Sax Rohmer, das ist Arthur Henry Sarsfield Ward: »Die gelbe Kralle«, 1922 & 1928
von Mirko Schädel
Erich Walter, das ist Walter Heichen, tatsächlich aber: Sax Rohmer, das ist Arthur Henry Sarsfield Ward: Die gelbe Kralle, Leipzig: Leipziger Graphische Werke [Vogel & Vogel] 1922, 228 Seiten, Schutzumschlag von Lehmann
Sax Rohmer, das ist Arthur Henry Sarsfield Ward: Die gelbe Kralle, Berlin: Rijke & Stock 1928, 264 Seiten, Schutzumschlag von Sobotta
Sax Rohmer, das ist Arthur Henry Sarsfield Ward, 1883–1959 und sein Roman Die gelbe Kralle haben eine merkwürdige Editionsgeschichte in Deutschland, denn die Erstausgabe erschien bereits 1922 stark gekürzt im Verlag Leipziger Graphische Werke unter dem fingierten Autorennamen Erich Walter, das ist Walter Heichen, 1876–1970, der sich vor allem als Leiter des Weichert Verlags und als Übersetzer einen Namen gemacht hatte. In diesem Fall dürfte es sich allerdings um ein Plagiat gehandelt haben, denn Erich Walter alias Walter Heichen war nur der Bearbeiter und Übersetzer des Textes und der wahre Autor des Titels wird mit keinem Wort erwähnt.
1928 erschien dann eine noch immer, jedoch nicht ganz so arg gekürzte und weitaus bessere Übersetzung von Reinhard Rijke im Berliner Verlag Rijke & Stock, wo auch eine Reihe der Fu Manchu-Romane erschienen waren. Bislang galt die Ausgabe aus dem Verlag Rijke & Stock als deutsche Erstausgabe.
Die gelbe Kralle ist der Auftakt der Gaston Max-Reihe von Sax Rohmer, und ebenso spannend und amüsant wie seine Fu Manchu-Romane. Der Roman erschien erstmals im Jahre 1915. Wenn man die Zeit des Stummfilms, also die Zeit des Lichts und des Schattens, in Rechnung stellt und sich eine Kolportagetechnik vorstellt, die nicht nur rigoros modernisiert und in phantastische Bahnen gelenkt wird, dann bekommt man eine Vorstellung von diesem exotistischen thriller. Stilistisch ist dieser Roman wie gewohnt qualitativ hochwertiger als viele Erzeugnisse der damaligen Autoren-Konkurrenz.
Der Roman beginnt mit einem Paukenschlag: Der etwas langweilige, verschrobene und verwahrloste Kriminalschriftsteller Henry Leroux befindet sich gerade in einer Schaffensperiode, denn er schreibt Tage und Nächte hindurch an einem Zyklus um die Abenteuer Martin Zedas, eines Kriminalisten, der sich als Detektiv betätigt. Kurz vor Mitternacht klingelt es an seiner Wohnungstür, doch Lerouxs dubioser Diener Soames ist ausgegangen und noch immer nicht zurückgekehrt. Lerouxs Hausmädchen kommt erst später aus dem Urlaub zurück und seine Gattin befindet sich angeblich in Paris bei einer Freundin. So muß Leroux selbst die Tür öffnen. Eine unbekannte Dame im Zibetpelz stürzt in die Wohnung, und sie befindet sich offenbar in einer Art panischem Schrecken. Sie ist von Angst zerfressen und glaubt verfolgt zu werden. Der Eindruck, den die Dame vermittelt, veranlaßt Leroux zu seinem Freund Dr. Cumberly, der ein Stockwerk höher wohnt, zu eilen um sich dessen ärztlicher Hilfe zu versichern. In der kurzen Spanne Zeit, die Leroux braucht um seinen Freund herbeizuholen, wird die unbekannte Dame von zwei krallenartig befingerten Händen erwürgt. Dr. Cumberly kann nur noch den Tod der Dame feststellen und entdeckt die Einstichwunde einer Injektion am Rücken der Toten.
Die Polizei wird benachrichtigt, doch schon zuvor bemühen sich Leroux, Dr. Cumberly und ein weiterer Nachbar um die Suche nach dem Mörder in dem ehrenwerten Mietshaus. Auch die Polizei, verkörpert von Kommissar Dunbar und seinem Untergebenen Kriminalwachtmeister Sowerby, tappt im Dunkel.
Nach und nach wird etwas Licht ins Dunkel gebracht. Und als Gaston Max, der berühmte französische Detektiv in London auftaucht und sich bereitfindet die Londoner Polizei in ihren Ermittlungen zu unterstützen, nimmt die Geschichte Formen an. Der Franzose diagnostiziert unter anderem, daß Lerouxs Gattin gar nicht in Paris weilt – nicht zuletzt, weil die besagte Gastgeberin aus Paris nach London geeilt ist um das seltsame Mißverständnis auszuräumen und zu erklären, daß sie nicht wisse wo sich Mrs. Leroux aufhalte. Doch fragt man sich nun, wo Lerouxs Gattin abgeblieben sei. Man geht davon aus, daß die Dame gegen ihren Willen an einem unbekannten Ort von schmierigen Kriminellen festgehalten wird. Laut Gaston Max handelt es sich dabei um eine Opiumbande, die von einem Chinesen namens Mr. King geführt wird. Gaston Max glaubt, daß Mr. King auch die nunmehr identifizierte Tote auf dem Gewissen hat, die wohl auch dem Laster des Opiumrauchens gefrönt hatte. Unser französischer Meisterdetektiv hatte bereits in Paris eine Dependance des Mr. King ausgehoben, eine zwielichtige Opiumhöhle, wie sie der mysteriöse Mr. King weltweit in verschiedenen Metropolen betreibt. Zwar weiß niemand näheres über diesen Mann, und niemand hat ihn bisher gesehen, doch Gaston Max ist zuversichtlich diesem Verbrecher das Handwerk zu legen – und man ahnt, daß es sich bei Mr. King nur um einen Chinesen handeln kann.
Unser französischer Detektiv weiß, daß die akquirierten Gäste von Mr. Kings Opiumhöhlen aus den höchsten Kreisen stammen – und diese ob ihrer Rauschmittelsucht auch noch erpreßt werden, so daß die Süchtigen also doppelt gemolken werden können. Kein Wunder also, daß dieser geniale Verbrecher namens Mr. King sich dieses lukrative Geschäft nicht aus der Hand nehmen lassen will und bei der Verfolgung seiner Ziele über Leichen geht.
Es gibt eine ganze Anzahl von Frauen, wie eben auch das Mordopfer, die ihren Gatten gegenüber vorgaben Freunde im Ausland zu besuchen, während sie doch tatsächlich in London dem Opiumrauchen frönten. Durch seine umfangreichen Kenntnisse gelingt es Gaston Max als scheinbar süchtiger Opiumkonsument Zugang zu Mr. Kings Lasterhöhle zu erhalten. Allerdings verschleiern die Kriminellen derart perfekt ihre Adresse, daß es selbst Max nicht gelingt das Hauptquartier ausfindig zu machen, denn man trifft einen Mittelsmann in der Londoner Innenstadt, steigt in ein restlos abgedunkeltes Automobil und wird erst in einer Garage wieder seiner Umgebung gewahr. Ebenso verläuft die Rückfahrt, so daß der Detektiv keinen Hinweis auf die Örtlichkeit erhält. Lediglich der Stadtteil, wo sich die Bande versteckt, kristallisiert sich heraus.
Es gibt zahlreiche Nebenfiguren, die auch eine mehr oder weniger beachtenswerte Rolle spielen, besonders hervorzuheben ist aber die Beschreibung des chinesischen Interieurs jener Opiumhöhle, wo Sax Rohmer aus dem Vollen schöpft, so daß man den Eindruck eines opulenten Ausstattungsfilms erhält. Überhaupt spielen Räume mit exotischem Interieur eine große Rolle in den Romanen von Sax Rohmer – aber auch Guy Boothby und Robert Heymann nutzten gern in ihren Büchern die fremdartig anmutenden und mit exotischem Krimskrams vollgestopften Räume, die die Atmosphöre des jeweiligen Romans illustrieren oder vertiefen soll. Es spielen also nicht nur rätselhafte Chinesen, Inder oder Malayen in derartigen Romanen eine Rolle, sondern auch deren seltsame und geheimnisumwitterte Absteigen, die meist als unscheinbar vom Äußeren, jedoch als prachtvoll und überladen fremdartig im Inneren beschrieben werden. Neben den asiatisch, vornehmlich chinesischen Exotismen, finden sich bei Rohmer vor allem ägyptische Motive.
Am Ende stirbt der bösartige Schurke Mr. King angeblich in den Fluten der Themse, verfolgt von seinen Häschern der Londoner Polizei. Die vermißte Mrs. Leroux wird auch geborgen, doch stirbt sie an den Folgen ihrer Entführung und des damit verbundenen Opiumgenusses.
Ob Rohmer sich nun selbst oder seinen Kollegen Gaston Leroux porträtieren und zum Teil karikieren wollte mit jener Figur des schlaffen Weicheis Henry Leroux ist unklar. Gaston Leroux war in der selben Zeit ja ein überaus bekannter und erfolgreicher Autor, ebenso wie Sax Rohmer selbst. Es ist naheliegend, daß er an Gaston Leroux denken mußte, als er das Buch schrieb. Der Detektiv GASTON Max und die Figur des Henry LEROUX sind wohl eine Art Wortspiel, das den Autor amüsiert haben mag. Die Figur des Henry Leroux kommt ziemlich schlecht weg. Er wird als etwas weltfremd und verschroben, ungepflegt und vernachlässigt, verweichlicht, feig und alles andere als eloquent beschrieben. Von Charme ist auch keine Rede, lediglich seine Hilflosigkeit scheint Eindruck bei Frauen zu machen, zumindest bei jenen, deren ausgeprägter Mutterinstinkt oder das Helfersyndrom dominiert.
Natürlich sind die Romane von Heymann, Boothby und Rohmer Kinder ihrer Zeit, was ich noch als läßliche Sünde eines überbordenden Exotismus wohlwollend interpretiere, wird in anderen Gefilden als blanker Rassismus verstanden. Damit will ich diese rassistischen Stereotype nicht entschuldigen, aber darauf hinweisen, daß diese Bücher in der Regel über 100 Jahre alt sind und von einer Welt erzählen, die doch teilweise eine ganz andere war.