T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Köröshazy Ferenz [übersetzt und bearbeitet von Nork]:
»Die Vampyrbraut oder die Wirkungen des bösen Blickes«, 1849
von Mirko Schädel



Köröshazy Ferenz, übersetzt und bearbeitet von Nork: Die Vampyrbraut oder die Wirkungen des bösen Blickes, Weimar: Bernhard Friedrich Voigt 1849, 290 Seiten


Es ist fraglich, ob der ungarische Autor dieses Romans kurz vor seinem Tod Friedrich Nork, das ist Seligmann Kohn bzw. christianisiert dann später [Josef Ferdinand] Friedrich Korn, 1803–1850, das Manuskript zur Veröffentlichung gegeben hatte, wie er es im Vorwort darstellt. Wahrscheinlicher ist wohl, daß Kohn den Roman selbst geschrieben hatte und den Autor Köröshazy Ferenz fingierte.

Beim ersten Durchblättern des Buches war ich skeptisch, befürchtete ich doch ein pseudowissenschaftliches Werk, das sich zwischen Sachbuch und Erzählung angesichts der vielen Fußnoten nicht recht entscheiden kann. Doch der Roman ist alles andere als ein Sachbuch, sondern zumindest zu Beginn eher eine atmosphärisch dicht gewebte Erzählung voller volkstümlicher, ethnologischer Anekdoten und Geschichten, die allerdings keineswegs stören, sondern ihren eigenen Reiz entfalten. Die Vampyrbraut oder die Wirkungen des bösen Blickes, 1849, ist eine Art frühes Roadmovie durch die Weiten der ungarischen Puszta.

Ein Botaniker und also Pflanzensammler namens Wallner fährt tagelang mit einem Kutscher durch die weitläufige steppenartige Landschaft. Nachts schlafen Wallner und sein Kutscher entweder in den Hütten der Hirten oder auf dem bloßen Erdboden. Dabei lernen sie gelegentlich andere Reisende und Einwohner der Umgebung kennen, die die ganze Nacht hindurch Geschichten erzählen, unter anderem von metaphysischen Ereignissen wie der Existenz der Werwölfe und Vampyre.

Mehrere berichten am Lagerfeuer von den Untoten, die ganze Dörfer tyrannisiert hatten bis irgendwann deren Gräber geöffnet wurden und den noch frisch erhaltenen Leichen Pflöcke in den Leib gerammt wurden, so daß die Vampyre hörbar aufseufzten und anschließend ihre Umgebung ein für alle mal in Frieden ließen. Auch bluteten die Leichen noch aus verschiedenen Körperöffnungen. Einige Vampyre taten sich auch an dem Vieh der umliegenden Höfe gütlich, so daß der Verzehr des Fleisches wie eine Seuche den Vampyrismus beförderte.

Auch von Werwölfen ist die Rede, die von Hexen oder Zaubermeistern herrühren, die Menschen in Wölfe verwandeln und sie so aus der menschlichen Gesellschaft ausschlossen. Wallner hört sich interessiert die Geschichten dieser bunt gemischten Gesellschaft an, die aus Zigeunern, Juden, Ungarn, Slovaken, Serben, Ukrainern besteht – und beinah alle von den Umtrieben der Vampyre zu berichten wußten.

Nach ein paar Tagen begegnet Wallner einer schönen Zigeunerin, deren Volk er bei der Gelegenheit in Schutz genommen hatte indem er eine Geschichte erzählte, die die Vorurteile gegenüber dieser Volksgruppe ad absurdum führt. Die hübsche junge Dame revanchiert sich und phrophezeit Wallner, daß die nächste Dame, die ihm ein Getränk reicht, seine künftige Gattin sein werde.

Als Wallner nun in die nächste Kleinstadt gerät und dort ein Getränk in einem Gasthaus nimmt, stößt er auf eine hübsche junge Dame die ihn bewirtet und verliebt sich in diese. Die junge Dame namens Katharina ist die Tochter des protestantischen Geistlichen Lutz, eines liberalen Freigeistes und Pantheisten, der sich um die Dogmen der eigenen Kirche ebenso wenig schert, wie um die Dogmen anderer Religionen und Volksgruppen. Darüberhinaus kommt ein Mediziner hinzu, ein Doktor Schenk, und Wallner und die zwei Herren unterhalten sich im Stil der antiken Klassiker über allerlei ethnologische, politische und volkstümliche Eigenarten, nebst einigen interessanten Anekdoten über den bösen Blick, sowie den Kannibalismus und die Kinderopfer in der Kirchengeschichte.

Auch das Problem von Ressentiments gegenüber Juden oder Deutschen wird lebhaft diskutiert, wobei immer auch Geschichten und Anekdoten einfließen, die die eine oder andere Denkungsart illustrieren sollen. Diese Passagen sind etwas schwerer zu verdauen und die Leichtigkeit des Romananfangs schwindet.

Wallner beschließt seinen einzigen Verwandten in Wien aufzusuchen und diesem von seinen Heiratsabsichten zu erzählen. Nachdem letzterer keine Einwände gegen die Verbindung äußert, reist Wallner umgehend zu Katharina und Pastor Lutz, doch dort ist die Stimmung getrübt, denn ein Bekannter der Familie hat sich entleibt – und dessen ehemalige Geliebte ist an Auszehrung, wenn nicht gar am Vampyrismus, gestorben.

Pastor Lutz, Doktor Schenk und Wallner diskutieren nun noch alle möglichen okkulten und metaphysischen Themen, die sie mit kurzen Anekdoten aus dem Leben illustrieren, bis sie über Wünschelruten und Nachzehrer bei der magischen Zahl 13 landen, und da es gerade der 12. des Monats ist, beschließt Wallner seiner Katharina die Hand zur Verlobung zu reichen, bevor der unheilverkündende 13. Tag des Monats anbricht.

Wallner heiratet Katharina, kehrt nicht nach Wien zurück und läßt sich in der Heimat seiner Frau nieder, wo er Ländereien kauft und sich mit der Landwirtschaft herumplagt. Damit endet der Roman. Der Beginn des Romans ist tatsächlich eine rauschhafte, eindrucksvolle Reise, die dann aber zu einer an den Klassikern orientierten Erzählung wird, die von den Dialogen seiner Protagonisten am Leben erhalten wird, so daß der Autor all das in den Mittelpunkt seines Romans rücken kann, was ihm am liebsten ist: der Volksglaube in allen Facetten.

Dennoch habe ich das Buch gern gelesen, da es so vielschichtig, volkstümlich und metaphysisch ist, daß ich mich ernsthaft frage, aus welchen Quellen der belesene Autor geschöpft haben mag – und was seiner eigenen Anschauung und Erfahrung entsprang.

Nork, Kohn, Korn war vermutlich ein unbequemer Autor, der aus verschiedenen Gründen und aus verschiedenen Richtungen zeitlebens unbeachtet gewesen sein muß. Sein Roman zeigt Teile seiner inneren Überzeugungen, die in seiner Zeit großartige Angriffsflächen boten, sowohl politisch, als auch wissenschaftlich und moralisch. Es kann kein gutes Urteil über den Autor von seinen Zeitgenossen gefällt worden sein, im Gegenteil, mich würde nicht wundern, wenn seine Feinde zahlreich und mächtig gewesen sind.

Sein Verdienst ist jedoch, unabhängig von seiner politischen und moralischen Haltung, die kulturhistorische Darstellung seines Romans. Man darf keinen reißerischen Vampirroman erwarten, in dem Untote in romanhafter Form umgehen und Menschen in Angst und Schrecken versetzen, sondern eine endlose, fast manische und bodenlose Diskussion um den volkstümlichen Aberglauben der Völker Südosteuropas, die mit unzähligen Anekdoten angereichert und veranschaulicht wird – dabei werden auch die Lebensgewohnheiten der Balkanvölker in jener Zeit zutreffend geschildert.

Hätte der Autor die Form seines Romans von Anfang an durchgehalten, wäre das Buch sicher ein Meisterwerk geworden, so aber suchte Nork nach einer Methode der Darstellung, die seiner manischen, anekdotischen Erzählwut entspricht, um dann alle seine Ideen und Gedanken fokussiert zu Papier zu bringen. Für den Leser ist das ein anstrengender Prozeß, doch wer diesen über sich ergehen läßt, wird  mit einer Weltsicht belohnt, die zumindest ungewöhnlich und interessant ist.