T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Otfrid von Hanstein: »Wettkonzern Lange. Ein Zeitroman«, 1922
von Mirko Schädel



Otfrid von Hanstein: Wettkonzern Lange. Ein Zeitroman, Dresden: Verlag Deutsche Buchwerkstätten 1922, 235 Seiten


Otfrid von Hansteins »Wettkonzern Lange«, 1922, ist ein überaus interessanter, witziger und spannender Roman, der die Entwicklung eines einfachen Lithographen namens Karl V. Lange zu einem Generaldirektor eines windigen Bankkonzerns nachzeichnet, der alle acht Wochen je eine Rendite für die Einlagen von 100 % garantiert. Die Erwirtschaftung dieser Renditen werden vorerst durch Pferdewetten hereingeholt, doch schon bald reichen diese Einnahmen nicht mehr aus um die Verzinsung der Einlagen zu decken, so daß Lange auch in andere gewinnträchtige Geschäftsbereiche investieren muß. Dabei erinnert dieses Geschäftsmodell einerseits an die Betrugsmasche eines Kettenbriefes, zum anderen an die Hypothese des unerschöpflichen Wachstums. Beide Ideen klingen erst einmal logisch, sind aber in der Realität als durchaus absurd anzusehen.

Karl Lange arbeitet hart an seinen Ideen und erntet vorerst Erfolge. Dies alles aber unternimmt er durchaus nicht um sich zu bereichern, sondern er wird von größenwahnsinnigen Idealen geleitet, denn er glaubt nicht nur die Kriegsschuld Deutschlands eines Tages tilgen zu können, sondern auch den armen Arbeitern und Kleinsparern zu Vermögen zu verhelfen. Der Auslöser für diese an Wahnsinn grenzende Schufterei liegt jedoch in der Verliebtheit Karls, denn er hat sich in Leipzig noch in die Tochter eines stattlichen Professors verliebt. Es war Liebe auf den ersten Blick, und als er zufälig erfährt, daß die Familie seiner angebeteten Irene nach Berlin umzieht, kündigt er ad hoc seinen sicheren Job in der Kunstdruckanstalt und zieht ebenfalls nach Berlin, wo er binnen kurzer Zeit zum Millionär aufsteigen will – um seine Irene zu erringen.

Die Figur des Helden ist außerordentlich interessant, denn so knallhart wie er als Geschäftsmann seine Ziele verfolgt, so weich und romantisch sind seine Gefühle für die junge Dame. Im übrigen ist Karl ein Mensch, der, wenn er den Mund auftut, Irritation hervorruft und bei den Zuhörern den Eindruck vermittelt, daß er geistig nicht ganz auf der Höhe ist bzw. irre ist. Karl macht mehr und mehr den Eindruck eines messianischen Größenwahnsinnigen, einer, der zwischen Narzismus und Depression hin- und herschwankt. Er hat durch und durch redliche Absichten, sein Idealismus bezüglich des gebeutelten Vaterlands und der Armut des Volkes ist durchaus ernster Natur. Ein Brief, den er an die Mutter seiner angebeteten Irene sendet, in dem er um deren Hilfe fleht, denn er ist immer noch verliebt und weiß sich nicht mehr anders zu helfen, zeigt mit welcher Naivität sein Gefühlsleben dominiert wird, aber auch die Redlichkeit, Offenheit und Wahrhaftigkeit dieses jungen Helden wird offenbar.

Natürlich wird der Wettkonzern Lange zusammenbrechen und die Kriminalpolizei übt sich derweil in Geduld. In ganz Deutschland schießen ähnlich fragwürdige Unternehmen aus dem Boden, nur sind diese ganz bewußt als Betrugsmasche angelegt, während Lange sich redlich bemüht seine Heilsversprechen einzulösen und eine korrekte Buchführung zu gewährleisten. Doch nach und nach brechen die Konkurrenzunternehmen zusammen und es kommt zu Verhaftungen und Fluchten der Beteiligten. Einige Zeit gelingt es Lange die Fäden in der Hand zu halten, immer neue Unternehmungen müssen her, doch dann wird die Erschöpfung Langes ihren Tribut einfordern, Lange redet von Zeit zu Zeit irre, vergißt zu essen, zu schlafen. Als der Zusammenbruch näher rückt und auch das Bewußtsein langsam Gestalt annimmt, daß diese Geldvermehrung nicht immer so weiter gehen kann, gerät Lange außer Kontrolle. Aber auch die Einsicht, daß Irene sich nie seiner erbarmen wird, ganz gleich wieviele Millionen Karl bewegt, führen zu einer gefühlsmäßigen Überreiztheit. Mit einem seiner Geschäftspartner zieht sich Lange für kurze Zeit in die Berge zurück, Lange soll sich erholen. Doch als die Gerüchte um Langes Flucht in die Zeitungen Berlins geraten, kehrt er im letzten Augenblick zurück. 

Doch es ist zu spät, die Bauarbeiter sind in einen Generalstreik getreten, das Finanzamt pfändet säumige Umsatzsteuer usw. Lange wird in Untersuchungshaft gesetzt, doch bald wieder aus gesundheitlichen Gründen entlassen. Der Konzern bricht zusammen und Langes Geist verabschiedet sich für immer. Lange wird zu seinem einzigen Verwandten geschafft, wo er bis zu seinem nahen Tod gepflegt wird. Die Polizei und Finanzmänner untersuchen die Buchführung des Lange Konzerns, doch man stellt fest, daß das Unternehmen auf soliden Füßen stand. Die Einleger erhalten zwar nicht mehr ihre 100%ige Rendite, doch die Einlagen werden aus dem Vermögen des Konzerns zurückgezahlt werden können.

Wettkonzern Lange ist ein frühes Beispiel eines Entwicklungsromans, der von exotischen Finanzprodukten erzählt, die es heutzutage in noch viel absurderen Formen gibt. Die Zerrissenheit des Helden macht einen großen Teil der Spannung aus, denn der einfache Lithograph Lange aus Leipzig mausert sich zu einem globalen Konzernlenker mit einer ebenso einfachen, wie lächerlichen Geschäftsidee. Von Anfang an weiß der Leser, daß dieses Geschäft scheitern muß, ebenso wie die lauernde Kriminalpolizei, die irrtümlich glaubt es mit einem großen Finanzbetrüger zu tun zu haben. Doch Lange ist kein Betrüger, sondern ein Mensch, der zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen Minderwertigkeitskomplex und Narzismus pendelt. Er ist der Träumer geblieben, der er immer schon gewesen sein muß. Es gibt auch einen Hinweis auf die Lektüre Langes, die ihn treffend charakterisiert, denn er las in seiner Jugend einen Roman von Robert Kraft mit dem vielsagenden Titel »Detektiv Nobody« – und aus derartiger Komportage zog Lange seine Lebensphilosophie.

Hanstein schrieb hier zurecht einen als «Zeitroman« untertitelten Roman, denn die Spanne nach dem Ersten Weltkrieg, die Unsicherheit der neuen Weimarer Republik und die sich langsam abzeichnende Hyperinflation konnte keinen passenderen Rahmen für diesen Roman abgeben. Leider findet sich auch ein antisemitisches Stereotyp in Form eines jüdischen Wucherers in dem Buch – und Hansteins deutsch-nationale Gesinnung läßt sich auch nicht leugnen. Karl Lange wollte hoch hinaus, sein Vater war ein Flickschuster, der im delirium tremens starb und seine Mutter starb ebenfalls recht früh. Karl Lange wollte etwas aus sich machen, und als er sich verliebte, irrte er sich in der Gesellschaftsklasse, denn die gutbürgerliche Irene bewunderte und schätzte zwar den redlichen Karl Lange, konnte sich aber eine Verbindung mit diesem nicht vorstellen.