T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Otto Schrayh – Spannung, Spionage und Phantastik mit Ponyhof-Romantik
von Robert N. Bloch



Otto Schrayh: Schlaf, Zürich: Fraumünster-Verlag 1944, Die grünen Kriminal Band 8, 256 Seiten



Otto Schrayh war ein dänischer Schriftsteller, der zwischen 1939 und 1944 fünf phantastische Kriminalromane veröffentlichte, die alle ins Deutsche übersetzt wurden und in der Schweiz erschienen, bisher aber von Liebhabern des phantastischen Genres kaum wahrgenommen wurden. Ich bin erst vor kurzem auf diesen vergessenen Autor aufmerksam geworden und möchte hier seinen Roman Schlaf vorstellen, der es durchaus verdient, näher betrachtet zu werden.

Professor Daniel Höst betreibt in Kopenhagen ein Laboratorium, in dem er Experimente an Hunden vornimmt, denen er solange den Schlaf entzieht, bis sie sterben. Dem Professor gilt auch ein Menschenleben wenig, wenn dies seinen Zwecken dient. Als ein paar Spione in sein Laboratorium eindringen, hetzt er einen tollwütigen Hund auf sie. Der Anführer wird gebissen. Der Professor erklärt diesem kaltblütig, er werde in Kürze unter Zuckungen verenden. Falls er sich ergebe, werde er ihm ein Serum injizieren. Der Spion ergibt sich und erhält das Serum. Tatsächlich hat ihm der Professor aber ein tödliches Gift gespritzt, damit er nicht weiter lästig fällt. Den Menschen betrachtet er als einen Mechanismus, und damit kommen wir zu der Formel, die der Professor entwickelt hat, mittels der der Mensch als Maschine ohne Schlaf auskommt und demnach doppelt soviel arbeiten kann. Ein totalitärer Staat namens Expantis, in Europa gelegen, zeigt großes Interesse an dieser Erfindung und entführt den Professor und dessen engste Mitarbeiter an dem Abend, als er seine Entdeckung der Weltöffentlichkeit präsentieren will. 

Noch kurioser wird es in Expantis. Die dortige Regierung will nämlich die komplette Bevölkerung als Versuchskaninchen mißbrauchen, um die Wirkung von »Hypantin«, dem Pulver des Professors, und »Eruptin«, einem Mittel, das überanstrengte Muskulatur wieder entspannt, so daß der Mensch ununterbrochen einsatzfähig sein soll. Der Professor kann dieser Versuchung eines Experiments mit Millionen von Menschen nicht widerstehen, und stürzt sich in die Großproduktion beider Drogen. Expantis kann bald seine Produktivität verdoppeln und mit der Hälfte der Soldaten einen Krieg mit seinem Nachbarn vom Zaun brechen.

Derweil in Kopenhagen: Der Journalist Tom Müller hat sich entschlossen, den Professor und seinen Freund Dr. Herbert Schmidt in Expantis zu befreien. Freilich, eilig hat er es damit nicht. Er plant eine halbe Weltreise, um die Spione aus Expantis irrezuführen. Zwischendurch geht er auch mal auf Schneehuhnjagd, trinkt einen zuviel und vergißt, daß er als Amerikaner reist, und schwadroniert auf dänisch. Mit einem Wort: ein naiver Spion aus einem Abenteuerbuch für Jungens. Mit sehr viel Glück schafft er es tatsächlich bis nach Expantis, wo er auch den Professor wiederfindet. Und es wird Zeit fürs furiose Finale.

Tom Müller ist nicht der Held der Geschichte, er ist nur der Berichterstatter. Inzwischen zeigt sich eine üble Nebenwirkung der beiden Drogen auf die Bevölkerung. Die Drogen führen zu periodischen Sehstörungen bis zur Erblindung. Als sich das herumspricht, kommt es zum Sturz der Regierung und einem Prozess gegen den Professor, der in seiner überheblichen Arroganz das Gericht wie das Publikum derartig herausfordert, bis ihn einer der Zuschauer erschießt. Das Geheimnis des »Hypantin« ist mit dem Professor gestorben. Tom Müller wird durch den Bericht über die Zustände in Hypantis weltberühmt, und zuden erbt er noch das Vermögen des Professors. 

Der Roman spielt in einem Europa, das es so niemals gab, in einer Zeit, die mit »Es war einmal« beginnen könnte. Es ist ein Märchen für Erwachsene, in dem Unglaubliches geschieht, doch die Geschichte besitzt Charme — trotz der abwegigen Vorgänge und der noch abwegigeren Charaktere. Zwanzig Jahre später versuchte sich Diana Gillon an einem ähnlichem Thema. Welt ohne Schlaf (The Unsleep, 1961, dt. 1971) erzählt, wie in Großbritannien eine Droge auf den Markt kommt, die den Menschen das Schlafbedürfnis nimmt. Es entsteht das Problem, wie all die Menschen das Übermaß an Freizeit nutzen sollen. Da das Mittel die Libido anregt, kommt es verstärkt zu Vergewaltigungen. Der Unterhaltungswert des leicht sozialkritisch angehauchten Romans ist gering.

Otto Wilhelm Husen Schrayh wurde am 4. September 1888 in Svendborg, Fünen, geboren. Seine Eltern waren Karl Frederik Möller Schrayh und Laura Emilie Husen. Er war ein dänischer Radiopionier und Hörspielautor. Er verstab am 16. Juni 1956. In seinem ersten Roman Ein Sender ruft um Mitternacht geht es um eine Erfindung zur drahtlosen Übertragung von Metallen. In Die Todeskartei werden die Herzen der Opfer durch Schallwellen zum Platzen gebracht. Der Mann hinter den Flammen handelt von einer Bande, die die Weltherrschaft anstrebt und dazu Terrorakte vollbringt, ohne dabei Menschen umzubringen, was noch phantastischer ist als die wunderbaren Gerätschaften, die zum Einsatz kommen. In Zwei gegen die Welt geht es wieder um eine Strahlenwaffe, die alle Sprengstoffe zur Explosion bringt und den Weltfrieden gefährdet. Das sind sehr naive Geschichten um furchtbare Gefahren, die eine biedere Welt bedrohen, und gegen die Finsterlinge erheben sich biedere Männer und stellen das Gleichgewicht der Kräfte wieder her.

Die deutschsprachigen Ausgaben der Romane:

Ein Sender ruft um Mitternacht (Midnatssamtalerne, 1939)
Zürich 1940, Alber Müller Verlag (A.M. Auswahl, Band 6) 240 S.

Die Todeskartei (Dodskartoteket, 1942)
Zürich 1943, Albert Müller Verlag (A.M. Auswahl, Band 39) 192 S.

Der Mann hinter den Flammen (Manden bag Flammerne, 1943)
Rüschlikon-Zürich 1950, Albert Müller Verlag (A.M. Auswahl, Band 86) 191 S.

Schlaf (Sovn, 1943)
Zürich 1944, Fraumünster Verlag (Die grünen Kriminal, Band 8) 256 S.

Zwei gegen die Welt (Skaergaards Mysteriet, 1944)
Rüschlikon-Zürich 1945, Albert Müller Verlag (A.M. Auswahl, Band 61) 189 S.

© 2020 Robert N. Bloch