»Labyrinth« von Oleg Berting 1933
von Mirko Schädel
Oleg Berting, 1887–1951: Labyrinth, Brünn: Friedrich Irrgang 1933, Roman des Tagesboten (Abendausgabe), 232 Seiten
Wunderbar die Zeiten, als man seine Abendzeitung hervorholte und einen Kriminalroman las, womöglich sogar jemandem vorlas. Oleg Berting, ein deutsch-baltischer Journalist, der für die Zeitung »Riga am Sonntag« arbeitete, schrieb wohl eine größere Anzahl von Feuilletonromanen in den 1930er Jahren. Ich habe nur eine Buchedition des Autoren gefunden, sowie die Mitwirkung an einer Übersetzungsarbeit, so daß Berting heute vollkommen vergessen ist.
Bertings »Labyrinth« ist ein erstaunlich gelungener, melodramatischer Kriminalroman der Art, wie es sie schon Ende der 1830er Jahre gegeben hat von Autoren wie G. W. M. Reynolds oder Thomas Gaspey, deren Sensations- und Kriminalromane konzeptionell ähnlich strukturiert waren.
Bertings Held ist der junge Abenteurer Gerhard Sander, der bereits in jungen Jahren die Welt gesehen hat. Doch als sein Vater überraschend stirbt, kehrt er nach Berlin zurück und widmet sich ganz gegen seine freiheitsliebende Natur der Direktion der Fabrik seines Vaters, die er sehr erfolgreich in die Zukunft führt. Doch noch eine Erbschaft hat Sanders gemacht, nämlich die Wechsel seines Vaters, die von einem dubiosen Rumänen namens Valescu gehalten werden. Sanders kann sich die Geschäfte zwischen seinem Vater und Valescu nicht erklären, hält er den letzteren doch für einen ausgemachten Gauner – und Valescu möchte seine Wechsel einlösen. Auch schimpft Sanders ausgiebig über die Frechheit des Rumänen und droht sogar in der Öffentlichkeit diesen Mann zu erdrosseln.
Kurz nach dieser Episode wird Valescu tot aufgefunden, der Mann wurde offenbar erschossen und beraubt, auch die fraglichen Wechsel sind verschwunden. Darüberhinaus steht Sanders kurz vor seiner Verlobung mit Lene Kemp, die mit ihrem Vater, ein ebenfalls erfolgreicher Kaufmann, unweit von Valescus Behausung wohnt.
Am Abend des Mordes befindet sich Sander bei den Kemps und trinkt sich mit dem künftigen Schwiegervater einen kleinen Rausch an, auch Sanders Freund Thiel ist anwesend – doch dieser Thiel hat begonnen Sanders tief und ausdauernd zu hassen – aus Eifersucht, denn Sanders hat Thiel Lene Kemp ausgespannt, ohne daß Sanders von der Neigung seines Freundes eine Ahnung gehabt hätte.
Schon bald wird Sanders vom Untersuchungsrichter befragt, der etliche Indizien gegen den Tatversächtigen sammelt und einige Reaktionen Sanders mißversteht. So kommt es, daß man ein paar Tage später Sanders wegen Mordverdachts verhaftet. Es gelingt Sanders zwar kurzzeitig aus dem Gefängnis zu entfliehen, doch ebenso schnell wird er wieder aufgegriffen und seine Lage verschlechtert sich zunehmends. Vor allem die Polizei und der Untersuchungsrichter haben sich auf den Tatverdächtigen eingeschworen und verfolgen keine weiteren Spuren oder Indizien, die auf eine andere Täterschaft hindeuten.
Berting gelingt es viele falsche Fährten zu legen bis es zur Verhandlung kommt, die am Ende mit Sanders Todesurteil endet. Kurz zuvor wird ein zweiter Held in den Roman eingeführt, der Journalist Jo Speer [alter ego des Autors], der den ganzen Spekulationen und Trugschlüssen langsam aber zäh zu Leibe rückt und die Arbeit tut, an denen die Ermittlungsbehörden gescheitert sind. Dem aufstrebenden Journalisten gelingt es durch Belohnungen, die ausgelobt werden, die Informationen zu bekommen, die nötig sind Sanders zu entlasten. Sozusagen im letzten Augenblick vor der Hinrichtung gelingt es Speer das Verfahren neu aufnehmen zu lassen – nebenbei löst er natürlich auch das ganze verzwickte Verbrechen, das an ein Labyrinth erinnert.
Sanders, mit den Nerven am Ende, wird aus der Haft entlassen und eilt an das Krankenbett seiner Braut, die ein Nervenfieber befallen hat. Auch die Intrige Thiels gerät ins Bewußtsein, doch der Aussöhnung dank Sanders Großzügigkeit steht wohl in naher Zukunft nichts im Wege. Der tatsächliche Mörder, ein gewisser Müller, der unter diversen Identitäten und Maskeraden durch Europa reist und als Gentleman-Dieb und -Einbrecher sein Dasein fristet, hat Valescu zwar berauben, aber keineswegs ermorden wollen – die Kugel habe sich aus Versehen gelöst, weil ein anonymer Gast in jener Nacht die Hausklingel bei Valescu betätigt hat – mitten in Müllers Raubzug, und das Erschrecken darüber führte zum Abschuß der Pistole.
Der Gast in jener stürmischen Nacht war Sanders Freund Thiel, der den Schuß nicht gehört und sich danach auf den Heimweg begeben hatte. Müller sei dann durch das Fenster entflohen – und wurde für dieses Verbrechen nie zur Rechenschaft gezogen.
Ende gut, alles gut. Wie schon erwähnt, das Muster derartiger Romane ist schon recht alt, und doch noch immer nicht abgenutzt. Berting hat dieses bewährte Konstrukt ganz gekonnt variiert. Wenn man vergleichbare Kriminalromane dieser Zeit liest, die in renommierten Buchverlagen erschienen sind, dann weiß man, daß Bertings Roman es durchaus verdient hätte, ebenfalls in einem größeren Verlagshaus veröffentlicht zu werden, denn Berting ist einigen bekannten und erfolgreichen deutschen Kriminalautoren jener Zeit durchaus überlegen gewesen.
Der Roman ist zwar altmodisch und konventionell, dabei vollkommen unpolitisch und läßt das Gesellschaftsbild und den Moralkodex der wilhelminischen Ära wieder aufleben, da die Protagonisten des Romans meist aus erfolgreichen Kaufleuten, dem tätigen Geldadel, bestehen, die den alten Adel des 19. Jahrhunderts abgelöst haben. Den Autor kümmern die zeitgenössischen Entwicklungen nicht, er blendet sie aus, um einen spannenden Kriminalroman zu liefern, der keinem wehtut, aber durchaus seine Funktion erfüllt.