Moray Dalton, das ist Katherine Dalton Renoir: »Einer nach dem anderen«, 1936
von Mirko Schädel
Moray Dalton, das ist Katherine Dalton Renoir: Einer nach dem anderen, Berlin: Oestergaard 1936, 256 Seiten
Katherine Mary Deville Dalton Renoir, Pseudonym Moray Dalton, 1881–1963, war eine gutsituierte Frau, die insgesamt 29 Kriminalromane verfaßte und kurz nach dem Erscheinen ihres letzten Romans zu Unrecht vergessen wurde. Hubin vermutete hinter ihrem männlich klingenden Pseudonym einen anderen Autoren, doch einem englischem Krimi-Enthusiasten gelang es das Pseudonym eindeutig zu lösen.
Einer nach dem anderen, 1936, ist ein gut konstruierter, extrem spannender und unterhaltsamer Kriminalroman, der in der weiteren Umgebung von London und dem Süden Englands spielt. Inspektor Collier ist ein noch recht junger Kriminalist, der ehrgeizig genug ist um sich möglichst bald seine Sporen zu einer höheren Laufbahn zu verdienen. Kurz vor seinem Italien-Urlaub will er sich mit einigen Freunden in der Lobby eines Luxushotels treffen um mit ihnen anschließend ins Kino zu gehen. Doch in der Lobby sitzt ein alter, reicher Amerikaner neben zwei zwielichtigen Gestalten aus der Unterwelt, letztere nehmen Reißaus als sie den Polizisten wittern.
Collier kommt mit dem alten Herrn ins Gespräch und warnt diesen, dabei erfährt er eine kuriose Geschichte vom Untergang eines Dampfers, den der alte Mann im Rettungsboot auf den Weiten des Ozeans mit acht weiteren Passagieren überlebt hatte. Zur Feier dieses Jahrestages, nämlich der Bergung des Rettungsbootes, lädt der Amerikaner seine acht empathischen Leidensgenossen jedes Jahr zu einem Festschmaus in dem Hotel ein. Die acht Mitpassagiere sind allesamt wesentlich jünger als der amerikanische Millionär, es sind alles Engländer des Mittelstandes, die zum Teil schon bessere Tage gesehen und die sich vorbildlich um den alten Herrn gekümmert hatten. Einmal im Jahr dampft also Pakenham, der amerikanische Millionär, nach England um dort in diesem Londoner Hotel anläßlich des Jahrestages seiner Errettung ein formidables Festmahl auszurichten.
Collier hört sich die Geschichte sehr interessiert an, dann nimmt er noch zwei der eintreffenden Gäste Pakenhams wahr und verabschiedet sich anschließend. Doch geht die Geschichte Pakenham nicht aus dem Kopf. Auch wohnte er der Ankunft des blinden Mr. Raymond bei, der ebenfalls zu den Schiffbrüchigen zählte.
Am nächsten Tag liest Collier die Zeitung, in einer Randnotiz erfährt er von dem tragischen Unfall eines Blinden namens Raymond, der auf der Baustelle eines Hauses in der letzten Nacht in den Fahrstuhlschacht gefallen und an den Folgen des Sturzes verstorben war.
Collier wollte eigentlich an diesem Tag seine Urlaubsreise antreten, aber nun verabschiedet er sich von dem Gedanken, denn sein Instinkt verrät ihm, daß es sich nicht um einen Unfall handeln könne. Er beginnt auf eigene Faust zu ermitteln und erfährt, daß Pakenham während des Festessens im vorigen Jahr seinen Gästen erklärt hatte, daß er alt und ohne familiären Anhang sei, und daß er deshalb beabsichtige sein überaus großes Vermögen unter seinen Freunden nach seinem Ableben aufzuteilen, diese »Freunde« sind die acht Überlebenden des Schiffbruchs. Doch bei dem gestrigen Festschmaus von Mr. Pakenham waren nur zwei der acht Gäste vor Ort. Mr. Pakenham sei darüber sehr enttäuscht gewesen, erfährt Collier und stellt fest, daß Pakenham verschwunden ist, niemand weiß, wohin der alte Amerikaner sich begeben hatte.
Collier ermittelt weiter, und schon nach kurzer Zeit erfährt er, daß ein weiterer Erbe Pakenhams verunglückt ist. Nun glaubt Collier schon nicht mehr an Unfälle, sondern vermutet, daß unter den Erben ein skrupelloser Mörder sein Unwesen treibt – um so wenig wie möglich von dem zu erwartenden Millionenvermögen nach Pakenhams Tod teilen zu müssen.
Es tauchen noch eine Reihe von Figuren auf, die verdächtig erscheinen, es finden noch weitere Morde statt und auch der alte Mr. Pakenham taucht wieder auf und berichtet von einer denkwürdigen Reise nach Venedig. Zwei seiner nicht erschienenen Gäste lockten den alten Herrn in einen heruntergekommenen Palazzo unter dem Vorwand, daß der eine von ihnen im Sterben lag. Doch Pakenham, der überaus clever und feinfühlig ist, durchschaute das Spiel und brachte sich in Sicherheit. Auch ein Mordversuch mittels eines Giftringes wird an Pakenham verübt, doch diesem Anschlag entkommt der alte Herr ebenfalls überaus geschickt. Pakenham reist umgehend nach London, setzt sich mit Scotland Yard in Verbindung und trifft auf Collier. Die beiden beraten die Ereignisse und Pakenham schlägt vor, daß er sich in ein Krankenhaus begibt und dort den sterbenden Schwan spielt. Collier geht auf den Vorschlag ein und läßt den alten Herrn als einen dem Tod geweihten Kranken in eine Klinik einweisen. Später wird Pakenham zum Schein für tot erklärt, denn Collier hofft, daß dies den Mörder zum Vorschein bringen könnte.
Die Mörderbande wird glauben, daß der Anschlag auf Pakenham erfolgreich gewesen sei, und Collier kann ungestört ermitteln. Doch über weite Strecken stochert Collier im Trüben, er findet keinerlei Beweise und noch lange nicht den Kopf der Bande. Bis fast zum Ende des Romans verfolgt Collier falsche Spuren und nur dem Rat seines Vorgesetzten und der Cleverness des alten Pakenhams ist es zu verdanken, daß es Collier dann doch noch gelingt den Täter zu ermitteln. Eine schwarze Katze spielt dabei auch noch eine erhebliche Rolle. Und auch eine Romanze verdichtet die Handlung auf hervorragende Weise – und ich wundere mich, daß ich diesen Satz ohne Ironie habe schreiben können.
Der Roman deutet tatsächlich auf ein hohes Maß an Virtuosität und ist äußerst spannend. Auch der Held der Geschichte ist interessant, denn er trägt menschliche Züge. Collier ist kein Meisterdetektiv im klassischen Sinne, er ist hartnäckig und sein Instinkt verrät ihm, daß an der Sache irgendetwas faul ist, doch meist irrt er und kommt mit den Ermittlungen nicht voran – oder sucht Rat bei seinem Vorgesetzten oder dem schlauen Mr. Pakenham. Doch ist es ihm immerhin zu verdanken, daß überhaupt eine polizeiliche Ermittlungsarbeit stattfindet, denn ohne Colliers Instinkt hätte der Täter sicherlich friedlich weiter gemordet und seine Taten als Unfälle getarnt. Die Idee hinter diesem Kriminalroman klingt vielleicht nicht sonderlich originell, doch die Ausführung läßt nichts zu wünschen übrig. Es liegen noch zwei weitere Kriminalromane von Moray Dalton in deutscher Übersetzung vor, doch dabei handelt es sich um Ullstein-Bücher, die meist erheblich bearbeitet und gekürzt wurden. Dennoch werde ich mir bei Gelegenheit eines dieser Bücher vornehmen.