H. F. Ledeganck: »Geheimnisvolle Schatten«, 1928
von Mirko Schädel
H. F. Ledeganck: Geheimnisvolle Schatten, Berlin: Weichert um 1928, Der spannende Kriminalroman Band 8, 96 Seiten
Geheimnisvolle Schatten beginnt mit der Heimkehr einer kleinen Gruppe von Trauernden, denn die Gattin des Fabrikanten Kurt Kohmann wurde gerade bestattet. Dr. Roberto Allerto ist ein entfernter Verwandter Kohmanns, der letzterem während der Inflationszeit mit frischem Kapitel die Firma rettete. Vor ein paar Jahren kam der völlig mittellose texanische Dr. Allerto dann selbst nach Deutschland, wo er von Kohmann, der ja in dessen Schuld stand, gastfreundlich in Empfang genommen wurde und in die Villa des Fabrikanten zog.
Kohmanns Schwägerin, Käthe Rahmacher, ist durch den Tod ihrer Schwester in schweres, seelisches Fahrwasser geraten und Dr. Allerto attestiert ihr eine unheilbare Geisteskrankheit. Dr. Allerto ist es auch, der die nervenzerrüttete Dame in eine private Irrenanstalt bringt. Aber Otto Stäber, die rechte Hand des Fabrikanten Kohmann, ist in Käthe verliebt und besucht sie fortwährend in der Anstalt, dabei bemerkt er die langsame Genesung seiner Geliebten.
Doch Käthe behauptet hartnäckig, daß ihre Schwester keinesfalls eines natürlichen Todes gestorben sei, der Totenschein, den Dr. Allerto ausgestellt habe, sei das Papier nicht wert. Dr. Allerto, der die Heilungschancen der jungen Dame pessimistisch sieht, gerät mit dem Direktor der Anstalt aneinander, denn letzterer macht keinen Hehl daraus an der ärztlichen Fähigkeit Dr. Allertos zu zweifeln und behauptet, Käthe sei auf dem besten Weg der Besserung und könne schon bald als geheilt entlassen werden.
Auch Kohmann besucht seine Schwägerin gelegentlich und hört vom Direktor ebenso positive Nachrichten über Käthes Zustand. Der Direktor rät Kohmann mit seiner Schwägerin nach ihrer Entlassung aus der Irrenanstalt zu einer Reise an die französische Riviera, dort könne sich Käthe glänzend erholen. Tatsächlich reisen Kohmann und seine Schwägerin nach dieser unschönen Episode sogleich nach Frankreich, doch ehe sie abreisen bittet Käthe ihren Geliebten Otto Stäber weiter nach der Todesursache ihrer Schwester zu forschen.
Otto Stäber, der die Fabrik während der Abwesenheit Kohmanns leiten muß, findet Gelegenheit mit dem Direktor der Irrenanstalt zu sprechen und fragt diesen, ob er glaube, daß die fixe Idee Käthes einen realistischen Bezug haben könne, denn Käthe glaube ja an einen unnatürlichen Tod ihrer Schwester und behauptet, sie habe bei Auffindung der Leiche einen Blutstropfen am Kopf ihrer Schwester vorgefunden, ehe sie in der Folge in eine seelische Apathie gefallen sei. Der Psychiater bestätigt Otto Stäber, das es sich wohl keineswegs um eine fixe Idee und Einbildung handeln müsse, ja, er sei geneigt zu glauben, daß Käthe tatsächlich jenen Blutstropfen gesehen habe – und er bietet Otto Stäber an einen befreundeten Staatsanwalt mit diesen Aussagen zu konfrontieren um womöglich eine gerichtsmedizinische Untersuchtung an der Leiche der Verschiedenen vornehmen zu lassen. Gesagt, getan.
Schon kurz darauf findet im Beisein Otto Stäbers die Obduktion statt, und tatsächlich wird eine abgebrochene Stahlsonde entdeckt, eine medizinisches Gerät, das in der Schädeldecke steckt – und eindeutig die Todesursache als einen Mord deklariert. Währenddessen schreiben sich unentwegt Otto Stäber und seine künftige Braut Käthe, doch werden die Briefe fortlaufend unterschlagen, so daß sich beide wundern nichts vom anderen zu hören.
Der Autor flicht auch noch geschickt eine abenteuerliche Nebengeschichte Dr. Allertos ein, wie er seinerzeit in der Wildnis der Vereinigten Staaten einen jungen Deutschen ermordet hatte – um sich den verbrieften Doktortitel des Toten anzueignen.
Käthe, die angesichts des Schweigens ihres Geliebten langsam unruhig wird, und die nunmehr von Kohmann umworben wird, der erst vor kurzem seine Gattin und Käthes Schwester beerdigen mußte, sendet ein kurzes Telegramm an Dr. Allerto, daß dieser möglichst rasch kommen möge, denn auch Dr. Allerto bewarb sich um die Gunst Käthens. Dr. Allerto, von dem der Leser weiß, daß alle diese boshaften Pläne seinem Hirn entsprangen, macht sich umgehend Richtung Riviera auf und es gelingt ihm tatsächlich die Umworbene zu einer Verlobung zu überreden.
Otto Stäber hingegen weiß bereits, daß Dr. Allerto der Täter ist, ebenso wie die Staatsanwaltschaft. Er erfährt auch über eine Intrige gegen ihn, die von den Helfershelfern Dr. Allertos, der Hauswirtin und dem Chauffeur Kohmanns, durchgeführt wurde. Doch bevor die Polizei den in der Nähe von Nizza weilenden Dr. Allerto festsetzen kann, wird er selbst ein Opfer seiner Spielsucht und seines hitzigen Temperaments. Nach einem neuerlichen Verlust im Spielsaal von Monte Carlo gehen ihm die Nerven durch und er greift einen anderen Spieler an. Die beiden Kontrahenten ziehen ihre Revolver, beide werden von Kugeln getroffen und als Leichen aus der Spielbank geschafft.
Im nachhinein wird Kohmann klar, daß sein Vetter Dr. Allerto seine Frau ermordet hatte, denn Kohmann selbst hatte einst sein Testament ändern lassen; falls er und seine Gattin kinderlos blieben, sollte Dr. Allerto den ganzen Besitz erben – da Kohmanns Gattin allerdings schwanger war, beschloß der Schurke sie zu ermorden – vermutlich stand Kohmann als nächster auf seiner Liste.
Nur der Mord im fernen Amerika an jenem jungen Deutschen entpuppt sich im nachhinein als Irrtum, denn dieser hatte den Sturz von einer Brücke überlebt und reist über Asien langsam und mühselig zurück nach Deutschland. Otto Stäber heiratet selbstverständlich seine Käthe.
Der Roman beginnt etwas holprig, wie so oft, findet dann aber doch zu einem ganz typischen Erzählton der 1920er Jahre. Die Verwicklungen sind zahlreich, der Mörder ist dem Leser von Anfang an bekannt und stellt sich lediglich die Frage, ob dessen kriminelle Ernergie ausreicht um seine üblen Intrigen und Scharaden zum Erfolg zu führen. Dabei spielen die Zufälle, wie meist in diesen Romanen, eine überaus wesentliche Rolle. Dennoch ist für einen Gelegenheitsautoren wie Ledeganck, der nicht über die Routiniertheit von Berufsschriftstellern verfügen konnte, der Roman recht gut gelungen. Die Konstruktion ist nicht übel, die Figuren sind halbgar, es hat noch etwas an Sorgfalt gefehlt um die Personnage lebendiger zu gestalten. Alles in allem folgt Geheimnisvolle Schatten dem Rezept des Kolportage- und Sensationsromans des 19. Jahrhunderts und ist ebenso vom Stummfilm stark beeinflußt.
Hermann Friedrich Ledeganck, der 1873 in Samarang auf Java geboren wurde, lebte in den 1930er Jahren in Cremlingen bei Braunschweig. Er schrieb noch einen weiteren Kriminalroman und ein Buch über Java.
Die Reihe Der spannende Kriminalroman ist um 1928 zu datieren und weist einige Besonderheiten auf, die zehn Nummern zu je 96 Seiten sind zu knapp einem Drittel mit internationalen Autoren besetzt wie William Le Queux und Fergus Hume, darüberhinaus stammt ein knappes weiteres Drittel aus der Feder des Weichert-Verlegers Walter Heichen, der verschiedene Pseudonyme nutzte, ein letztes Drittel ist relativ unbekannten Autoren vorbehalten. Die Serie ist als Groschenheft-Reihe zu deklarieren, und aus welchen Gründen auch immer, scheint diese Reihe recht unbekannt geblieben zu sein, was sie angesichts der ungewöhnlichen Autorenauswahl nicht verdient hat.