T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

[Mary] Belloc-Lowndes: »Vanderlyns Abenteuer«, 1932
von Mirko Schädel



[Mary] Belloc-Lowndes: Vanderlyns Abenteuer, Berlin: Verlag der Zeit-Romane 1932, Veröffentlichung des Kriminal-Klubs, 327 Seiten, Schutzumschlag von Heinz Hajek-Halke


Mary Belloc Lowndes, 1868–1947, war eine englische Schriftstellerin, die vor allem für ihre Jack the Ripper-Adaption The Lodger bekannt ist, die auch mehrfach verfilmt wurde, unter anderem von meinem Lieblingsregisseur Alfred Hitchcock. Ich muß bedauernd zugeben, daß ich einen Neffen habe, der mit dem Namen Hitchcock rein gar nichts verbindet. Kein Wunder, daß das heutige Publikum nicht einmal ahnt was Filmkunst bedeutet, wenn man sich den heutigen Blockbuster-Schrott anschaut, der mehr einer Visualisierung eines epileptischen Anfalls ähnelt.

Vanderlyns Abenteuer, 1932, läßt hinter seiner verkrusteten Übersetzung nur ein Original ahnen, das qualitativ viel wertiger gewesen sein muß. Der Text benötigt ein hohes Maß von Konzentration, denn der Takt und die Musikalität der Übersetzung lassen zu wünschen übrig. Offenbar benutzte Belloc Lowndes lange, verschachtelte Sätze, die auf eine gewisse Eleganz schließen lassen, doch wie schon angedeutet, konnte der Übersetzer nur wenig davon hinüberretten.

Die Geschichte ist recht schlicht und der ganze Roman ist eine Art melodramatischer Thriller, der von dem jungen, reichen Amerikaner namens John Vanderlyn handelt, der sich an der französischen Reviera bei einer italienischen Marchesa aufhält, die eine Reihe von Gästen in ihrer Villa beherbergt. Die Marchesa ist eine alternde, vereinsamte Dame, der es offenbar Lust verschafft ihre internationalen Gäste gut zu unterhalten. Die kleine Gesellschaft besteht aus mehr oder weniger langweiligen Leuten, die alle recht egoistische und egozentrische Ziele verfolgen. Eines Abends bei der Rückkehr von einem verstörenden Ausflug bei einem arabischen Wahrsager und Zukunftsdeuter entdeckt die kleine Gesellschaft einen verunfallten Wagen kurz vor der Villa der Marchesa. Eine ältere Dame, die russische Gräfin Gregorowitsch, nebst ihrer jungen Nichte Dina werden aus dem Auto geborgen. Beide Damen sind nur leicht verletzt. Die Gräfin, die offenbar nicht weit entfernt in einer Villa wohnt, wird allein zurück in ihre Villa geschafft, die junge Frau namens Dina bringt man in die Villa der Marchesa. Vanderlyn, Gentleman von Kopf bis Fuß, trägt die junge Dame die Treppe zur Villa empor.

Man weist dem jungen Weib ein Zimmer an, und Vanderlyn ist vom ersten Augenblick unsterblich verliebt. Am nächsten Morgen nähern sich die beiden jungen Leute weiter an, doch die junge Russin macht einen seltsamen Eindruck, einerseits scheint sie ein wirklich unglückliches Wesen zu sein, denn eine tiefe Traurigkeit liegt in ihren Augen, zum anderen äußert sie sich auf eine derart offenherzige Weise gegenüber Vanderlyn, daß dieser äußerst irritiert ist. Sein Mitleid, sein Beschützerinstinkt und seine Neugier werden geweckt, doch Dina will nichts über ihr Leben preisgeben, sie hält sich außerordentlich bedeckt. Dieses Geheimnis um ihre Existenz reizt den jungen Verliebten nur umso mehr. Doch schon bald kehrt Dina zu ihrer Tante zurück. Kurz darauf geschehen merkwürdige Dinge. Die Pässe der Gäste der Marchesa sind verschwunden, auch Vanderlyn vermißt seinen Ausweis.

Die Gäste des Hauses bemühen sich dennoch ihr Leben zu genießen. Sie unternehmen Ausflüge, treiben Sport, spielen Bridge und nehmen gemeinsam die Mahlzeiten ein. Aber Vanderlyn denkt nur noch an Dina, die geheimnisvolle Russin und sucht nach Möglichkeiten sie wiederzusehen. Einige der Gäste fahren am Abend in die Spielbank von Monte Carlo, dort entdeckt Vanderlyn am Spieltisch seine Angebetete, auch deren Tante spielt am gleichen Tisch und zwei weitere dubiose Figuren beteiligen sich an dem Roulette, das die Gräfin offenbar nach einem bestimmten System bespielt. Es gelingt Vanderlyn Dina einige Zeit vom Spieltisch zu locken, sie schreiten gemeinsam durch den parkähnlichen Garten und unterhalten sich. Kurz darauf gesteht Vanderlyn Dina seine Verliebtheit, doch letztere macht ihm keinerlei Hoffnungen, sondern verdächtigt ihn sie verführen zu wollen. Bis Vanderlyn um ihre Hand bittet, was Dina ablehnt mit dem Hinweis, daß sie sich derart schuldig gemacht habe, daß er sie nicht lieben könne, wenn er näheres darüber wissen würde.

Als die beiden sich trennen, und Vanderlyn beunruhigt mit seiner Gesellschaft zurück zur Villa der Marchesa fährt,entdeckt er seinen vermißten Pass in einer seiner Taschen. Er kann sich diesen Fund nicht erklären, und ist auch zu naiv um den Tatsachen ins Auge zu sehen. Vanderlyn entdeckt nach und nach, daß Lina in einer Zwangslage sein muß, daß sie sich außerordentlich fürchtet, auch vor ihrer sogenannten Tante, und als es ihm gelingt deren Villa ausfindig zu machen, stellt er fest, daß dieses Haus sehr dürftig und ärmlich ist und entfernt an ein Gefängnis erinnert.

Nach weiteren Zusammenkünften mit Lina beschließt Vanderlyn mit ihr zu fliehen, denn Lina gesteht ihm nun ihre Liebe, doch ist sie noch weit entfernt einer Heirat zuzustimmen. Einen Tag vor ihrer Flucht kommt es  zu einem Einbruch in der Villa der Marchesa, bei der einem Gast die Familienjuwelen geraubt werden. Auf der Flucht schießt der Einbrecher eine Bedienstete an, die in der Folge an dem Schuß stirbt. Vanderlyn wird mit dem Auftrag betraut die Polizei in Cannes zu informieren. Er berichtet dem Kriminalkommissar von dem Vorfall, verschweigt aber den Einbrecher auf der Flucht beobachtet zu haben, denn er ist sicher, daß der Einbrecher eine Dienstbotin der Gräfin Gregorowitsch ist.

Und er will weder der unsympatischen Gräfin, noch Dina Schwierigkeiten bereiten. Am nächsten Abend soll die Flucht mit Dina vonstatten gehen, die Villa der Gräfin liegt direkt am Meer, Vanderlyn möge mit einem Boot kommen, denn Dina hält den Fluchtweg übers Wasser für sicher, und die Gräfin und die anderen Bewohner des Hauses seien für ein paar Stunden außer Haus.

Als Lina und Vanderlyn in der Dunkelheit aufeinandertreffen, erklärt Lina nervös, daß sie noch ihre wenigen Habseligkeiten holen müsse. Sie betreten das Haus, Lina geht ins Obergeschoss um ihre Sachen zu holen, während Vanderlyn in dem schäbigen Salon auf sie wartet. Schon ein paar Augenblicke später hört Vanderlyn Geräusche und sich nähernde Schritte, dann betritt die Gräfin mit zwei Herren die Villa. Vanderlyn begreift immer noch nicht mit wem er es zu tun hat, doch sieht er sich entdeckt und entwickelt rasch eine Ausrede für sein Verhalten. Er tritt der Gräfin entgegen, entschuldigt sein Eindringen und erklört, er hätte ihr wichtiges mitzuteilen.

Es handelt sich um den Einbruch und den Mord in der Villa der Marchesa, und er wisse zu berichten, daß eine Dienstbotin der Gräfin den Einbruch verübt habe. Er wolle sie nur warnen und dafür sorgen, daß die Gräfin die Dienstbotin schnellstmöglich entlassen müsse – ehe die Polizei auf die Täterin aufmerksam werde.

Als er die Stimmen der zwei Männer im Hintergrund hört, eine davon als eine merkwürdige Fistelstimme wahrnimmt, begreift er endlich, was eigentlich vorgeht. Denn dieser Mann mit der Fistelstimme ist die vermeintliche Dienstbotin und also der Dieb aus der Villa der Marchesa. Vanderlyn begreift, daß die Leute im Umfeld der Gräfin Gregorowitsch, allesamt Kriminelle sind und Dina selbst Teil dieser Bande ist.

Er bietet den Verbrechern ein Lösegeld an, daß er in Form eines Schecks und eines Begleitschreibens einem der Kerle reicht, der den Scheck in Paris einlösen solle. Vanderlyn wird in einem Zimmer eingeschlossen und soll vier Tage auf die Rückkunft des Kriminellen warten. Doch in der Nacht befreit ihn Lina aus seiner mißlichen Lage, sie hat ihre vermeintliche Tante und den zurückgebliebenen Helfershelfer mit einer Droge narkotisiert – und die beiden setzen ihre Flucht in ein neues Leben fort.

Damit endet der Roman, der durchaus spannend ist, doch mit dieser lieblosen Übersetzung ist kein Staat zu machen. Der Roman beschreibt sehr realistisch die Atmosphäre jener Klasse von Leuten, die überwiegend von ihrem Vermögen leben und dem Nichtstun frönen in der reizenden, mediterranen Umgebung von Monte Carlo mit all seinen Schattenseiten. Auch die gestrandeten russischen Exilanten, deren Geld nun aufgebraucht ist und sich mit dubiosen Geschäften über Wasser zu halten suchen oder die letzten Familienstücke verhökern, werden treffend porträtiert.