Robert Heymanns »Der Fürst der Hochstapler« um 1909
von Mirko Schädel
E. Karasoff, das ist Robert Heymann: Der Fürst der Hochstapler. Ein Sensationsroman in zwei Bänden [Buchedition von Fürst Petroff – Der König der Hochstapler, Heftserie 1908], Berlin: Verlag moderner Lektüre um 1909, 2 Bände à 160 Seiten
Fürst Petroff ist das klassische Abbild von Männlichkeit, Stolz, Geradlinigkeit und darüberhinaus umfassend gebildet und mit allen modernen Kultursprachen bestens vertraut – dabei zählt Petroff gerade einmal 28 Jahre und ist selbstverständlich so weltgewandt, wie vergleichbare Figuren eines Sherlock Holmes oder eines Raffles, der Gentleman-Einbrecher. Doch einen Lapsus in der Biographie Petroffs besteht durchaus, denn er ist Russe und lebt in St. Petersburg.
Russe zu sein ist an sich kein Makel, doch in Rußland der Jahrhundertwende zu leben, bedeutet auch die Mißwirtschaft, Bürokratie und grassierende Ungerechtigkeit des Zarentums ertragen zu müssen. Petroff gehört durchaus zu den privilegierten Kreisen, ist vermögend und seine Hände haben niemals den Kontakt zu Arbeit, gleich welcher Art, gesucht.
Doch offenbar wird eine Intrige gegen Petroff in Szene gesetzt, die von seinem Todfeind und dem Gouverneur ausgehen, aber Wanda, die Tochter des Gouverneur, warnt Petroff zuvor in einem Brief, daß ihm Gefahr drohe, und kaum einige Augenblicke später wird er verhaftet und zum Verhör gebracht. Der Gouverneur verhört Petroff selbst, und letzterer gesteht ein, daß er mit den politischen Verhältnissen durchaus nicht einverstanden ist, bestreitet aber mit den Nihilisten gemeinsame Sache zu machen.
Dieses Geständnis reicht dem Gouverneur durchaus, der nun per Dekret Fürst Petroff zu zehn Jahren Verbannung nach Sibirien verurteilt. Petroffs Vermögen wird eingezogen, sein Haus wird verkauft und so verbringt er einige Wochen in dem Gefängnis von St. Petersburgs. Doch kurz vor seiner Abtransportierung taucht ein neuer Wärter im Gefängnis auf, dessen Gesicht Petroff seltsam bekannt vorkommt. Am nächsten Tag findet er einen Brief seines Kammerdieners Maximow in seinem Frühstück verborgen, der ihm mitteilt, daß dieser ihm in der folgenden Nacht die Zelle aufschließt, alles weitere müsse Petroff selbst bewerkstelligen.
Maximow hatte sich zu diesem Zweck den Bart abnehmen lassen, so daß Petroffs Irritation berechtigt war. In der Nacht gelingt die Flucht und Petroff schwört fortan sich zu nehmen, was er braucht. Die Gesellschaft hat ihn enteignet und zum mittellosen Mann gemacht, so soll auch die Gesellschaft künftig dafür zahlen. »Er wollte dem Leben abkämpfen, was es ihm genommen hatte. Seine Gewalt war sein Recht.«
Auf der Flucht aus dem Gefängnis stiehlt Petroff auch noch die staatlichen Gelder, die den Transport der nach Sibirien Verbannten finanzieren sollten, sowie einige geheime Staatspapiere. In der Stadt sucht er ein kurzes Asyl bei einem einfachen Mann und Freund der Familie, Maximow immer im Schlepptau, der sich bereit erklärt auch künftig an Fürst Petroffs Seite zu stehen.
Die beiden fliehen kurz darauf Richtung Polen mit der Eisenbahn, werden beinah verhaftet, und nehmen dann einen Zug nach Wien, wo Sie von da aus weiter an die französische Reviera reisen. In Monte Carlo spielt Petroff, stiehlt einem reichen Amerikaner die Brieftasche, lernt einen jungen, verzweifelten Spieler kennen, dem er eine größere Summe Geld zusteckt, und flüchtet weiter nach Nizza. In Nizza verkehrt Petroff unter falschem Namen in den höheren Kreisen, besucht dort eine Abendgesellschaft, wo er Wanda, die Tochter des Gouverneurs, begegnet, die ihn vor ihrem Vater warnt, der jeden Augenblick auftauchen wird.
Petroff läuft dem Gouverneur direkt in den Arme und eine abenteuerliche Flucht wird uns vor Augen geführt, die darin endet, daß Petroff über die Dächer benachbarter Häuser gerade so eben entkommt und Maximow an einem verabredeten Ort trifft. Petroff will Nizza augenblicklich verlassen, doch der nächste Schnellzug geht erst in zwei Stunden, so daß Maximow und unser Held einige Zeit durch die Gegend spazieren um die Zeit totzuschlagen. Am Ufer der Var entdecken die beiden einen Leichnam, den Petroff identifizieren kann, es handelt sich um jenen jungen Spieler aus Monte Carlo, dem Petroff mit einer größeren Summe aus der Verlegenheit geholfen hat.
In der Brieftasche des Toten steckt ein Abschiedsbrief, er habe alles im Spiel verloren und ergebe sich nun dem Schicksal. Petroff, der auch die Papiere des Toten zu Gesicht bekommt, kommt auf die Idee selbst die Identität des Toten anzunehmen. Zu dem Zweck verfaßt er einen eigenen Abschiedsbrief, den er dem Toten in die Tasche steckt. Anschließend flüchten Petroff und Maximow Richtung Paris.
Damit endet die erste Episode des Romans, der eigentlich kein Roman ist, sondern 10 fortlaufende Heftnummern, zusammengefaßt in einer zweibändigen Broschur, die offenbar mit dem Heftformat identisch ist. Das zweite Kapitel ist das zweite Heft der Serie »Fürst Petroff – der König der Hochstapler«.
Robert Heymann war ganz offensichtlich fasziniert von der russischen Mentalität, in seiner Frühzeit hat er hier und da Texte verfaßt, die sich mit Russland und dessen politischen Eskapaden befassen. Obwohl Heymanns Russland-Bild von Klischees und Kitsch nur so trieft, gelingt es ihm die Geschichte äußerst charmant zu erzählen, denn der Autor konnte schreiben. Heymann stützt sich dabei ganz offensichtlich auf Vorbilder wie Raffles und Arsene Lupin, letztere Geschichten sind im Original etwa zeitgleich erschienen. Heymanns Petroff ist kein Detektiv oder Polizist, sondern steht auf der anderen Seite des Gesetzes, aber wir können es ihm nicht übelnehmen, da die Gesellschaft ihm ungerechterweise alles genommen hat – und ihn weiterhin verfolgt.
Sein Geständnis vor dem Gouverneur bezog sich lediglich darauf, daß er zugegeben hat an den politischen Verhältnissen Russlands Kritik geübt zu haben – aber allein das ist, nach den Worten des Gouverneurs, bereits ein Verbrechen, das mit bis zu zehn Jahren sibirischer Verbannung bestraft werden kann.
Heymann nimmt damit zurecht eine kritische Haltung zu der absolutistischen Zarenherrschaft an und plädiert damit für eine humanere, freiere, womöglich demokratischere Staatsform. Petroff, der Opfer dieser politischen Verhältnisse geworden ist, sieht sich vollkommen im Recht sich all das zu nehmen, was ihm seiner Meinung nach zusteht. Auf die Frage einer Dame, warum er denn verfolgt werde, entgegnet Petroff, er sei ein Feind der guten Gesellschaft. Petroff wurde von außen getrieben ein Gesetzloser zu sein – und nur so sei es ihm möglich Gerechtigkeit zu üben und sich das zu nehmen, was ihm zusteht – und dabei bleibt er immer ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle.
Diese Gattung von Helden ist eine Erfindung der Neuzeit, die im ausgehenden 19. Jahrhundert stark an Kontur gewann. Dabei handelt es sich immer um Figuren, die über dem Gesetz stehen, und die die Bedürfnisse und heimlichen Wunschvorstellungen eines breiten Publikums befriedigen. Selbst ein James Bond gehört im weiteren Sinne zu diesem erlauchten Kreis von beinahe überirdischen Helden, die auch jedes Verbrechen ungestraft verüben dürfen, weil Moral und guter Wille nun einmal auf ihrer Seite stehen.
Fürst Petroff ist kein Nihilist, er wird nicht zum Terroristen und Revolutionär, sondern er wird zu einem Robin Hood, der nur für sich und seinen Kammerdiener Maximow sorgt um ein in seinen Augen standesgemäßes Leben führen zu können. Der damalige Leser hat das sicher ebenso gesehen, denn einen Fürsten zu enteignen und zusehen zu müssen, wie Ungerechtigkeit an ihm verübt wird, soll sich in Gottes Namen anständig rächen dürfen.
Natürlich befolgt Heymann die Gesetze der Kolportage, er bedient all die Klischees jener Zeit, wie das Frauenbild, das nur den einen Zweck hat, den Mann in Verzückung zu versetzen oder völlige Gleichgültigkeit hervorzurufen. Es gibt in der Welt der Kolportage nur schwarz oder weiß, nur gut oder böse, nur Freund oder Feind, was auf eine etwas schlichte Gemütsverfassung hinweist und durchaus an die Strategien heutiger Populisten erinnert. Die geistige und moralische Verwahrlosung in Verbindung mit einer Art Bildungsvakuum und dem Fehlen von Empathie führen wohl immer in eine gefühlsselige Grausamkeit, die nur Haß reproduziert – und die im Ergebnis nur selbstbezogenes Mitleid und Gewalt erzeugt.
Heymann war aber kein Agitator, sondern ein geschickter Unterhaltungsautor, der wußte, wie er einer großen Schnittmenge an Lesern Spannungsliteratur an die Hand gibt, die sogar einen humanistischen Anspruch und soziales Gewissen transportieren und dabei ganz nebenbei dem Spießbürger einen revoltierenden Superhelden liefert, der als eine Art Ventil für die Bewältigung des Alltags dient. Heymann sät keinen Haß und stachelt auf, sondern seine Figur erfährt Empathie von Lesern, die sich selbst im Kampf gegen die Ungerechtigkeiten des Leben sehen.