Louis Tracy: »Ein unheimliches Vermächtnis«, 1906
von Mirko Schädel
Louis Tracy: Ein unheimliches Vermächtnis, Dresden und Leipzig: Moewig & Höffner 1906, Kriminalromane aller Nationen Band 8, 226 Seiten
Der sympathische Detektiv und Advokat Brett wird von einem gewissen David Hume aufgesucht und um Hilfe bei der Aufklärung eines Verbrechens gebeten. David Hume-Frazer wurde selbst des Mordes angeklagt, doch im Prozeß wurde Hume wegen mangelnden Beweisen freigesprochen, also ein Freispruch zweiter Klasse. Da der junge Mann jedoch in allernächster Zeit eine Pfarrerstochter ehelichen möchte, muß er seine völlige Unschuld beweisen – gelingt ihm dies nicht, würde Humes künftiger Schwiegervater ihm die Hand seiner Tochter verweigern.
Hume-Frazer stammt aus einer adeligen und vermögenden Familie, und obwohl es zwischen David Hume und seinem Vetter Allan Hume-Frazer in der Nacht des Mordes einen kleinen Streit gegeben hatte, gab es darüberhinaus kein Motiv für das Verbrechen. Alan Hume-Frazer ist übrigens mit einem alten japanischen Dolch niedergestochen worden.
Brett, der sich Hilfe bei einem bräsigen Detektiv der Londoner Polizei sucht, beginnt mit den Nachforschungen auf dem Landgut der Hume-Frazers, in dem nun die Schwester des Ermordeten mit ihrem Gatten residiert. Der Leser wird einige interessante und eigenwillige Charaktere kennenlernen, besondern hervorzuheben ist das Ehepaar Jiro, ein zierlicher Japaner und seine kräftige und überaus großwüchsige britische Ehefrau, die irgendwie auf seltsame Weise mit dem Fall in Verbindung stehen – nicht zuletzt, weil Jiro als Sachverständiger während des Mordprozesses diese japanische Antiquität, nämlich die Tatwaffe, begutachtet hatte.
Doch auch weitere falsche Spuren legt uns der Autor, die mehr oder weniger um die Tatsache kreisen, daß die männlichen Mitglieder der Familie Hume-Frazer eine besondere Familienähnlichkeit teilen und bei schlechterer Beleuchtung kaum zu unterscheiden sind. Sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Doch als der verloren geglaubte und in den Fokus geratene Robert Hume-Frazer, das schwarze Schaf der Familie, aus seinem argentinischen Exil plötzlich auftaucht, wird schnell klar, daß auch dieser wohl weder ein Motiv hat noch die charakterlichen Eigenschaften aufweist um einen brutalen und kaltblütigen Mord derart in Szene zu setzen.
Als die beiden Vettern Robert und David in London auch noch kurz nacheinander heimtückischen Mordanschlägen knapp entgehen und sich neue interessante Beobachtungen ergeben, wird dem Detektiv Brett klar, daß es noch einen weiteren, bislang unbekannten Hume-Frazer geben muß, einer dritten männlichen Person, die den anderen beiden vermutlich ebenfalls zum Verwechseln ähneln muß.
Tatsächlich findet unser Detektiv, der recht gewandt und psychologisch versiert ist, bald durch eine Zufallsspur einen weiteren Hume, einem Japaner namens Ooma, der aus einer japanischen Seitenlinie der Humes entsprossen ist und sich vorgenommen hat seine englischen Verwandten bestmöglich zu schröpfen oder zu töten, da ihn eine alte Familienfehde zu grenzenlosem Haß animiert.
Doch Ooma gelingt es noch kurz vor der Verhaftung mittels eines seltenen, indischen Schlangengiftes sich selbst zu richten, eines übrigens nicht nachweisbaren Giftes, das er eigentlich für seine weiteren Anverwandten vorgesehen hatte.
Dieser Kriminalroman ist durchaus spannend und amüsant, er ist in der Tradition altmodischer Landhauskrimis geschrieben, wo schwere Familiengeheimnisse mit adligen Traditionen von Ehre und Recht kollidieren und sich in verwickelten Mordgeschichten ein Ventil schaffen. Das Buch hat trotz einiger kleiner Mängel in der Übersetzung Charme und erinnern an die Romane J. S. Fletchers.
Louis Tracy, 1863–1928, war ein britischer Journalist und Schriftsteller, der noch weitere Kriminalromane um den Rechtswalt und Detektiv Brett veröffentlichte. Heute ist er meist nur noch bekannt für seine Zusammenarbeit mit M. P. Shiel.