T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Otfrid von Hanstein: »Der Herr im gelben Mantel«, 1922
von Mirko Schädel



Otfrid von Hanstein: Der Herr im gelben Mantel, Leipzig: Leipziger Graphische Werke 1922, Kriminalbücher Band 53, 191 Seiten, Umschlag von Lehmann-Wachau


Otfrid von Hanstein, 1869–1959, lebte im Jahre 1928 in der Villa Quinta Esperança, Lessingstr. 4, Berlin-Zehlendorf, später 1939 in der Limastr. 4. Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften der Universität Coimbra, Portugal. Vielschreiber. Schauspieler, Theaterdirektor in Nürnberg von 1908-1914. Leiter einer Schauspielschule, und ab 1909 Leiter eines Kinematographentheaters. Er benutzte die Pseudonyme: Otfried Zehlen, Otto Berndt – es ist anzunehmen, daß er sich weiterer Pseudonyme bediente.

Der Mann im gelben Mantel, 1921, ist ein mitreißender, solider Kriminalroman, der auf die Routiniertheit des Autors deutet – im Gegensatz zu den Machwerken seines Neffen Wolfram von Hanstein, 1899–1965, der besser unter dem Pseudonym Berg Berger und als Verleger des Voco-Verlags bekannt war. Dieser Neffe war es, der mich bislang davon abhielt die Bücher von Otfrid von Hanstein zur Hand zu nehmen. Das wirft kein gutes Licht auf meine Person, wenn ich Familienmitglieder dieses Volltrottels in Sippenhaft nehme, aber wer ist schon frei von dummen Fehlern.

Dieses Buch ist zwar insgesamt ein gelungenes Beispiel eines spannenden Kriminalromans, gleichzeitig aber ein unendlich häufig kopiertes Romankonzept. Der Held dieser Geschichte ist der junge Kurt Blissing, der seit einigen Jahren erfolgreich als Hauptbuchhalter einer angesehenen Firma in Stockholm tätig ist. Blissings Chef, der alte Herr Sörensen, bietet ihm eines Tages die Teilhaberschaft seines Unternehmens an. Doch Blissing besitzt nicht die 100.000 Mark, die als Kapitalspritze und als Eintrittskarte in die Geschäftsführung notwendig ist. Doch Sörensen weiß, daß sein Buchhalter zwei reiche Onkel in der deutschen Heimat hat, die ihm möglicherweise das Kapital zur Verfügung stellen. Blissing läßt sich zu einem Versuch überreden, sind doch die 100.000 Mark eine lohnende Investition, die dem Geldgeber zugute kommt.

Kurt Blissing will nun umgehend zu seinem Onkel nach München reisen, doch als er in seiner Wohnung einen Brief seines anderen Onkels, Otto Blissing, aus Berlin vorfindet, muß er seinen Plan aufgeben, denn das Schreiben informiert den Helden vom plötzlichen Tod seines Onkels in München. Das Verhältnis zwischen Kurt Blissing und seinem Onkel Otto ist jedoch gestört, doch letzterer fordert Kurt auf sofort nach Berlin zu kommen. Otto Blissing braucht Rat, wie er das große Erbe anlegen solle.

Auf der Reise Kurts geht alles schief, es wird ihm nicht nur von einem geschickten Taschendieb die Brieftasche gestohlen, sondern ein Trio von Betrügern fädelt ein geschicktes Verbrechen ein. Einer jener Verbrecher hatte Kurt zufällig in einem Restaurant über seine Verhältnisse sprechen hören, auch von der unvermuteten Erbschaft seines Onkels aus Berlin. Ein zweiter stiehlt ihm die Brieftasche – um dann nach Berlin zu reisen und in der Wohnung Onkel Ottos einen Einbruch zu verüben, denn im Schreibtisch des Onkels befinden sich 200.000 Mark aus der Erbschaft. Nur die alte Haushälterin läßt sich täuschen und öffnet dem Kriminellen die Tür, der sie umgehend fast zu Tode würgt.

Die drei Verbrecher legen Spuren, die allesamt auf Kurt Blissing deuten, einer der Kriminellen macht sich darüberhinaus noch seine Ähnlichkeit mit Kurz zunutze. Für den Kriminalkommissar Schlüter steht schon früh die Schuld Kurt Blissings fest, denn alle Spuren und auch die Aussage der Haushälterin lassen nur diesen Schluß zu. Erst als Schlüter mit den näheren Umständen und Verhältnissen des Angeschuldigten vertraut wird, beginnen sich Zweifel zu bilden.

Der Untersuchungsrichter ebenso wie der Staatsanwalt sind derart verbohrt von der Schuld Kurt Blissings überzeugt, daß Schlüter für weitere Ermittlungen Urlaub einreichen muß. Immer neue Spuren werden von den Kriminellen gelegt, damit sie unbehelligt die Beute genießen können.

Schlüters Ermittlungen drohen zu scheitern, während die Gerichtsverhandlung gegen Kurt Blissing in die entscheidende Phase gerät. Durch einen glücklichen Zufall hört Blissing auf dem Kommissariat von einem Taschendiebstahl, der einem Gutsbesitzer aus Königsberg auf der Reise nach Berlin zugestoßen sei. Schlüter übernimmt den Fall, fährt mit dem Geschädigten zurück nach Königsberg und nimmt die Spur jenes Mannes auf, der auch Blissing bestohlen hat. Es gelingt ihm den Verdächtigen in einem Hotel festzusetzen und verhaften zu lassen, der Beschuldigte legt kurz darauf ein umfassendes Geständnis ab.

Im sprichwörtlichen letzten Augenblick gelingt es Schlüter den Rechtsanwalt Blissings von der Unschuld seines Klienten zu informieren, so daß die Verhandlung vor der Urteilsverkündung abgebrochen wird. Kurt Blissing heiratet die Tochter seines Onkels, die Familie zieht nach Stockholm und der junge Mann übernimmt die Teilhaberschaft in Sörensens Unternehmen.

Man hat diese Geschichte schon hundermal in allen möglichen Varianten des Kriminalromans gelesen, die Konzeption ist also nicht besonders originell, aber dennoch liest sich das Buch gut und ist außerordentlich spannend. Es ist eben solides Handwerk, und wie so oft, verfügt das Büchlein über einen hübschen Umschlag im Stil der frühen 1920er Jahre.