evans verständigt sich mit Lord Abberton und Aßwad, diese drei Männer und einige arabische Diener sollen Zeugen werden und sich von der Schuld des Derwisches überzeugen. Hastings soll zum Schein dem Wunsch des anonymen Briefs Folge leisten – man versprach ihm darin Aufklärung über den Mord an seiner Geliebten.

Gegen Mitternacht taucht Hastings bei der Sphinx auf, wo er in das Loch einer Falltür stürzt. Aßwad, Evans und Lord Abberton folgen Hasting – und Evans klärt alle Beteiligten über den tatsächlichen Sachverhalt auf. Pervid, die die falsche Entführung ihrer Schwester beobachtete, glaubte sich irrigerweise von ihrem Geliebten getäuscht. Sie dachte, Hastings habe absichtlich Naquije entführt, und so schwur sie Rache zu nehmen. Sie besuchte ihren Lebensberater – einen Bettler, der mit dem Derwisch eines Klosters identisch ist. Diesem verrät sie den Plan ihres Rachefeldzugs. Pervid will nicht mehr leben und beschließt in Hastings Gemächern einen Mord zu inszenieren. Sie geht in Begleitung des Bettlers zu Hastings Haus, steigt durchs Fenster in Hastings Arbeitszimmer, wo der Bettler einen Dolch nimmt und Pervid auf deren eigenen Wunsch ersticht, s0 daß ihr Geliebter Harry Hasting als Mörder identifiziert wird. Die Leiche Pervids soll den angeblichen Mord Hastings dokumentieren – und darin besteht die Rache der stolzen Pervid. Der Bettler beschließt nun die Situation zu nutzen und stiehlt die Juwelen aus dem Besitz Harry Hastings, tauscht diese aber mit falschen Steinen aus und flieht.

Als Aßwad, Pervids Vater, dies hört, fordert er den Bettler zu einer Art Duell auf. Aßwad erdolcht den Mörder seiner Tochter und damit endet dieser unsägliche Roman, der trotz seiner 157 Seiten noch zu lang erscheint.