T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Otto Soyka: »Der Herr der Welle«, um 1929

von Mirko Schädel


Otto Soyka: Der Herr der Welle, Wien: Österreichisches Journal, um 1929, Seite 107–228 – keineswegs identisch mit Soykas Roman Im Bann der Welle, 1925


Der Herr der Welle, um 1929, ist eine veränderte Fassung von Im Bann der Welle, 1925. Ich habe leider keine Zeit umfassende Textvergleiche anzustellen, aber vermutlich handelt es sich um einen gekürzten und gestrafften Text des zuvor erschienenen Buches. Leider helfen aber auch die Änderungen nicht das unglaubwürdige und sensationsheischende Thema des Romans plausibler oder verdaulicher zu machen.

Der Bankbeamte Sempronius Horn, ein typischer Vertreter des Soyka’schen Figurentheaters, hat eine merkwürdige Geschäftsidee. Er kündigt seinen sicheren Arbeitsplatz um ein neues berufliches Kapitel aufzuschlagen. Horn ist ein Mann des ungebrochenen Willens mit einer suggestiven Kraft eines Übermenschen. Er hatte von der Erfindung von Radio- und Funkwellen gehört, die er in einer bestimmten Weise ausbeuten will, denn mit dem entsprechenden Kapital könnte er eine unbekannte Funkwelle ausbeuten, die er als Nachrichtenkanal verwenden will für eigene Botschaften oder für Botschaften, die seine Geschäftspartner nur für bestimmte Ohren bestimmt haben. Dazu gehört naturgemäß ein Empfangsgerät, das auf die entsprechende Frequenz eingestellt ist. 

Horn sucht nach einem Investoren, der sich auf dieses Geschäft einläßt und findet einen dubiosen Kapitalisten namens Evermann, der als eine Art Vermittler für Kriminelle, korrupte Politiker und andere zwielichtige Personen seine Dienste zur Verfügung stellt.

Nun muß man wissen, daß Horn eine unglückliche Liebe erfahren hat, die seinem besten Freund das Leben gekostet hat. Horn und jener Freund waren in eine Frau verliebt, die diesen Freund in den Selbstmord trieb und sich dann mit einem Geldmann verheiratet hat – während Horn als Beobachter diese Geschehnisse an sich vorüberziehen ließ. Dieses traumatische Geschehen scheint Horn zu einem seltsamen Einzelgänger gemacht zu haben.

Evermann zahlt die enormen Summen, so daß Horn die entsprechenden Anlagen errichten läßt. Dabei achtet er auf völlige Geheimhaltung und läßt die Funkanlagen derart überdimensioniert asuführen, daß er damit in die Lage versetzt wird, alle anderen Radiowellen zu übertönen. Als Nutznießer ist Evermann nach Inbetriebnahme vollkommen befriedrigt. Er sendet geheime Nachrichten an seine finanzkräftigen Kunden, die davon weitreichend profitieren. Für Evermann lohnen sich die gewaltigen Investitionen. Doch eines Tages widersetzt sich Horn die Mitteilungen Evermanns zu senden. Stattdessen sendet nun Horn selbst Nachrichten, die offenbar an seine ehemalige, treulose Geliebte adressiert sind.

Tatsächlich hört diese Frau die Nachrichten Horns und bricht ob ihrer Schuld an dem Freund zusammen, ihr Gatte bringt sie in eine Nervenheilanstalt, dann stirbt die Dame.  Doch Horns paranoide, suggestive Schuldzuweisungen und Predigten übertönen zunehmend weitere Radiowellen und stören die Programme der Radiosendungen. Immer mehr Menschen hören seine seltsam vage gehaltenen moralischen Ansprachen, und nicht wenige fühlen sich von den Anklagen angesprochen. Es entwickeln sich eigenartige Phänomene. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel entsteht eine sektenähnliche Partei, die Horns Nachrichten konsumiert und diese für ein Gottesgeschenk hält. Berühmtheiten, die Horns Nachrichten gehört haben, geben ihre Stellungen auf und treten zurück. Viele seiner Hörer entwickeln Schuldgefühle, die zu ungewöhnlichen Entscheidungen führen. Die Jagd auf Horn und seinen geheimen Radioanlagen beginnt, denn es gibt Kräfte, die diese Macht fürchten.

Auch ein Detektiv wird Horn auf den Hals geschickt, doch scheitert dieser an Dagny, einem geschundenen Mädchen, das zur Frau reift. Neben Horn leben noch zwei Personen in der Hauptstation des Horn’schen Imperiums, nämlich Björn, ein an Frankensteins Monster erinnernder Halbidiot, den in der Verfilmung bestenfalls Boris Karloff hätte spielen können und Dagny, ein naives Dienstmädchen, das allerdings Horn zunehmend ebenbürtig wird, denn der Geist und das Herz des Mädchens erwacht und erkennt, daß sie ihren Herrn und Meister namens Horn liebt.

Am Ende des Romans flüchten Horn und Dagny, das geläuterte Liebespaar, das sich in Japan niederläßt, wo Horn mit einer gefälschten Identität wieder als Bankkassierer arbeitet.

Der Roman ist durch und durch hanebüchen, als Expose eines Drehbuchs lasse ich mir den Text noch gefallen, aber als Roman ist er völlig ungeeignet. Die Figuren sind allesamt Papiertiger und Soyka macht mit diesem Buch den Eindruck eines planlosen Schriftstellers, der einfach drauflosschreibt ohne eine Idee für die Dramaturgie der Ereignisse. Soyka scheint hilflos gefangen in seinen kurzlebigen Ideen und schrieb wohl beständig von der Angst geleitet zu scheitern. Soykas späte Romane sind Zeugnisse eines Schriftstellers, der nicht mehr an seine alten Erfolge anschließen konnte und dies auch gewußt haben muß. Seine Unsicherheit überträgt sich geradezu auf den Leser, der sich die ganze Zeit unzufrieden fragen muß, wohin dieser irrlichterne und auf unsichere Weise mäanderne Text führen soll. Die Spannung des Romans besteht lediglich in der Absurdität der Ereignisse und den fragwürdigen, schemenhaften Ideen des Autors.