Stefan von Kotze: »Geheimnisvolle Spuren«, 1919
von Mirko Schädel
Stefan von Kotze: Geheimnisvolle Spuren, Berlin: Georg Hering Verlag 1919, 169 Seiten, Umschlag von Paul Casberg
Geheimnisvolle Spuren, 1919, ist ein phantastischer Kriminal- und Abenteuerroman, der von der Theorie handelt, daß man Erinnerungen durch Fortpflanzung seinen Nachkommen vererben könne.
Dr. Jacques Charkoff ist ein in London lebender Südfranzose, seines Zeichens Wissenschaftler auf dem Gebiet der Psychologie. Charkoff bevorzugt ein zurückgezogenes Leben, das er gänzlich in den Dienst seiner Forschung stellt.
Im gleichen Haus leben auch Charkoffs Vermieter, doch eines Tages scheint sich das Oberhaupt dieser Familie umgebracht zu haben. Die Witwe ist nicht allzu traurig über den Verlust ihres Gatten, denn die Ehe war wohl eine ziemlich mühsame Angelegenheit voller unerquicklicher Szenen und Tyranneien.
Mrs. Whigh sucht etwas Trost bei ihrem Mieter und gesteht ihm ihre traurigen Lebensumstände, aber dann erzählt die Witwe Charkoff die Geschichte eines Verbrechens, das ihr Mann auf dem Gewissen gehabt habe. Dabei handelt es sich um einen großen Diamantendiebstahl in Südafrika, der seinerzeit für Schlagzeilen sorgte. Doch konnte man Mr. Whigh diesen Diebstahl nie nachweisen, obwohl man ihn jahrelang durch Detektive überwachen ließ.
Der Diebstahl war jedoch die geplante Tat einer organisierten Bande namens »Schwarze Hand«, die von Mr. Whigh ebenfalls übervorteilt wurde, denn er weigerte sich die Beute zu teilen und behielt die Diamanten für sich. Whigh verlor seinen Job aufgrund des Verdachtes, der auf ihn fiel, er wandte sich nach Australien und lebte dort – von Detektiven und den Mitgliedern der »Schwarzen Hand« überwacht – ein unscheinbares und zurückgezogenes Leben. Irgendwann lernte er die heutige Mrs. Whigh kennen und heiratete sie. Ihr gestand er sein Verbrechen, verriet aber nie wo er die Diamanten versteckt hatte. Eine Tochter wurde geboren und Whigh und seine kleine Familie zog sich nach England zurück.
Dort lebten die Whighs mehr schlecht als recht, denn Mr. Whighs Tätigkeit als Buchrevisor trug nur wenige Früchte. Dr. Charkoff verspricht Mrs. Whigh, daß er ihr und ihrer Tochter helfe. Nach kurzem Nachdenken wendet sich Charkoff an den Direktor des Konzerns, der damals den Verlust der Diamanten zu beklagen hatte.
Er entwickelt diesem seine Idee von der Vererbung von Erinnerungen, die er mittels Hypnose aus dem Reich des Unterbewußten herauslösen wolle, denn Charkoff ist überzeugt, daß sich Erinnerungen von Eltern auf die Kinder übertragen und mit hypnotischer Techniken abrufbar seien. Charkoff verspricht jenem Magnaten die Wiederbeschaffung der Steine. Im Gegenzug erwartet Charkoff, daß der Konzernlenker die Hälfte der Auslagen für Charkoffs Unternehmungen übernimmt und im Erfolgsfall sämtliche Kosten trägt – sowie daß die Witwe Whigh einen Prozentsatz des Wertes jener Diamanten, also eine Art Finderlohn, erhält.
Das Geschäft mit dem Magnaten gelingt, und schon eine Woche später besteigen Dr. Charkoff, dessen Haushälterin, Mrs. Whigh und deren Tochter Mary einen Dampfer nach Australien. Schon auf dem Schiff beginnt Charkoff mit der hypnotischen Behandlung seines Mediums Mary Whigh. Doch etwas anderes beunruhigt Charkoff, denn durch einen Zufall erfährt dieser von dem Schiffsarzt, daß der indische Steward die Tätowierung einer schwarzen Hand auf der Haut trägt, das Erkennungszeichen jener Verbrecherbande, die den Diamantendiebstahl damals in Auftrag gab. Der Stewart flirtete übrigens auffallend mit Charkoffs Haushälterin, der er umgehend jeden Kontakt zu diesem Kriminellen verbietet.
In Sydney angekommen bezieht die kleine Gruppe vorerst ein Hotel, um dann in einem ruhigen Vorort ein Haus zu mieten. Doch in Redfern, in jenem Vorort in dem sich die Gruppe das Haus mietet, wird Mary Whighs am Tag der Ankunft entführt. Charkoff hat bereits Kontakt zu einem Detektiv aufgenommen, der ihm den Rücken freihalten und vor allem vor der Macht der »Schwarzen Hand« schützen soll, damit Charkoff sich ganz auf seine wissenschaftliche Forschung konzentrieren kann, die vor allem darin besteht Mary Whighs zu hypnotisieren um die ererbten Erinnerungen ihres Vaters anzuzapfen.
Leider entgleitet dem Autor langsam sein Roman und das Buch wird mehr und mehr zu einer Kolportage. Die Spur des Entführers, jenes indischen Stewarts und Mitglieds der Schwarzen Hand, findet sich im australischen Hinterland. In dem Ort Bathurst taucht eine heruntergekommene Frau auf, die Dr. Charkoff mühsam als seine erste Gattin identifiziert, die mit dem Inder gemeinsame Sache macht. Und tatsächlich ist jene erste Gattin Dr. Charkoffs auch die tatsächliche Mutter von Mary Whighs – und also ist Mary Whighs die Tochter von Dr. Charkoff. Das muß man als treuherziger Leser erst einmal verdauen.
Von dieser Opiumsüchtigen erfahren Charkoff und sein Detektiv von dem Aufenthaltsort Mary Whighs. In einem alten Goldgräberdorf finden sie die Mitglieder der Schwarzen Hand und verhaften diese – auch das Oberhaupt dieser sektenartigen Verbrecherbande geht ihnen ins Netz, dabei handelt es sich um einen alten indischen Fakir, der ebenfalls hypnotische Kräfte besitzt. Der indische Stewart wird auf der Flucht erschossen. Mary Whighs wird in schwerem hypnotischen Zustand aufgefunden und in Sicherheit gebracht.
In einem Nebenzimmer der Wirtschaft dieser Goldgräbersiedlung liegt ein Verletzter, Dr. Charkoff wird um seine Hilfe als Arzt gebeten. Er findet dort auf einer Matratze liegend einen Sterbenden, doch der Schwerverletzte identifiziert in dem funzligen Licht seinen alten Hausnachbarn Dr. Charkoff und gibt sich als der vermeintliche Selbstmörder Mr. Whighs zu erkennen, der seinen Selbstmord nur vorgetäuscht hatte um in Australien die Diamanten aus ihrem Versteck zu holen. Er wollte dem Konzern die Steine zurückerstatten gegen einen Bruchteil ihres Wertes – um seine Frau für die schwierigen Lebensumstände und die unglückliche Ehe zu entschädigen.
Mr. Whighs stirbt kurz darauf aufgrund eines Messerstichs in die Lunge. Dr. Charkoff findet den Lageplan der Diamanten, heiratet Mrs. Whighs und fährt mit Frau und Tochter in seine alte, neue Heimat nach Südfrankreich. Der Bergwerkskonzern erhält die Steine zurück und übernimmt im Gegenzug alle Kosten der Expedition, darüberhinaus zahlt man 100.000 Pfund für die Wiederbeschaffung der Beute.
Dennoch, wie hanebüchen diese Verwicklungen aus sein mögen, der Ton dieses Romans gefällt mir, abgesehen von seinen ständigen rassistischen Randbemerkungen. Der Begriff von »gelben Niggern, braunen Niggern und schwarzen Niggern« findet sich allerorten in diesem Buch – und zeigt, daß Stefan von Kotze trotz aller Widerstände gegen ein bürgerliches Leben, ganz ein Kind seiner Zeit war. Auch wenn der Ton seines Romans an die großen angelsächsichen Vorbilder des Kriminal- und Abenteuerromans angelehnt ist, und trotz von Kotzes unwiderlegbarer Weltläufigkeit, schafft er es nicht sich von diesen stereotypen und menschenverachtenden Anschauungen zu lösen.
Es gibt eine weitere Episode des Romans, die in das Hafenviertel Sydneys führt, wo sich von Kotze bestens ausgekannt haben dürfte, und wo das Medium Mary Whigh Dr. Charkoff in eine räudige Opiumhöhle führt. Natürlich konnte Mary Whigh in ihrem Unterbewußtsein nicht wissen, wo sich die Diamanten befinden, denn ihr vermeintlicher Vater war nur ihr Stiefvater. Aber auf die Erinnerungen von Dr. Charkoff und ihrer opiumsüchtigen Mutter, Charkoffs erster Gattin, hatte das Medium durchaus Zugriff und so führte sie ihren leiblichen Vater in jene chinesische Opiumhöhle, in der ihre Mutter seit Jahren vor sich hinvegetierte, denn diese geschundene und verwahrloste Seele hatte ihr Kind einst Mrs. Whigh zur Adoption überlassen.
Stefan von Kotze, 1869–1909, der sich mit 40 Jahren auf dem Anwesen seiner Familie mit einem Gewehr in den Kopf schoß, hatte ein kurzes und abenteuerliches Leben hinter sich. Er bereiste Teile Afrikas, Australiens und die Südsee. Sein Selbstmord wurde selbstverständlich vertuscht, wie alles vertuscht wurde, was einer bürgerlichen Gesellschaft als zu anrüchtig galt. Von Kotze kann man einen exotistischen Abenteuerromancier nennen, heute ist er vor allem für seine Reiseberichte bekannt.
Die Konstruktion dieses Romans ist verwegen bis bescheuert, eine wilde Räuberpistole, die vor unnatürlichen Zufällen nur so strotzt und deren Fabel keinerlei Glaubwürdigkeit besitzt. Dennoch hebt sich Stil und Ton des Romans angenehm von dem ansonsten so verquasten, halbpathetischen, halbautoritären wilhelminischen Ton der meisten Romane jener Zeit wohltuend ab. Sicher ist dies auf die Lektüre angelsächsischer Autoren zurückzuführen.
Ich weiß, daß der Roman Der Hypnotiseur, der 1914 in der Reihe Kürschners Bücherschatz erschienen ist, textidentisch und nur neu betitelt als Geheimnisvolle Spuren bei Hering in Berlin erschienen ist. Jetzt liegt mir das Heftchen endlich vor, so daß ich einen Textvergleich vornehmen konnte. Robert N. Bloch ist der Meinung, dieses Buch sei kein phantastischer Roman, doch darf man diesbezüglich auch unterschiedlicher Meinung sein.