Servace Heller: »Fürstin Salomonida«, 1907
von Mirko Schädel
Servace Heller, 1845–1922: Fürstin Salomonida, Berlin: Continent 1907, Kriminal-Romane »Continent« Band 8, 223 Seiten
Kurz vor und nach der Jahrhundertwende, also um 1900, gab es eine kleine Modewelle von exotistischen Kriminalromanen, die im fernen, harten Rußland spielen. Zum einen spielten diese Romane in Nihilistenkreisen, zum anderen in Kreisen des Adels und der reichen Gutsbesitzer.
In Fürstin Salomonida werden diese beiden Milieus gemischt, denn für einen Mord an einem Lakaien, der es sich mit dem Mantel seines Herrn auf einem Sessel im Halbdunkel gemütlich gemacht hatte, vermutet die im Schloss eines Fürsten weilende Gesellschaft, daß es sich hier schlicht um eine Verwechselung gehandelt habe und man tatsächlich den Offizier Bogdanow treffen wollte.
Der Mord wurde mit einer Stichwaffe verübt, die bis zum Schaft im Torso des Ermordeten steckte. Einerseits fällt der Verdacht auf einige Unbekannte, die in der Dunkelheit in der Nähe des Schlosses gesehen wurden, andererseits wird aber auch die Fürstin Salomonida verdächtigt, die, so lauten die Gerüchte, aus einer Familie von ruchlosen Mördern und Intriganten stamme. Das Motiv wird gleich dazu geliefert, denn Fürstin Salomonida sei in den Offizier Bogdanow verliebt, doch kurz vor dem erfolgreichen Mordanschlag wurde die Verlobung Bogdanows mit der jungen und charmanten Tochter des Schloßherrn bekannt gegeben. Außerdem haben ein paar Gäste eine Gestalt an der Tür vorüberhuschen sehen, wohl kurz nach der vollbrachten Tat, die auf eine weibliche Person hindeuten könnte – auch wenn die Person nicht erkannt worden ist.
Der Erzähler dieser Geschichte ist übrigens ein Ausländer, der anonym bleibt und zu Beginn nur als eine Art Beobachter agiert, dann aber zunehmend aktiv in die Geschichte eingreift. Dieser Erzähler ist es auch, der von allen weiblichen Schönheiten geblendet wird und diesen außerordentlich hilfreich, ja devot zur Seite steht – aber seine besondere Aufmerksamkeit widmet er der Fürstin Salomonida. Er ist es auch, der, als die Polizei mit einem Haftbefehl der Fürstin auftritt, letzterer zur Flucht nach Moskau verhilft.
Die Untersuchung des Mordes verläuft vorerst im Sande, und unser Erzähler reist nach Moskau, wo er in eine neue Geschichte verwickelt wird. In groben Zügen wird unser Erzähler von einer ungemein schönen Dame auf der Straße angesprochen und zu einem Rendezvous gebeten. Dort wird ihm eröffnet, daß er der Dame behilflich sein solle ein Kind ausfindig zu machen, ein Kind, das unser Held auch bereits kennengelernt hatte – das nämlich bei einer Familie lebte, mit der er befreundet war. Doch diese Familie aus Vater und Tochter bestehend, ist bereits überraschend verstorben, das gesuchte Pflegekind aber verschwunden. Das Gespräch dreht sich auch um die Fürstin Salomonida, die für beide Gesprächspartner von großem Interesse zu sein scheint. Und dem Leser wird klar, daß die schöne Unbekannte mit dem Namen Sergejewna eine Art Spitzel der Geheimpolizei sein müsse.
Unser Held verspricht der Dame bei der Suche nach dem Kind behilflich zu sein. Tatsächlich gelingt es ihm die Adresse des Kindes zu erfahren, doch dort angekommen unterhält er sich mit einer alten Vettel, die das Kind in Obhut hatte, aber nun beleidigt ist, da die Fürstin Salomonida ihr Kind abgeholt habe und sie nun auf die Geldmittel, die die Unterbringung des Kindes einbrachte, verzichten müsse.
Unser unbekannter Erzähler beginnt mit der Alten zu trinken und benimmt sich so geschickt, daß sie langsam die Contenance verliert und alle Geheimnisse über Salomonida verrät, die sie weiß. Unter anderem, daß die Fürstin in Südfrankreich als Kunstreiterin beim Zirkus tätig war und dort mit dem Clown ein Techtelmechtel begann, das unglücklich endete. Solomonida wurde schwanger und dabei fortwährend von ihrem Liebhaber betrogen, so daß sie den Geliebten ermordete.
Merkwürdig ist nur, daß unser unbekannter Erzähler nunmehr von der Bildfläche verschwindet und eine Vielzahl von bereits eingeführten Personen die Handlung dominieren. Es wird klar, daß Solomonida Verdacht geschöpft hatte, und deshalb ihr Kind bei einer grauenerregenden Person gelassen hatte – mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß sie nichts dagegen hätte, wenn das Kind stürbe. Denn die Existenz dieses unehelichen Kindes würde hinreichen ihre großspurigen gesellschaftlichen Pläne über den Haufen zu werfen, sie wäre angesichts dieses Skandals gesellschaftlich nicht mehr akzeptabel.
Auch werden langsam die Verbindungen der Fürstin zu den Nihilisten klarer, die sie offenbar mitfinanziert und deren Ränke sie maßgeblich mitverantwortet. Erst ganz am Ende des Romans – und durch die energische Verfolgung der Sergejewna, jener Geliebten des Chefs der Geheimen Polizei, gelingt es die Verbrechen und Intrigen Salomonidas aufzudecken und ihren Aufstieg in den Hochadel zu vereiteln.
Fürstin Salomonida wird mit ihrem geschundenen Kind konfrontiert, inhaftiert und nach Sibirien verbannt. Der Autor deutet an, daß dieser Roman der erste Akt dieser Geschichte darstellt, doch einen zweiten Akt hat es zumindest in deutscher Sprache nicht gegeben.
Heller war ein tschechischer Autor, der vorwiegend in tschechischer Sprache publiziert hatte, aber kein Übersetzer wird hier genannt, so daß es auch möglich ist, daß der Autor selbst das ursprünglich 1897 in Prag erschienene Buch übersetzte.
Der Roman, der etwas holpernd begann, hat dann doch einen ganz eigenen Charme entwickelt und war spannend, trotz der etwas unkonventionellen Struktur der Erzählung, die einen namenlosen Erzähler einführt und dann mittendrin auf Nimmerwiedersehen verschwinden läßt. Dennoch ist Heller ein reizender Nihilisten- und Kriminalroman gelungen, ganz in der typischen Mode dieser Epoche.