T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Prof. Hermann Hoffmann: »Selbstmord oder Mord?« 1923
von Mirko Schädel



Prof. Hermann Hoffmann: Selbstmord oder Mord?, Wien: Nationaler Verlag Kutschera 1923, 160 S.



In Selbstmord oder Mord? entwickelt der Autor eine hübsche Melange aus Spionage-, Detektiv- und Tendenzroman. Jeanne Blanchette, eine gefeierte Bühnenkünstlerin, zum einen Sängerin, zum anderen Tänzerin, wird erschossen in ihrem Bett aufgefunden. Neben der Leiche ein Abschiedsbrief von eigener Hand – und die Haushälterin der Blanchette, ein altes französisches Fräulein, kreischt während der Beerdigung ihrer Herrin: »Man hat Dir ermordet – von eine deutsche Hand!«

Die Polizei, die bislang von einem Selbstmord ausging und den Abschiedsbrief für echt hielt – aus dem übrigens hervorging, daß die Künstlerin sich aufgrund des Fundes ihres ersten grauen Haares entleibt hatte – bekommt langsam Zweifel an diesem vermuteten Tathergang. Nach einigen Nachforschungen stößt der ermittelnde Beamte auf den Komponisten, Librettisten und Klavierbegleiter der verstorbenen Schönheit: Oswald Kunze.

Kunze, der nach Jahren der Entbehrung als einfacher Klavierlehrer die Gunst ergriffen hatte seinen Dienst bei der schönen Sängerin zu nehmen und mit dieser auf Tourneen zu gehen, war der ständige Begleiter jener Dame und gerät zunehmend in den Fokus polizeilicher Ermittlungen. Es stellt sich heraus, daß der junge Mann vergeblich auf seinen Lohn gewartet haben muß; während er eine hohe Schneiderrechnung und seine Vierteljahresmiete zu bezahlen hatte. Kunze schrieb seiner Herrin ein Billet in dem er um die Bezahlung ihrer Schuld bat. Darüberhinaus gesteht Kunze bei einem Verhör, daß er an jenem Morgen in der Villa der Verstorbenen um Einlaß bat, die Dame des Hauses schlief aber offenbar noch – und als Kunze das Haus wieder verließ, fand er in einer Tasche seines Mantels eine güldene Handtasche vor, die mit rund 200.000 Mark gefüllt war. Diese Tasche verbarg er nun in seinem Mantel, bezahlte seine Rechnungen, und versteckte den Corpus delicti in seiner Wohnung, als ihn der Tod seiner Herrin überraschte.

All dies gesteht Kunze, auch ist er einer von nur drei Personen, der über einen Schlüssel der Villa verfügt und den Code kennt, mit dem man sich Einlaß verschaffen kann. Die Polizei vermutet darüberhinaus, daß zwischen Kunze und seiner Herrin ein Techtelmechtel stattgefunden hat. So weit, so gut. Kunze wird in Untersuchungshaft genommen.

Kunzes Klavierschülerin von einst, Minna Mannhart, entdeckt beim Lesen eines Artikels über die Mordaffäre, daß sie ihren alten Lehrer Kunze noch immer liebt. Sie ist selbstverständlich vermögend und sorgt aus dem Verborgenen für Kunzes anwaltlichen Schutz. Doch es nützt alles nichts, Kunze wird wegen Mord im Affekt zu zehn Jahren Festungshaft verurteilt.

Minna droht ein Zusammenbruch, als auch noch ihr Vater stirbt, ist sie zunehmend verzweifelt. Doch als sich ihr ein amerikanischer Geheimagent namen O’Morris vorstellt, schöpft sie neue Hoffnung. Während O’Morris sich in die Villa unter falschen Vorwänden einschleicht als interessierter Käufer des Hauses, untersucht er den Tatort und entdeckt einige Spuren, eine Zigarette französischer Herkunft, ein blutiger Fingerabdruck auf dem Messingrohr des Bettes usw. Er erfährt auch von der Existenz eines Gatten der Toten, der die Villa und das ganze Vermögen seiner Frau geerbt habe, aber seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Gattin pflegte. Auch habe dieser zur Zeit des Selbstmords seiner Gattin mit einem verstauchten Knöchel in Paris das Bett hüten müssen.

O’Morris denkt über den Fall nach und entschließt sich diesen Gatten in Frankreich genauer anzusehen, denn nur dieser profitiert von dem Tod seiner Gattin. Es gelingt dem Geheimagenten  mittels einer falschen Identität den Kontakt zu diesem Herrn herzustellen und  sich bei diesem als Chauffeur zu verdingen. Dabei untersucht O’Morris die Villa des Verdächtigen ausführlich. »Und ich ließ unauffällig meine Blicke herumwandern wie hungrige Schmeißfliegen…«. Raymond Chandler hätte es nicht besser ausdrücken können.

Dem Geheimagenten gelingt es einen Fingerabdruck des Witwers zu sichern und weiß nun, daß dieser keineswegs mit einer Verstauchung im Bett gelegen haben kann und wohl zur Zeit des Todes seiner Gattin in Deutschland in deren Villa weilte.

Nachdem O’Morris sich in das Vertrauen einer Bediensteten geschlichen hatte, erfährt er weitere Absonderlichkeiten des Witwers und dessen verstorbener Frau. Nach und nach rekonstruiert er nun den Tathergang und die Umstände. Er begreift, daß das Ehepaar durchaus noch Kontakt pflegte, nämlich als Spione, ja sogar als Doppelagenten, die für zwei Mächte gleichzeitig arbeiteten um sich gewinnorientiert die Taschen zu füllen. Da die Ehe der beiden immer noch nicht geschieden war und es einen gültigen Ehevertrag gab, der beim Hinscheiden des einen Teils, den anderen Ehepartner zum Alleinerben machte, beschloß offenbar der Gatte seine Frau zu ermorden, oder ermorden zu lassen.

Den letztgültigen Nachweis eines stattgefundenen Mordes deckt auch O’Morris nicht auf, doch gelingt es ihm den vermeintlichen Mörder derart unter Druck zu setzen, daß dieser ein Schreiben aufsetzt, in dem dieser zwar nicht den Mord, jedoch seine Anwesenheit in Deutschland bei seiner Frau eingesteht und den Musiker Oswald Kunze von jeglichem Tatverdacht freispricht.

Der mittlerweile im Zuchthaus einsitzende Kunze, stark geschwächt von einer schweren Krankheit und seiner Hoffnungslosigkeit, wird aufgrund dieser eidesstattlichen Erklärung bei der Neuaufnahme des Strafverfahrens freigesprochen. Kunze heiratet seine ehemalige Klavierschülerin Minna Mannhart, die immer an die Unschuld ihres Geliebten geglaubt hatte. Und O’Morris, der amerikanische Geheimagent, heiratet die Haushälterin des vermeintlichen Mörders, der, als seine Doppel-Spionagetätigkeit auffliegt, sich selbst richtet.

Der ganze Roman ist recht gut geschrieben und mit einer witzigen Prise Ironie versehen, doch steckt hinter diesem Kriminalroman eine durch und durch politische, patriotische Propaganda. Das alte französische Fräulein, das bei der Beerdigung ihrer Herrin schrie, daß nur eine deutsche Hand diesen Mord begangen haben könne, erweist sich am Ende als falsch. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf. Die von den unglückseligen und ungerechten Maßnahmen Frankreichs drangsalierte deutsche Nation wird als Opfer dargestellt, gleichzeitig wird zu häufig betont, wie böse und gerieben die Franzosen seien, die durch den Sieg des Ersten Weltkriegs Oberwasser gewonnen haben. 

So dient dieser Roman auch der Beschwichtigung von Gefühlen und Vorurteilen des deutschen Volkes, das zwar diesen Krieg schmählich verloren hatte, sich aber moralisch als überlegen darstellen wollte. Ich bin kein Historiker, weiß aber, daß die Reparationsleistungen, die Frankreich beanspruchte, die deutsche Wirtschaft beträchtlich niederdrückte, gleichzeitig weiß ich aber, daß dieser Krieg nicht Frankreich anzulasten war – und die Schäden dieses Krieges waren beträchtlich. Getrieben von der Kriegsschuld und den damit zusammenhängenden Kosten ebnete sich der Weg zu einer Remilitarisierung Deutschlands mit einem Ergebnis, mit dem weder Franzosen, noch Deutsche einverstanden sein konnten.