T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Mary Roberts Rinehart: »Schlafwagenplatz Nr. 10«, 1929
von Mirko Schädel



Mary Roberts Rinehart: Schlafwagenplatz Nr. 10, Berlin: Weichert Verlag 1929, Argus-Kriminalromane Band 6, 296 Seiten, Schutzumschlag von Hans Höhner


Schlafwagenplatz Nr. 10 ist ein unschuldig amüsanter und spannender Kriminalroman in Form eines mystery. Rinehart soll dieses Buch besonders sorgfältig durchgearbeitet haben, was man von den meisten ihrer anderen Werke nicht behaupten kann. Doch ist die Übersetzung des Dr. Arno Schimmelpfennig etwas hilflos und schlampig, so daß man nur ahnen kann welche Qualität das Original besessen haben mag.

Die Geschichte ist aus der Ich-Perspektive eines Rechtsanwalts und Junggesellen namens Blakeley erzählt, der reichlich naiv und oberflächlich seine abenteuerlichen Erlebnisse zum Besten gibt. Blakeley ist auf dem Weg mit einigen gefälschten Wechseln Richtung Pittsburgh zu einem Millionär namens Gilmore, der die Echtheit seiner Unterschrift auf den Wechseln prüfen soll. Ein gewisser Bronson soll diese Wechsel mit falschen Unterschriften versehen haben.

Blakeley wird von seinem Freund und Kompagnon seiner Rechtsanwaltskanzlei Mc Knights zum Bahnhof verfrachtet und mit guten Wünschen versehen. Blakeley reist nach Pittsburgh, erhält vom alten Herrn Gilmore die Bestätigung, daß die Unterschriften gefälscht sind und fährt umgehend mit dem nächsten Zug nach Washington zurück.

Doch die Rückreise gestaltet sich zu einem Alptraum, denn Blakeleys Schlafwagenplatz Nr. 10 wird von einem angetrunkenen Mann mit Beschlag belegt. Blakeley nimmt nun den Platz Nr. 9 ein, der offenbar noch frei ist. In der Nacht hat Blakeley Mühe einzuschlafen und schleicht unruhig durch den Zug. Am nächsten Morgen findet man den Herrn von Schlafwagenplatz Nr. 10 entseelt vor, offenbar wurde das Opfer in der Nacht gekonnt erstochen. Blakeley findet sich am Morgen merkwürdigerweise in dem Schlafwagenplatz Nr. 7 wieder und wurde seiner gesamten Habe beraubt, auch die Tasche mit den gefälschten Wechseln, die zur Beweisaufnahme eines Verfahrens benötigt werden, ist verschwunden.

Nachdem bereits die Passagiere des gesamten Abteils anhand von verschiedenen Indizien der Meinung sind, daß niemand anderes als Blakeley der Mörder sein kann, geschieht ein katastrophales Eisenbahnunglück, der nachfolgende Zug rast in den haltenden Zug in dem gerade der Mord erörtert wird. Die meisten Insassen des Abteils sterben noch vor Ort, Blakeley erwacht aus einer Bewußtlosigkeit und findet sich in der Obhut einer jungen Dame namen Miß West wieder, die er schon kurz zuvor einmal gesehen hatte – und die ihm ausgesprochen gut gefallen hatte, obwohl Blakeley als eingefleischter Junggeselle und Weiberfeind gilt. Die junge Dame kümmert sich rührend um Blakeley und kann ihn überreden aufzustehen und den brennenden Zug zu verlassen. Sein Arm ist gebrochen und er hat große Schmerzen, doch die beiden laufen ziellos durch die Landschaft bis sie einer Bäuerin begegnen, die ihnen den Weg zu ihrem Gehöft beschreibt und die Verunglückten auffordert sich dort in Sicherheit zu bringen.

Die beiden Unfallopfer frühstücken, ruhen sich kurz aus und schlagen sich dann zu einem kleinen Bahnhof durch, sie nehmen den nächsten Zug, der sie nach Washington bringen soll. Dort verlieren sich die beiden aus den Augen. Blakeley läßt sich von seiner Hausdame pflegen und muß vorerst eine Woche Bettruhe halten. Obwohl die meisten Zeugen aus der Eisenbahn tot sind, dringen dennoch verschiedene Informationen über den Mord zur Polizei. Und Blakeley erfährt, daß sein bester Freund und Geschäftspartner Mc Knight ebenfalls in Miß West verliebt ist.

Die Indizien sind zahlreich und verwirrend, die Informationen über die möglichen Drahtzieher der beiden Verbrechen ebenso. Doch gerät Blakeley in Verdacht, so daß er von einem befreundeten Polizisten beschattet wird. Außerdem gibt es noch den Gelegenheitsdetektiv Hotchkins, der zu den Überlebenden des Eisenbahnunglücks gehört und der auch die Verdachtsmomente gegen Blakeley kennt, sich aber dennoch bald auf die Seite des jungen Anwalts stellt.

Hotchkins, der ein Bewunderer Edgar Allan Poes ist, gehört zu den intellektuellen Detektiven, die jede noch so unbedeutende Spur verfolgen und sich dementsprechend häufig der Lächerlichkeit preisgeben. Während Hotchkins neben Mc Knight mehr die komödiantischen Szenen zu verantworten haben, ist Miß West für die melodramatischen, amourösen, romantischen Passagen verantwortlich, sie ist zwar verdächtig, doch nach und nach können diese Verdachtsmomente nicht aufrecht erhalten werden. Auch Mc Knight, der irgendwann im Bilde ist über die Romanze, die sich zwischen seiner Freundin Miß West und seinem Freund Blakeley abspielt, verzichtet großzügig auf sein Recht des Erstgekommenen. 

Die Auflösung des Rätsels ist am Ende etwas unbefriedigend, wenngleich schlüssig, doch der über weite Strecken verdächtige Sullivan erweist sich als falsche Fährte. Dieser gibt zwar zu den Raub der falschen Wechsel durchgeführt zu haben, doch war die Zielperson im Schlafwagenplatz Nr. 10 bereits tot. Durch einen glücklichen Zufall gerät Sullivan dann doch noch an die falschen Wechsel, die er dem Auftraggeber Branson später aushändigt. Natürlich fand der Mordanschlag gezielt auf Blakeley statt, dem man unbedingt die falschen Wechsel abnehmen wollte, doch der Zufall und die Angetrunkenheit des Passagiers führte zu der Verwechslung der Schlafwagenplätze und also des Mordanschlags.

Allerdings muß man der Autorin zugute halten, das trotz aller Verwicklungen der Roman überaus spannend und amüsant ist – und das der aufmerksame Leser bereits sehr früh einen beinah untrüglichen Hinweis über die wahre Identität des Mörders erhalten hat.