Robert Heymann: »Der rote Komet«, 1909
von Mirko Schädel
Robert Heymann: Der rote Komet, Leipzig, Berlin: Julius Püttmann 1909, Wunder der Zukunft – Romane aus dem dritten Jahrtausend Band 2, 96 Seiten, Ganzleinen mit aufmontiertem Deckelblatt von Schlattmann
Robert Heymanns Der rote Komet, 1909, ist der Gipfel einer hanebüchenen Geschichte, die an unfreiwilliger Komik ihresgleichen sucht. Ein roter Komet rast auf die Erde zu und das purpurne Licht zersetzt in zunehmenden Maße den Geist der gesamten Menschheit. Während in Amerika die Schwarzen und Weißen einen blutigen Kampf führen und die Horden Asiens näherrücken, verfällt auch Europa in einen neuen Krieg, der zwischen Deutschland, England und Frankreich ausgefochten wird. Der Roman spielt im Jahre 2439 in Berlin. Deutschland ist immer noch eine Monarchie, die in Afrika über Kolonien verfügt und die schwarze Menschen als Sklaven in die Heimat verfrachtet, wo sie als Dienstboten bei reichen Leuten ausgebeutet werden.
Romolus Futurus, ein deutscher Gelehrter und Astronom, hat den roten Kometen als erster entdeckt, als ihn das menschliche Auge noch nicht erkennen konnte. Doch Romolus ist ein genialer Erfinder, der im Laufe des Romans verschiedene absurde Apparaturen sich zu eigen macht, die ich kurz erläutere: zum Beispiel eine Art Strahlenkanone mit der man in die Ferne sehen kann und mit der man auch seine hypnotischen Kräfte und seinen Willen räumlich entfernten Menschen aufdrängen kann. Desweiteren eine Fotoplatte namens Lumen, die in der Lage ist die Wahrheit auf den Fotoabzug zu bannen, so daß alle Gedanken der abgelichteten Menschen offen zu Tage treten. Aber auch eine Lichtapparatur mit der man die menschliche Seele in einen fremden Körper transferieren kann.
Die ganze Geschichte ist eine Mischung aus Eifersuchtsdrama, Kriminalgeschichte mit Science fiction-Elementen und Schauerroman, die vollkommen humorlos eine aus den Fugen geratene Welt zeigt, denn der Komet strahlt nicht nur unentwegt auf die Menschen herab, sondern erzeugt auch eine zunehmende Hitze, so daß es zu Naturkatastrophen kommt, wie zum Beispiel die Überschwemmung Münchens und des bayerischen Oberlandes, denn der Walchensee ergießt sich in die Ebene. Auch der Meeresspiegel hebt sich bedenklich.
Auch die Menschen, die das Weltende nahen sehen, werden langsam irre, Revolutionen und Kriege brechen aus. Doch Romolus Futurus, der auch Kultusminister und oberster Befehlshaber der deutschen Polizei ist, liebt seine Gattin bedauericherweise nicht, so daß er seinen besten Freund bittet diese zu töten – um den Geist einer Unbekannten in die Leiche einziehen zu lassen. Dieser »Geist« wurde zufällig von Romolus mit seiner phantastischen Fotoplatte Lumen aufgenommen, als er sein eigenes gemaltes Konterfei in der Bibliothek fotografieren wollte. Dabei entdeckt Romolus jenes durchsichtige Schemen, ein Geist, der sich jede Nacht vor seinem Porträt weihevoll einfindet und dem Geliebten huldigt.
Der Freund ist gern zu Diensten, denn Romolus Gattin hat seinen schlüpfrigen Werbungen erheblichen Widerstand geleistet. Das Experiment gelingt – Romolus Gattin wird von dem Freund erdrosselt, die Seele der unbekannten Dame wird in den leblosen Körper transferiert mittels einer Strahlenapparatur und dem hypnotischen Willen unseres Erfinders.
Eine Tages wird die neubeseelte Gattin des Romolus jedoch der Erinnerung ihres früheren Lebens teilhaftig, das bis dahin in Vergessenheit geruht hatte. Tatsächlich handelt es sich bei der Seele der Dame um die Fürstin Angelika, die wiederum von einem schurkischen Arzt seit Monaten in einer Art Hypnoseschlaf gehalten wurde. Doch diese Scheintote liegt bereits im Sterben, und als Romolus dies erkennt, bemüht er sich darum den Körper seiner Gattin erneut zu töten, damit die Seele wieder in den richtigen Leib der Fürstin zurückkehren kann.
Romolus hat jedoch bereits den Verstand verloren und sein bester Freund versucht ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. Fürstin Angelika hat ihren letzten Atemzug getan, da kommt es in dem Gemach zu einem Gemetzel, der verrückte Romolus tötet den schurkischen Leibarzt der Fürstin, dann den Körper seiner Gattin und seinen besten Freund. Ein paar Tage später entdecken die Behörden, nachdem der rote Komet an der Erde vorbeigezogen ist, den Irrsinnigen mit den vier Leichen, die Romolus alle auf dem Gewissen hat. Man steckt ihn in die städtische Irrenanstalt, wo er damit beschäftigt ist eine unsichtbare purpurne Flamme über seinem Haupt zu erhaschen – die Seele der Fürstin Angelika.
Natürlich ahnt man, was Heymann da vorgeschwebt hat, nämlich eine Weltuntergangsstimmung, die von Wahnsinn, Todessehnsucht, Kakophonie, Sex und Verbrechen, Massensuggestion und Gewalt beherrscht ist. Seine eingearbeitete Kriminalgeschichte, die von Eifersucht und Begehren handelt, ist jedoch derart sperrig, daß dem Leser eine ordentliche Dosis Kopfschmerz bereitet wird.
Die Geschichte ist derart beknackt und gequält, das der nicht vorhandene Humor der unfreiwilligen Komik Tür und Tor öffnet. Nach der Lektüre möchte man sich mit einem Hämmerlein auf die Fingerspitzen schlagen um festzustellen, ob man die Lektüre unbeschadet überstanden hat.