T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Paul Frank: »Der tönerne Gott«, 1920
von Mirko Schädel



Paul Frank: Der tönerne Gott, Berlin: Schuster & Löffler 1920, 244 Seiten


Paul Frank, 1885–1976, war ein Wiener Unterhaltungsschriftsteller, der ins Exil nach Los Angeles ging – dort aber weitestgehend vergessen und verarmt war. Der Autor hat kaum noch etwas veröffentlicht. Soweit ich mich erinnere, war Georg Froeschel, der in der Filmindustrie in Hollywood Fuß faßte, ein Freund des Autors und hat wohl versucht diesem Arbeit als Drehbuchautor zu verschaffen, aber aus welchen Gründen auch immer konnte Frank nicht mehr an seine Karriere als Drehbuchautor, Unterhaltungsschriftsteller und Dramatiker anschließen. Sein alter Freund Leo Perutz saß derweil desillusioniert in Israel, und obwohl er häufig genug mit Paul Frank zusammenarbeitet hatte, schimpfte dieser auf das literarische Niveau Paul Franks und bezeichnete es als »Frank-Mist«, was doch etwas ungerecht ist.

Während Perutz also seine Stoffe mehr und mehr zu Meisterwerken formte, die nicht mehr als Unterhaltungsliteratur zu disqualifizieren waren, sondern eher eigenwilligen literarischen Kunstwerken entsprachen, hat sich Paul Frank nie von der Ebene der trivialen Stoffe und des Unterhaltungsgenre gelöst. Frank verharrte in diesem Spektrum, und hat wohl auch keinen Ehrgeiz gehabt etwas anderes zu schreiben.

Mir fiel Paul Frank bereits im zarten Alter von 16 Jahren in die Hände, als ich in Belgrad in einem Antiquariat nach Ferienlektüre suchte und auf das Buch Der Scheck auf die Million stieß, das bei Ullstein erschienen war. Ich las es und war fasziniert von dem Stoff, denn die Geschichte ist bizarr, wie fast alle Stoffe Franks. Später fand ich heraus, daß der Roman Harun al Raschid bei Schuster & Löffler die Erstausgabe von Der Scheck auf die Million war.

Der tönerne Gott, 1920, ist ein phantastischer Roman, der von einer tönernen Götzenfigur handelt, die ein gewisser Ludovico aus Indien mitgebracht hatte. Ludovico ist offenbar tief mit der indischen Geheimlehre vertraut und bedient sich virtuos magischer Kräfte.

Ludovicos Freund Baron Cajetan dagegen ist ein reiner Rationalist und Materialist, der ein unabhängiges, beinah wunschloses Leben führt. Seine großen Interessen bestehen aus dem Erobern von Frauen und gelegentlichen Reisen. Sein Vermögen scheint ihm sowohl das eine, wie das andere zu gestatten, ohne das er seine Finger allzu sehr krümmen muß. Mit anderen Worten, Cajetan ist ein zufriedener Müßiggänger und Flaneur.

Bei einer Automobilfahrt über Land gesteht Cajetan seinem Freund sowohl seinen Skeptizismus für Aberglauben und andere Phantastereien, als auch, daß er einen Wunsch in sich trage, nämlich dem weiblichen Geschlecht gegenüber unwiderstehlich zu sein, so daß er über jede Frau, die sein hormonelles Interesse erregt, frei verfügen könne. Ludovico warnt hingegen Cajetan eindringlich, er könne ihm diesen Wunsch erfüllen, doch werde er damit nicht glücklich sein.

Cajetan, der das ganze eher von der komödiantischen Seite nimmt und dieses Wunder nicht allzu ernst nimmt, läßt sich nicht schrecken. Zurück im Hotel überreicht Ludovico seinem Freund Cajetan jenen tönernen Gott und erklärt ihm die Funktionsweise des beseelten Tongötzen. Er möge an eine Frau denken, die er begehre und dem Götzen seine Gedanken mitteilen, dann würde sich alles andere von selbst arrangieren.

Und so ist es auch, denn Cajetan macht unmittelbar darauf einen Versuch. Er denkt an eine spanische Tänzerin aus einem Variete, die ihm unnahbar erschien. Dann flüstert er dem Götzen Liebesworte zu, und wenige Minuten darauf klingelt es in seinem Appartment, die Spanierin ist liebestrunken zu Cajetan geeilt, der wiederum ebenso irritiert sich nun seiner merkwürdigen Pflichterfüllung annimmt. So vollkommen losgelöst vom sportlichen Charakter einer Eroberung, nur mit Hilfe seines dienstbaren Dämons bemächtigt sich Cajetan nach und nach einer exzellenten Sammlung von Damen, deren Schönheit ihm diese Art der Verführung eingeflüstert hat. Zudem eine recht bequeme Art der Eroberung, die jeder eitle und egozentrische Stutzer zu genießen wüßte.

Es folgt eine Episode in Venedig, wo er eine unbekannte Schöne am herbstlichen Strand des Lido beobachtet und von dieser Dame außergewöhnlich angezogen wird. Er weiß um die Fragwürdigkeit und Lächerlichkeit seiner Methode und beschließt den Tongötzen per Post an seinen Diener in Wien zu schicken, damit er keine Möglichkeit hat sich an den Dämon zu wenden. Doch verliert er die Schöne aus den Augen, er sah sie nur einmal und jede Mühe ihr ein zweites Mal zu begegnen scheitert.

Als er zurück in Wien sich durch die Straßen treiben läßt, gelangt er zufällig zu einem Konzertsaal, und da er nichts mit dem weiteren Abend anzufangen weiß, beschließt unser Flaneur der plakatierten Sängerin zu lauschen. Seine Überraschung ist groß, als er die unbekannte Schöne auf der Bühne wiedererkennt und glaubt sich in sie zu verlieben.

Euphorisch fährt er nach dem Konzert in seine Wohnung und beschließt die Hilfe seines Dämons nicht in Anspruch zu nehmen, sondern sich der alten, traditionellen Methode einer Eroberung zu widmen, die Zähigkeit, Leidenschaft, Empathie und eine Art sensible Geduld erfordert. Er versucht sich daran zu erinnern, wie es war, als er noch auf die herkömmliche Weise seine Eroberungen gemacht hatte.

Am nächsten Tag schreibt er der schönen Angela einen Brief in dem er sie bittet, sie kennenlernen zu dürfen. Und tatsächlich erhält er eine ermunternde Einladung von ihr für den Nachmittag. Cajetan, der gewöhnt war jede Frau haben zu können, die ihm halbwegs interessant erschien, begibt sich auf neues, da vergessenes Terrain. Doch es vergehen Wochen und die Bereitwilligkeit Angelas sich Cajetans Wünschen zu fügen, verblasst zusehends.

Zwischendurch erhält Cajetan einen Brief von seinem alten Freund Ludovico, in dem letzterer davon berichtet, daß er sich in einem lamaistischen Kloster einmauern läßt um zu meditieren. Nur am Rande und recht vage äußert sich Ludovico über den tönernen Götzen, und gibt zu erkennen, daß er hoffe, daß Cajetan dennoch Zufriedenheit erlange, und seine Seele unberührt und rein bleibe.

Cajetan jedoch, dessen Gesundheitszustand seit langem mehr und mehr ruiniert wurde durch seine sexuellen Ausschweifungen, gerät immer mehr in einen Strudel der Obsession und Hysterie, das Begehren für Angela wächst ins Unermeßliche und gleichzeitig muß er anerkennen, daß seine Verführungskünste zu nichts taugen.

Auch der Dämon verändert sich langsam und nimmt immer häufiger eine menschliche Gestalt an, die Cajetan raten und warnen will, aber keinerlei Gehör findet. Am letzten Tag des Aufenthalts von Angela in Wien holt Cajetan diese von ihrem Konzert ab und fährt die Dame in ihre Pension. Dort kommt es zu den ewig gleichen, unerfreulichen Wortwechseln.

Dann versucht Cajetan in seiner erotischen Besessenheit seine Angebetete mit Gewalt zu nehmen, doch diese weiß sich zu wehren und der gute Baron verläßt verletzt Angelas Wohnstätte. Er fährt mit dem Vorsatz zurück in seine Wohnung den Dämon hervorzuholen und seine Angebetete zu zwingen bei ihm zu erscheinen. Schon wenige Augenblicke später ist Angela an seiner Wohnungstür, er läßt sie eintreten, und sie scheint gefügig zu sein, wie ein Opferlamm.

Cajetan aber scheint den Geschmack an dieser allzu leichten Methode verloren zu haben. Stattdessen läßt er sich auf eine Diskussion mit Angela ein, während sein tönerner Gott erneut menschliche Gestalt annimmt und sich in die Unterhaltung mischt. Cajetan zückt eine Handfeuerwaffe und zielt auf den Dämon, er drückt ab und fühlt die Kugel in seinen eigenen Körper dringen, seine Hand spürt das warme Blut aus seinem Oberkörper dringen.

Franks Roman hat vielerlei Facetten, auf der einen Seite berichtet er von einem Leben des Müßiggangs und einer gepflegten Selbstzufriedenheit, andererseits berichtet das Buch von dem Unbekannten, Mysteriösen, das alle Ordnung eines Lebens außer Kraft setzt. Auch die Entwicklung eines Menschen, der anfangs ein mäßiges Leben geführt hat, sich dann in einen Fluß obsessiver Gelüste stürzt, wird von Frank skizziert.

Doch als Cajetans Gesundheitszustand zunehmend leidet und sich ein natürliches sexuelles Sättigungsgefühl einstellt, verliebt er sich und wünscht nichts sehnlicher als in seine alte Haut zurückzuschlüpfen und sich sein Begehren mit althergebrachten Methoden zu erfüllen. 

Dem ganzen mengt Paul Frank eine indische Gewürzmischung des Exotismus bei, die das phantastische Motiv noch verstärken soll. Das Buch ist ebenso ungewöhnlich wie interessant, und für Liebhaber bizarrer Sujets empfehlenswert. Es gibt Szenen in diesem Roman, die an futuristische Motive denken lassen – oder an ein mit literarischen Mitteln visualisiertes Gemälde eines avantgardistischen Malers.