Wenn der Gasmann zweimal klingelt - Josef Riener: »Der Helm der Göttin«, 1940, und Wolgang Kuhle: »Unsichtbare Mächte«, 1936
von Mirko Schädel
Josef Riener: Der Helm der Göttin, Dresden: Neuer Buchverlag 1940, 284 Seiten
Josef Rieners Buch Der Helm der Göttin, 1940, ist ein spannender und unterhaltsamer Abenteuer- und Sensationsroman mit Anleihen an den phantastischen Roman, der überzeugend und souverän die Geschichte eines jungen Deutschen namens Otto Holt erzählt, der in den Wirren des Ersten Weltkriegs in einer Kleinstadt Chinesisch-Turkestans strandet. Mit falschen Papieren und einer russischen Identität bemüht sich Holt um die Flucht in die Heimat, immer von möglicher Internierung durch ausländische Mächte bedroht. Als Otto Holt mit einer Gruppe von russischen Soldaten und Gegnern der Bolschewisten bekannt wird, beschließt er sich diesen auf der Flucht über Indien nach Europa anzuschließen. Doch es ist Winter, und die Flüchtlinge landen in einem Kloster am Fuße des Himalaya, wo sie aufgrund des rauen Klimas wochenlang ausharren müssen. Das Kloster ist nahezu unbewohnt, nur ein seltsamer Mönch geht dort umher, und es kommt zu sexuellen Ausschweifungen, infernalischen Orgien und alkoholischen Exzessen – denn zwei Frauen befinden sich unter den Flüchtlingen. Als die Russen damit beginnen sich im Rausch und durch Streitereien während ihres Kartenspiels gegenseitig auszulöschen, endet die erste Episode des Romans. Dieser erste Teil endet unkommentiert, und doch spürt der aufmerksame Leser die eigenartige Atmosphäre dieser enthemmten, amoralischen und rauschhaften Ekstase jener kleinen Gruppe von Flüchtlingen – und diese Episode allein ist dem Autor uneingeschränkt gelungen.
Auf einem Dampfer Richtung Genua treffen wir Otto Holt wieder, der voller Vorfreude auf seine Heimat Regensburg sich in Sicherheit wähnt. Doch ein seltsamer Holländer, der durch Helfershelfer die Kabine Holts durchsuchen ließ, wünscht mit diesem ein Gespräch unter vier Augen. Der Holländer weiß um die falsche Identität Holts, doch wolle er diesen den italienischen Behörden keineswegs ausliefern, sondern schlägt dem jungen Deutschen stattdessen ein Geschäft vor. Bei der Durchsuchung von Holts Kabine wurde nämlich eine Lackdose entdeckt, die seltsame Blütenblätter enthält, dabei handelt es sich um die Blätter einer weitgehend unbekannten und seltenen Orchideenart mit dem Namen »Helm der Göttin«. Der Holländer erklärt, er müsse unbedingt wissen woher diese Blätter stammen und ob Holt wisse, wo diese Orchideenart zu wachsen scheint. Darüberhinaus verrät der Holländer, daß er als Scout für einen holländischen Orchideenzüchter arbeite und daß nicht nur diese ehrenwerte Firma nach den Orchideen fahndet, sondern auch ein überaus vermögender Konzernlenker aus New York, der astronomische Summen für diese Pflanze zu zahlen bereit wäre.
Holt erklärt, er wisse nicht woher die Pflanzen stammen, er habe die Lackdose in jenem Kloster in der Nähe von Nepal als Souvenir mitgenommen, darin enthalten waren eben jene Blütenblätter, deren Geruch er auch anderweitig in dem Kloster wahrgenommen hätte. Holt wolle erst einmal zurück in seine Heimat, ob er sich nochmal eine Expedition nach Nepal vorstellen könne, wäre vorerst zumindest nicht in seinem Interesse. Der Holländer stellt Holt ein großzügiges Honorar in Aussicht, falls er es sich anders überlegen sollte oder ihm doch noch einfalle, wo die Orchidee zu finden sei.
Von Genua aus fährt Holt umgehend mit dem Zug nach Regensburg, wo er sich langsam an den behäbigen Nachkriegsalltag gewöhnt. Doch mit der stillen Gemütlichkeit ist es bald vorbei, denn 1. lernt er eine spröde, junge Dame kennen, in die er sich während eines Aufenthalts in einem Wiener Schieberlokal verliebt; 2. besucht ihn nach nur wenigen Wochen der holländische Orchideenhändler und erklärt, er habe in einer botanischen Fachzeitschrift einen Artikel über den »Helm der Göttin« gelesen, denn ein österreichischer Botaniker habe kurz vor Kriegsbeginn mehrere Pflanzen dieser Gattung aus Nepal exportiert. Dieser eminent wichtige Artikel sei aufgrund des Kriegsgeschehens im Ausland übersehen worden. Der fragliche Professor sei allerdings bereits verstorben, doch könne Holt doch nach Wien fahren um dort Nachforschungen anzustellen, ob dem Professor nämlich die Nachzucht dieser seltenen Orchidee noch zu Lebzeiten gelungen sei. Für lebende Pflanzen wird ihm neben großzügigem Tageshonorar ein beträchtliches Erfolgshonorar versprochen.
Holt kann das Geld brauchen, will er doch bald sein Studium, das durch den Krieg unterbrochen wurde, wieder aufnehmen. Er eilt nach Wien um herauszufinden, was aus den Pflanzen des alten Botanikers geworden ist. In Wien lernt er auch jene junge Dame kennen, deren Charme Holt erliegt. Er erfährt jedoch recht bald, daß der Professor in einem abgelegenen Haus in Kärnten lebte, wo sich noch dessen Tochter aufhalten soll. So macht er sich mit einem Chauffeur auf nach Kärnten, wo ihm schon an der Haustür von einem gorillaartigen Bediensteten die Tür gewiesen wird. Er ahnt nicht, daß jener amerikanische Orchideenjäger und Konzernlenker bereits auf seiner Fährte ist – und das seine Angebetete an dieser Jagd indirekt beteiligt ist.
Holt beschließt in der Nacht noch einmal das Haus des verstorbenen Professors aufzusuchen um dort einzubrechen und sich zu vergewissern, ob der »Helm der Göttin« dort überhaupt zu finden sei. Man ahnt schon, daß ihm zwar der Einbruch gelingt und auch das Auffinden der Orchideen in beträchtlicher Anzahl, doch schlägt man ihm im Dunkeln auf den Kopf und Holt findet sich in einem rohen Kellerloch wieder. Der Leser erfährt, daß die Tochter des Professors an der Zucht und der wissenschaftlichen Auswertung der Pflanze beteiligt war – zudem hat deren Vater aus dem Extrakt der Pflanze ein Gas gewonnen, das bei Inhalation einen starken, rauschhaften Zustand hervorruft. Die Tochter des Professors beherrscht nicht nur das technische Prozedere das Gas zu gewinnen, sie ist auch hochgradig abhängig von dem Stoff. Diese junge Dame faßt den Plan ihren Widersacher Holt von der Droge kosten zu lassen, damit auch er dem Rauschgift erliegt und als willenloser Konsument seine weiteren, ungemütlichen Pläne aufgibt. Man läßt die Luke zu Holts Gefängnis absichtlich offen stehen, so daß der Held entkommen kann. Nachdem er noch im Laboratorium von dem Rauschgift geschnuppert hatte, flieht er aus dem Haus. Der Roman endet mit dem Brand des Hauses, wobei auch die Orchideen flöten gehen. Anschließend widmet sich der Held seiner neuen Liebe.
Das Buch ist durch und durch ein Kind seiner Zeit, der Autor kann zwar schreiben, doch das Ende ist ihm mißlungen. Aber warum alles in der Welt er mitten in dem Roman aus vollkommen unerfindlichen Gründen eine Passage hineinmontiert, in der er darüber räsonniert, daß es erblich unwertes Leben gäbe, daß es auszulöschen gilt – und der Autor damit ein krasses Statement für Euthanasie abgibt – bleibt mir ein Rätsel, denn es bestand auch inhaltlich keinerlei Grund für diesen kruden Ausfall, der den Autor für eine kritische Auseinandersetzung heute und morgen disqualifiziert. Dieser Totalausfall kann vielleicht Mitglieder der AfD begeistern, aber der gesunde Menschenverstand wird sich angewidert abwenden.
Wolfgang Kuhle: »Unsichtbare Mächte«, Berlin: Auffenberg 1936, 256 Seiten
Ein weiterer Roman, der um die Erzeugung eines Gases kreist, das aus einer Pflanze aus Südostasien gewonnen wird, ist Wolfgang Kuhles phantastischer Thriller Unsichtbare Mächte, 1936. Wolfgang Kuhle scheint Schauspieler und Aufnahmeleiter beim Film gewesen zu sein und hat einen weiteren Kriminalroman 1938 mit dem Titel »Panik im Diamantendistrikt« im Berliner Uhlmann-Verlag veröffentlicht.
Der Roman beginnt auf einem Luxus-Dampfer der von Rangun kommend nach Europa schippert. An Bord befindet sich der britische Forscher und Botaniker Sir John Medington. Medington scheint sich um seine Sicherheit zu sorgen, denn er ließ seine Kabine im Vorfeld absichern. Ein Sicherheitsschloß wurde eigens für ihn eingebaut und seine Luke wurde ebenfalls sicherheitstechnisch auf den neuesten Stand gebracht. Der Leser erfährt lange nicht, was Medington zu schützen sucht. Erst als ein vermeintliches Ehepaar in Medingtons Kabine einbricht und nach einer hellen Ledertasche fahndet, wird dem Leser klar, daß diese Tasche irgendeinen wertvollen Gegenstand beherbergt. Vorerst wird die Tasche jedoch nicht gefunden, aber kurze Zeit später wird der Einbruch wiederholt, während Sir Medington schlafend in seiner Kabine liegt. Medington wird chloroformiert, doch dann stoßen weitere, unbekannte Kriminelle dazu und die Situation eskaliert. Sir Medington wird dabei wohl aus Versehen erschossen, ein weiterer Krimineller wird auf Deck getötet. Es entsteht ein ziemliches Durcheinander. Nur Peters, ein deutscher Sicherheitsoffizier, kristallisiert sich recht bald als Romanheld heraus. Um es kurz zu machen, einige Gangster werden festgesetzt und schweigen fortan, andere entkommen unerkannt oder verstecken sich an Bord.
Peters nimmt in Kalkutta Kontakt zu einem britischen Amtsträger auf, der ihn bei der Lösung der rätselhaften Vorgänge unterstützt. Außerdem erfährt der Leser von einer weltweit agierenden Bande, die große Bankhäuser zu den gegebenen Öffnungszeiten betritt und dort freundlich um das vorhandene Bargeld bittet. Dabei ist bezeichnend, daß die angesprochenen Schalterbeamten keinerlei Widerstand leisten und das Geld willenlos aushändigen. Die Opfer dieser seltsamen Raubüberfälle berichten, daß sie zwar die Gesetzwidrigkeit ihres Handelns begriffen, aber nicht in der Lage waren sich der Aufforderung zu widersetzen.
Peters ahnt die Zusammenhänge und begibt sich an den ehemaligen Aufenthaltsort von Sir Medington, einem Dorf im Urwald Südostasiens, wo dieser zusammen mit einer Eingeborenen jahrelang in wilder Ehe gelebt hatte. Dort stößt Peters auch auf einen holländischen Gangster, der ebenfalls auf den Spuren Medingtons wandelt und sich einige Pflanzen vor Ort aneignet, die wohl auch Medington über alle Maßen interessiert hatten. Der Leser erfährt nach und nach, daß sich aus jener Pflanze eine Droge extrahieren läßt, die in flüssiger oder gasförmiger Form den Willen derjenigen ausschaltet, die damit in Berührung kommen. Dieser Zustand der Willenlosigkeit hält einige Stunden an, vergeht aber ohne bleibenden Schaden zu hinterlassen. Peters gelingt es den Holländer auszuschalten, erfährt jedoch auch, daß dieser Mann nicht für die seltsamen Banküberfälle verantwortlich war. Es muß eine weitere Person geben, die sich damals auf dem Luxus-Dampfer jenes Geheimnis aneignete, daß Sir Medington so bewußt gehütet hatte.
Den zwei rivalisierenden Parteien gelang es offenbar nicht, sich die Papiere Medingtons anzueignen, die die Verfahrensweise bei der Herstellung des Gases beschreibt. Peters weiß nun, daß nur jemand auf dem Dampfer, vermutlich ein Mitglied der Crew für den Diebstahl der Papiere verantwortlich ist. Er läßt sich die Papiere der Reederei vorlegen und entdeckt, daß sein alter Chef, der Kapitän jenes Dampfers, nach der letzten Fahrt seinen Abschied eingereicht hatte. Somit wird ihm klar, daß dieser Mann wohl derjenige ist, dessen Spuren er seit Wochen zu entschlüsseln sucht.
Peters begibt sich in die Vereinigten Staaten, dort lebt der Kapitän seit seinem Ruhestand abgeschottet auf einer Farm am Ufer eines Sees. Die zahlreichen Gewächshäuser deuten darauf hin, daß Peters auf der richtigen Spur ist. Auf der Farm kommt es zum Showdown. Peters gelingt es knapp sein Leben zu retten, doch sein Widersacher stürzt auf der Flucht mit dem Flugzeug ab. Dabei werden auch die Papiere vernichtet, die Aufschluß über die Herstellung der Droge hätten geben können.
In den Roman wurde noch eine hanebüchene Romanze hineingewoben, die nicht der Rede wert ist. DIe Figurenzeichnung ist handelsüblich mehr als beschränkt, doch die Begriffe aus der Seefahrt deuten darauf hin, daß Kuhle entweder diesbezüglich sehr eifrig recherchiert hatte, oder das Nautische aus eigener Erfahrung anschaulich darstellen konnte. Ich muß noch darauf hinweisen, daß es in jener Zeit zahlreiche ähnlich strukturierte, deutschsprachige Thriller gegeben hat, die in der Regel aber qualitativ noch minderwertiger waren als Wolfgang Kuhles Unsichtbare Mächte.