Otto Soyka: »Die Sensationellen«, 1929
von Mirko Schädel
Otto Soyka: Die Sensationellen, Wien: W. I. F., 1929, etwa 190 Seiten [vermutlich eine Roman-Beilage der »Neuen Freien Presse«
Otto Soyka's Roman Die Sensationellen, 1929, spielt in einer ungenannten deutschen Metropole und handelt von vier jungen Erwachsenen aus gutsituierten Familien, die nur ein Ziel verfolgen: Die Sensation. Das Buch kann als nahezu unauffindbar gelten, der Roman erschien erstmals in der Neuen Freien Presse in Wien, 1929. Es scheint sich um eine Roman-Beilage bei der Buchausgabe zu handeln, die jedoch nicht als solche bezeichnet ist.
Geld und beruflicher Erfolg gilt den vier jungen Menschen nichts, die Sensation dagegen ist ihre neue Währung, sie streben mit allen Mitteln zu Ruhm oder Berühmtheit – nicht etwa, um Geld aufzuhäufen oder von den Mitmenschen verehrt zu werden, denn ihnen scheint jeder moralische Zweck gleichgültig zu sein. Ob sie als Verbrecher berühmt werden oder als handfester Detektiv, das ist einerlei – es geht nur darum ihre Namen in den Zeitungen zu sehen oder im Radio zu hören und zu wissen, daß die Zeitgenossen sich über diese neuen Berühmtheiten das Maul zerreißen.
Gert Haltzan ist der natürliche Anführer der Gruppe, die sich eine Wohnung für ihre konspirativen Treffen angemietet haben. Haltzan unternimmt die größten Anstrengungen seine Existenz zu sensationieren, doch scheitert er vorerst in jeder Hinsicht. Als sein Freund ihm von einem Einbrecher erzählt, auf dessen Ergreifung die Belohnung von 2.000 Mark ausgesetzt ist – und der sich jeden Abend in einer üblen Kneipe aufzuhalten pflegt, gerät Haltzan außer sich. Er unternimmt selbigen Abend noch einen Ausflug in jene Kneipe, dabei trägt er eine Schußwaffe bei sich. Als der Einbrecher und zwei Kumpane überraschend aufbrechen, verfolgt Haltzan das Trio und bedroht diese mit seinem Browning, der ihm jedoch mühelos aus der Hand geschlagen wird. Die Verhaftung schlägt fehl und damit ebenso sein Plan über Nacht berühmt zu werden. Doch auch die Idee sich den Verbrechern anzuschließen und in der Unterwelt Karriere zu machen, schlägt naturgemäß fehl. Am Ende kann Haltzan sich glücklich schätzen, daß sein Kontakt zu den Verbrechern nicht zu üblen Folgen für seinen Gesundheitszustand geführt hatte.
Doch Haltzan läßt sich nicht beirren, er verfolgt gleich das nächste absurde Ziel, denn er beschließt einen mächtigen Geldmann mit fingierten Briefen zu erpressen, die angeblich dessen Geliebte geschrieben haben soll, eine Schauspielerin namens Val Lia, die morphiumsüchtig ist und über die alle Welt spricht. Doch deren Geliebter Phil Garro ist unantastbar und hält sich einen gediegenen, welterfahrenen Herrn namens Levinson, der sich mit nichts anderem als Garros Privatangelegenheiten beschäftigt. Herr Levinson setzt nun den jungen Haltzan auf eine Frau Stella Kowut an, die für ihre Intrigen und Erpressungen bekannt ist und sich den Geldmenschen Phil Garro gesucht hatte um diesen mit einem fingierten Heiratsversprechen zu schröpfen. Diese geschickte Erpresserin lebt davon reiche Herren auszunehmen und bedient sich dabei auch eines dubiosen Anwalts. Herr Levinson bittet nun Haltzan auch im Namen Phil Garros sich mit der Erpresserin zu beschäftigen – der Lohn, den Haltzan zu erwarten hat, sei die Sensation – das sei garantiert. Welche Absicht Levinson dabei genau verfolgt bleibt im Dunklen.
Doch Elise, eine Freundin Haltzans aus dem Kreis der vier Sensationellen, warnt ihren Freund eindringlich vor dieser Frau. Nicht zuletzt, weil sie in Haltzan verliebt und eifersüchtig auf die Bekanntschaft zu sein scheint. Doch es kommt kurz darauf zu der erhofften Sensation, denn Elise steckt eine Schußwaffe zu sich, eilt in den Park, wo ihr Freund Haltzan und jene dubiose Frau Kowut täglich ausreiten, und schießt auf ihre Konkurrentin. Als Motiv gibt sie der Polizei gegenüber an, daß Frau Kowut eine durch und durch bösartige und verworfene Frau sei. Frau Kowut überlebt das Attentat.
Es kommt zu einer Gerichtsverhandlung und der herbeigesehnten Sensation, denn alle Zeitungen berichten über die Gruppe der Sensationellen. Vor Gericht wird mit allen Mitteln gekämpft, doch am Ende setzt sich Vernunft und Menschlichkeit durch. Die noch fast jugendlichen Täter werden freigesprochen. Auch Haltzan geriet in die Mühlen der Justiz als Kopf der Bande, doch ein direktes Verbrechen laut Strafgesetzbuch ließ sich nicht nachweisen. Ebenso der korrupte Anwalt der Frau Kowut scheitert vor Gericht, als er sich selbst als Zeugen eines Gesprächs anbietet, denn jenes fingierte, angeblich belastende Gespräch hat es nie gegeben – denn es wurde gleichzeitig heimlich mit Hilfe eine Diktaphons aufgezeichnet. Und wenn auch das Diktaphon als Beweisstück oder gar Zeuge nicht zulässig war, so hat das mitgeschnittene Gespräch dennoch den Beweis für die Verlogenheit des Anwalts der gegnerischen Seite offenbart.
Die vier Sensationellen sind fortan geläutert, aus ihrem Privatleben dringt nur selten etwas an die Öffentlichkeit und damit endet der Roman, der dramaturgisch recht verworren und umständlich geschrieben wurde, denn man hat den Eindruck, der Autor wußte selbst nicht so recht wohin die Reise seiner vier Helden gehen sollte.
Es gibt auch ein phantastisches Element in dem Buch, das von einem lebensverlängernden Serum handelt, das die menschliche Lebenszeit etwa verdreifacht. Für die Erforschung dieses Serums und der damit verbundenen Drüsenstimulation hat sich Haltzan als Versuchskaninchen zur Verfügung stellen wollen, denn es ist ihm jedes Mittel recht in den Mittelpunkt des Weltgeschehens zu geraten. Doch läßt Soyka dieses Motiv wieder fallen.
Wenngleich der Roman spannend ist, wirkt er doch angestrengt und das ist auch für den Leser durchaus spürbar. Das mag an der atemlosen Hysterie liegen, die dem Buch als Atmosphäre beigegeben wurde – und natürlich der mäandernden, etwas ziellosen Erzählweise Soykas. Ich finde immer Entschuldigungen für Autoren, deren Werke unangepaßt, unroutiniert und etwas schadhaft sind – und diese Entschuldigung bezieht sich nicht auf die Romanidee, die Soyka dem Leser präsentiert. Denn diese Idee ist durchaus plausibel und wirft ein interessantes Licht auf die Wahrnehmung der Großstadtmenschen der ausgehenden 1920er Jahre. Auch die autobiographischen Bezüge und Selbstreflexionen des Autors lassen sich mühelos entziffern und bieten eine Sicht auf die Psyche dieses merkwürdigen, sicher nicht einfachen Charakter des Otto Soyka.