Marie Corelli: »Vendetta! oder: Die Geschichte eines Vergessenen«, 1895
von Mirko Schädel
Marie Corelli: Vendetta! oder: Die Geschichte eines Vergessenen, Riga: Rigasche Rundschau 1895, Roman-Feuilleton der »Rigaschen Rundschau« Band 64–100, 293 Seiten
Marie Corelli, das ist Mary Mackay, 1855–1924, war eine englische Schriftstellerin mit einem Hang zum Okkultismus. Auf der einen Seite war Corelli eine äußerst erfolgreiche Schriftstellerin, auf der anderen Seite wurde sie von der zeitgenössischen Kritik infolge ihres betulichen, bigotten Stils verspottet.
Vendetta! oder: Die Geschichte eines Vergessenen, 1895, erschien noch einmal im Jahre 1901 bei Steinitz in Berlin in der selben Übersetzung von Helene Mordaunt, die ich durchaus als Übersetzerin kenne und schätze.
Der Roman spielt in Neapel, ein vermögender, junger Mann namens Graf Romani will vom weiblichen Geschlecht nichts wissen, stattdessen interessiert er sich für Kunst und Literatur – und pflegt eine enge Freundschaft mit einem jungen Mann namens Guido. Doch eines Tages begegnet er zufällig in der Innenstadt von Neapel einem jungen Mädchen, das einen kurzen Augenblick den Schleier lüftet. Romani verliebt sich und heiratet die junge Dame namens Nina. Eine Tochter wird geboren, und für Romani scheint alles in bester Ordnung zu sein.
Währenddessen wütet die Cholera in Neapel. Romani steckt sich an der Seuche an und wird in einen provisorischen Sarg in der Familiengruft bestattet. Doch erwacht er wenige Stunden später und findet sich in dem Grabgewölbe seiner Familie wieder, vielmehr in einem schlecht verarbeiteten Sarg, aus dem er sich aber recht schnell befreien kann. Doch die Tür zum Grabgewölbe ist verschlossen. In Kolportagemanier findet Romani in einem der Särge des Gewölbes noch einen Schatz, der ihm unbegrenzte Mittel in die Hand gibt. Dieser Schatz scheint von einem sizilianischen Räuber zu stammen, der die Familiengruft der Romanis dazu benutzte seine Beute in Sicherheit zu bringen.
Romani stellt sich die Frage nach einem Zugang des Räubers zu der Gruft und findet eine verborgene Klappe, die einen Gang ins Freie verbirgt. So gelangt Romani auf den Friedhof – allerdings in ungeeigneter Bekleidung. Er begibt sich zu einem Trödler, der ihm die Kleidung eines Fischers verkauft. Romani will erst gegen Abend sein Haus aufsuchen und einen vertrauenswürdigen Diener benachrichtigen, da er befürchtet, daß seine Frau bei seinem Anblick einen Schock erfährt.
Als er sich abends von hinten durch die Allee an sein Haus heranschleicht, hört er gellendes Gelächter. Romani erkennt seine Frau Nina und seinen besten Freund Guido, die sich prächtig unterhalten. Er lauscht dem Gespräch und wird Zeuge der Verdorbenheit dieser beiden Vertrauten. Aus diesem Gespräch geht hervor, daß Nina schon seit langer Zeit ein Verhältnis mit Guido unterhält – und das beide dem Verstorbenen keine Träne hinterherweinen.
Im ersten Augenblick will Romani seinem Freund die Kehle zudrücken, doch er hält sich zurück und denkt über diese Erkenntnisse nach. Er beschließt grausame Rache zu nehmen. Romani begibt sich am nächsten Tag mit dem nächsten Dampfer nach Palermo, wo er eine neue Identität annimmt. Er legt sich eine entstellende Brille zu, sein Haar ist eh vorzeitig in der Nacht seines Scheintots ergraut. Darauf beobachtet er einen steifen Engländer, dessen Gestik, Mimik, Tonfall und Haltung er sich abschaut und nachahmt. Langsam wird Romani zu einem äußerlich anderen Menschen. So begibt er sich zurück nach Neapel, wo er Kontakt zu seinem Freund Guido aufnimmt und sich nach und nach mit ihm anfreundet. Guido ist es auch, der Romani in dem Haus seiner Gattin Nina einführt. Romani beobachtet Guido sehr genau und schwankt in der Beurteilung seines Freundes zwischen Ekel und Verachtung. Doch stellt er fest, daß dessen Liebe zu Nina leidenschaftlich zu sein scheint.
Als Guido einen Brief erhält, der von dem nahen Tod eines Erbonkels berichtet, verabschiedet dieser sich für einige Zeit um sein Erbe in Sicherheit zu bringen. Guido bittet den vermeintlichen Romani noch auf seine Freundin Nina aufzupassen, denn er scheint rasend eifersüchtig zu sein. Romani, der in seiner Maskerade wesentlich älter erscheint, mimt den väterlichen Freund und verspricht auf Ninas Sittsamkeit zu achten.
Guidos Abwesenheit nutzt Nina allerdings um mit dem galanten und reichen Romani anzubändeln, noch ehe Guido von seiner Reise zurückkehrt besitzt Romani ein Eheversprechen Ninas. Romani wiederum richtet ein epochales Festessen zu Ehren Guidos aus, wo er zahlreiche Gäste einlädt. Auch seine Duellpistolen läßt er reinigen und ölen.
Die Rache Romanis ist es am Ende des Festschmauses seine Verheiratung mit Nina bekanntzugeben – Guido erbleicht und droht vor Wut zu kollabieren, dabei schreit er
Romani mehrfach zu, er sei ein Lügner. Die Beleidigung führt naturgemäß zum Duell, das am nächsten Morgen ausgetragen wird. Kurz vor der Abgabe der Schüsse lüftet Romani seine Brille, und Guido erkennt den verstorbenen Freund von einst. Romani trifft sein Racheopfer und stürzt zu dem Sterbenden, wo er noch flüsternd einige Worte verliert.
Die Rache an Guido ist vollbracht, das nächste Opfer harrt Romanis Rachedurst. Seine Hochzeitsfeierlichkeiten sind der Anlaß seine Braut um Mitternacht mit einem Trick in das Versteck seiner Juwelen zu führen, die der Braut zum Geschenk gemacht werden sollen.
Nina fällt auf diesen Trick herein und findet sich in der Kälte der Nacht in der Familiengruft der Romanis wieder, wo sie nach dem Willen Romanis lebendig begraben werden soll. Doch zuvor gibt sich Romani noch zu erkennen, erschüttert seine Braut mit immer neuen Vorwürfen und Beweisen ihrer Untreue. Am Ende verliert Nina den Verstand und wird von einem herabstürzenden Stein aus dem Dach des Mausoleums getötet.
Romanis Rache ist vollbracht. Er hatte kurz zuvor noch seine Flucht aus Neapel geplant und findet sich auf einem Dampfer wieder, denn die Reise führt ihn in die Wildnis Südamerikas, wo er als Kolonist ein einfaches Leben führen wird.
Die 290 Seiten sind eng bedruckt, so daß man etwa von der doppelten Textmenge ausgehen kann. Der Roman ist ganz im Stil der französischen Feuilletonromane verfaßt und erinnert stellenweise an Dumas. Kitschig, moralin oder betulich ist das Buch nicht, auch falsches Pathos konnte ich nicht feststellen, stattdessen fand ich viele Hinweise auf die Kolportageromane des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die den Roman prägen. Die Geschichte ist durchaus spannend und in ihrer Art konsequent, denn der Hass Guidos und seine Rache werden akribisch geschildert und führen zum Tod seiner ehemals engsten Vertrauten. Obwohl Romani noch eine gewisse Empathie für seinen sterbenden Freund Guido empfindet, hat er doch für seine Nina gar keine Entschuldigung und keinerlei Mitleid mehr. Überhaupt ist das Frauenbild der Corelli ganz dem des Mannes zu dieser Zeit ebenbürtig, denn in dem formalen Bild der Kolportage gibt es nur zwei Arten von Frauen: die Hure und die Heilige – auf diese »Erkenntnis« erheben jedoch auch zahlreiche Autoren der Hochliteratur der damaligen Zeit Anspruch.