Louis J. Vance: »Die Bronzeschale«, 1913
von Mirko Schädel
Louis J. Vance: Die Bronzeschale, Dresden und Leipzig: Moewig & Höffner 1913, Kriminalromane aller Nationen Band 47, 227 Seiten
Maitland ist ein junger Nichtsnutz, er ist hübsch, stinkreich und lebt mit seinen Freunden so in den Tag hinein. Er bewohnt eine Etage in seinem Haus in New York, die anderen Etagen hat er an weitere Junggesellen vermietet. Als Maitland eines Tages nach Haus kommt, sieht er wie eine junge, hübsche Unbekannte aus seinem Haus tritt und wundert sich, denn seine Mieter sind allesamt auf Reisen. Der Sommer in New York ist heiß und der einzige Bewohner neben Maitland ist sein Hausmeister, den er auch nach der jungen Dame befragt, doch dieser weiß von nichts. Als er kurz darauf seine Wohnung betritt, stellt er fest, daß lange nicht Staub gewischt wurde und identifiziert den Abdruck einer zierlichen Hand auf seiner Schreibtischoberfläche. Er greift sich eine Bronzeschale und deckt diesen Abdruck damit ab. Sicherheitshalber legt er auch noch ein Buch auf die Schale und weist den Hausmeister an in seiner Wohnung nichts zu verändern, denn Maitland ahnt, der Abdruck jener Hand stammt von der unbekannten Schönen, die sein Haus verließ und die sich vorher offenbar Zutritt zu seiner Wohnung verschafft hatte.
Auch einen Brief seines Anwalts findet er vor, der ihn um ein dringendes Gespräch bittet und so ruft Maitland seinen Anwalt an und verabredet sich mit ihm am Abend. Maitlands Anwalt warnt unseren jungen Helden nun vor einem gewissen Mr. Dan Anisty, einem Einbrecherkönig, der sich auf besonders anspruchsvolle Tresore und ebenso außergewöhnliche Juwelen spezialisiert hat, denn Maitland hat auf seinem Landsitz unweit New Yorks in einem Tresor die Familienjuwelen deponiert und Maitlands Anwalt glaubt, daß Mr Anisty diese sicherlich ins Auge gefaßt habe.
Maitland, sonst nicht sehr ängstlich, nimmt umgehend eine Droschke und läßt sich zu einem Bahnhof fahren, wo er den letzten Zug in Richtung seines Landsitzes erreicht. Doch glaubt er, er habe auf der Fähre dorthin die junge Dame am Steuer eines Automobils gesehen.
Als Maitland nun den Zielbahnhof erreicht hat, stellt er fest, daß es zu spät für eine Mietdroschke ist und so muß er die zehn Meilen in der lauen Sommernacht zu Fuß zurücklegen. Auf seinem Weg entdeckt er jenseits einer Brücke in einem Flußbett ein stehendes Automobil – und darin die junge Dame, die bereits in seine Wohnung eingedrungen war. Maitland, ganz Gentleman, hilft der jungen Dame aus ihrer mißlichen Lage, repariert kurzerhand den Vergaser ihres Wagens, doch als er das Automobil zurück auf die Straße lenkt und kurz herausspringt um unten am Ufer seine Uhr zu suchen, der er verloren hat, hört er wie die junge Dame den Wagen startet und lachend davonfährt.
Als er endlich vor dem Familiensitz ankommt, entdeckt er Lichtreflexe in der Bibliothek. Er schleicht sich in das Haus, die Dienstboten schlafen, er überrascht jene junge Dame, wie sie mit Einbruchswerkzeug an seinem stählernen Tresor herumfuhrwerkt. Nun beginnt eine Verwechslungskomödie reinsten Wassers, denn Maitland sieht dem Einbrecherkönig Anisty zum Verwechseln ähnlich, und die junge Dame glaubt von einem Berufskollegen ertappt worden zu sein, sie hält Maitland für Anisty, und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, betritt in diesem Augenblich der wahre Anisty, Doppelgänger Maitlands, die Bibliothek.
Nun beginnt Vance eine Scharade von Verwechslungen, Zufällen und Abenteuern zwischen den drei Protagonisten Anisty, Maitland und der jungen Unbekannten. Maitland hat sich bereits in die junge Einbrecherin verliebt, eine Liebe, die nicht einseitig ist. Am Ende des Roman werden alle Verwicklungen gelöst, Anisty wird von der Polizei erschossen, Maitland und die junge Dame, die aus hehren Motiven die Kunst des Einbrechens erlernen wollte, heiraten, die Juwelen sind in Sicherheit und der dusselige Detektiv der New Yorker Polizei, der den Fall Anisty trotz seiner Unfähigkeit gelöst hat, macht eine gute Figur.
Der Roman ist seiner Zeit um mindestens 20 Jahre voraus, es handelt sich um eine charmante Kriminalkomödie, eine Liebesgeschichte, die Ende der 1920er und in den 1930er Jahren so beliebt war. Myrna Loy und William Powell oder Gary Grant und Katherine Hepburn hätten ein perfektes Schauspielerduo abgegeben um einen derartigen Stoff auf die Leinwand zu bannen. Doch ist der Roman im Original bereits 1909 erschienen und wurde 1924 und 1929 verfilmt, die damals eingesetzten Schauspieler sind heute weithin vergessene Stummfilmstars.
So albern und unglaubwürdig diese Komödie auch sein mag, sie kommt mit einer Leichtigkeit und einem New Yorker Charme daher, die Jugend und Sorglosigkeit auf angenehme Weise zu feiern versteht.
Louis J. Vance wurde am 19. September 1879 in Washington, D.C. geboren. Er studierte Kunst in New York und heiratete 1898. Vance schrieb hunderte von Kurzgeschichten für populäre Zeitschriften bis zu dem Erfolg seiner Kriminalromane. Sein Serienheld Michael Lanyard, genannt The Lone Wolf, wurde außerordentlich populär – sowohl im Film wie im Buchhandel. Vor 1945 sind leider keine weiteren Veröffentlichungen von Vance in Deutschland neben dem Roman Die Bronzeschale erschienen, dieser Titel ist jedoch in drei unterschiedlichen Verwertungen auf den Markt gekommen. Der Autor besaß auch eine Stummfilm-Produktionsfirma, die er später an Paramount veräußerte. Vance starb am 16. Dezember 1933 in seinem New Yorker Appartment. Er war mit seiner brennenden Zigarette eingeschlafen.