T. S. Stribling: »Der Gouverneur von Kap Haitien«, um 1929
von Mirko Schädel
T[homas] S[igismund] Stribling: Der Gouverneur von Kap Haitien, Wien: Österreichisches Journal um 1929, 111 Seiten
T. S. Stribling war ein amerikanischer Schriftsteller, der ganz unterschiedliche Genres bedient hat. Hervorzuheben ist, daß er für seinen Roman The Store, 1932, den Pulitzer-Preis im Jahre 1933 erhielt. Thomas Sigismund Stribling, 1881–1965, schrieb auch einige SF-Romane und eine Sammlung von Detektiverzählungen. Striblings Detektiverzählungen kreisen um den Psychologen und Detektiv Henry Poggioli, die erst in Zeitschriften erschienen sind und später, 1929, als Sammlung in einem Buch veröffentlicht wurden.
Der Gouverneur von Kap Hatien ist eine längere Detektiv- und Abenteuererzählung, die Henry Poggioli, Sohn zweier jüdisch-russischer Emigranten, nach Haiti verschlägt. Der Gouverneur von Haiti namens Aristide Boisrond läßt Poggioli telegrafisch rufen – aus dem Schreiben geht jedoch nicht hervor aus welchem Grund der Psychologe in Haiti gebraucht wird. Vielleicht ist es gerade dieses Rätsel, das Poggioli reizt der Bitte des Gouverneurs nachzukommen. Er befindet sich ohnehin in unmittelbarer Nähe der Insel und erfährt von einem mitreisenden Geschäftsmann auf dem Schiff, daß die amerikanische Marine sich vor kurzem von Haiti zurückgezogen habe, und daß der Aufenthalt dort mit Gefahren verbunden sei.
Poggioli läßt sich von den Gefahren nicht schrecken, er landet auf Haiti und wird von einem Freund des Gouverneurs mit dem Namen Dr. Vauquière mit einem Fuhrwerk empfangen, der den Gast zur Zollbehörde begleitet. Dort trifft Poggioli auf den unfreundlichen Landsmann und Zollinspektor namens Clay, ein aus Georgia stammender Rassist, dem es offenbar nur darum zu tun ist die Bestrebungen der schwarzen Bevölkerung nach Selbstbestimmung zu hintertreiben.
Als Poggioli im Palast des Gouverneurs eintrifft, wird er vage mit den Verhältnissen Haitis und insbesondere mit den äußerst vagen Wünschen des Gouverneurs vertraut gemacht. Auf Haiti gibt es eine Gruppe von Menschen, Cacos genannt, die vorwiegend aus Landarbeitern besteht, die sich mit den Arbeitsbedingungen nicht einverstanden erklärt und die Felder verlassen hat. Die Cacos haben sich mit allem bewaffnet, was ihnen in die Hände fiel, und haben sich in die Berge zurückgezogen, von wo sie eine Art Guerilla-Kampf führen gegen die herrschende Klasse. Der Anführer der Cacos ist ein Mann namens Jean La Fronde, nebenbei bemerkt handelt es sich bei Jean La Fronde um einen Papa Loy, das ist ein Mann, der den Voodoo-Zauber beherrscht.
Poggioli soll nun nach dem Willen des Gouverneurs Boisrond, übrigens ein Mann von der Statur eines Bären, diesen Widersacher entzaubern, denn Boisrond befürchtet, daß Jean La Fronde ihm seine Stellung als Gouverneur streitig machen will – und seine eigenen Landtruppen desertieren reihenweise aus Furcht vor den magischen Kräften des Caco-Führers La Fronde.
Der Gouverneur hat bereits ein halbes Dutzend Spione in das Lager La Fronde schicken lassen, doch diese Spione wurden umgehend enttarnt und ihnen zur Abschreckung die Ohren abgeschnitten. Als die ohrlosen Spione zum Gouverneur zurückkehrten, hat letzterer diese in einer Festung an alte Kanonen ketten lassen, denn der Gouverneur fürchtet die Propaganda dieser Männer, die in Angst und Schrecken versetzt wurden von der angeblichen Gedankenleserei des Jean La Fronde.
Poggioli sieht das ganze verständlicherweise vollkommen rational, er läßt sich von den Taschenspielertricks des La Fronde nicht abschrecken, er behauptet, daß der ganze Zauber des Caco-Führers Hokuspokus sei, Zaubertricks, die leicht zu enttarnen wären. Doch auf die Aufforderung des Gouverneurs das Lager der Cacos aufzusuchen findet Poggioli verständlicherweise immer neue Ausreden, denn er möchte begreiflicherweise nicht seine Ohren verlieren.
Der Gouverneur ist jedoch nicht davon abzuhalten und findet immer neue Argumente Poggioli in das Camp der Cacos einzuschleusen, er selbst werde ihn als angeblicher Deserteur begleiten. Der Gouverneur hat bereits in der Bevölkerung das Gerücht verbreitet, daß Poggioli ein amerikanischer Beamter sei, der den Voodoo-Zauber des Jean La Fronde begutachten wolle, Poggioli sei ein Voodoo-Inspektor, den man nicht täuschen könne.
Tatsächlich findet sich trotz aller Widerstände Poggioli zu dem angegebenen Termin auf einem Fuhrwerk ein, doch reist er offenbar allein, denn von dem Gouverneur ist vorerst nichts zu sehen. Später bei einem abenteuerlichen Aufstieg in den Bergen wird er auf den Gouverneur treffen, der ihm nebenbei das Leben rettet. Im Lager der Cacos herrscht gerade eine Art Voodoo-Ritual, doch in dem Chaos dort dauert es eine ganze Weile bis Poggioli den Caco-Führer Jean La Fronde zu Gesicht bekommt, der in einer Maskierung ums Feuer tanzt. Erst später stellt Poggioli fest, daß Jean La Fronde mit dem Arzt und Freund des Gouverneurs Dr. Vauquière identisch gewesen ist. Vorerst findet Poggioli weitere Beweise des vermeintlichen Zaubers, denn er entdeckt ein berauschendes Narkotikum in einer der Hütten – jenes Narkotikum nämlich, das offenbar den Ohramputierten als Narkosemittel verabreicht wurde.
Es kommt in der Folge zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den Cacos und den Truppen des Gouverneurs, letzterer hatte offenbar von langer Hand den Angriff auf die Cacos vorbereitet. Doch dem Gouverneur wurde noch vor seiner militärischen Interaktion Nase und Ohren amputiert.
Die Landtruppen des Gouverneurs haben die Cacos militärisch bezwungen, doch als Poggioli sich bereits auf dem Dampfer befindet, liest er die Schiffszeitung mit den neuesten Nachrichten. Darin entdeckt er auch, daß man den Gouverneur von Haiti gerade abgesetzt habe – und jener rassistische Südstaatler und Zollinspektor namens Clay hat stattdessen eine politische Marionette der weißen Landbesitzer als neuen Gouverneur installiert.
Die Geschichte krankt etwas an der unbeholfenen Übersetzung, doch scheint noch der Geist der Erzählung verschwommen hindurch. Stribling verquickt die kaum zu durchschauenden, exotisch wirkenden Verhältnisse Haitis mit der Perspektive des aufgeklärten, rationalen Charakters Poggiolis, der mit Ironie und Humor dieses Abenteuer zu bestehen hat. Es werden auch philosophische und politische Fragen behandelt, besonders die Fragen nach den Vor- und Nachteilen von Diktatur oder Demokratie sind ungemein aktuell.
Die Buchausgabe ist in Wien, Österreichisches Journal um 1929, erschienen. Es lohnt sich offenbar diese Roman-Feuilletons, die vorab in der Zeitung und dann als Buchausgabe erschienen sind, genauer anzuschauen, denn man kann da einige beachtenswerte Entdeckungen machen. Der Vertrieb dieser Reihe ist unklar, womöglich wurden die Bücher an treue Abonnenten abgegeben, oder die Bücher wurden ausschließlich durch den Verlag direkt vertrieben. Im Buchhandel wurden diese Reihen meist nicht gehandelt.